Clemens Baier freut sich. Denn immer mehr Menschen kaufen Bio-Produkte. "Wir sind sichtbarer geworden", sagt der Händler aus Burglesum. Doch der Trend hat zwei Seiten. Denn der Druck auf kleine Bio-Läden, wie ihn Baier mit seiner Frau führt, nimmt wegen neuer, zunehmend stärkerer Wettbewerber zu. Discounter, Supermärkte und Drogeriemärkte haben in den vergangenen Jahren ein immer größeres Stück des Marktes erobert: von der Bio-Apfelschorle von Aldi, Bio-Salami von Lidl, Bio-Müsli von DM und Bio-Käse von Edeka oder Rewe. Fast zwei Drittel der Ausgaben der Bundesbürger für Bio-Lebensmittel landen inzwischen in ihren Kassen – mit steigender Tendenz.
Für Bio-Fachhändler wie Baier steigt derweil der Preisdruck. Der Handelsexperte Joachim Riedl von der Hochschule Hof warnte deshalb kürzlich im Fachblatt "Lebensmittel Zeitung" bereits: "Es bedarf wenig prognostischer Fähigkeiten, um für den Bio-Fachhandel einen Konsolidierungsprozess vorauszusehen, in dem nur einige der heute aktiven Player überleben werden."
Die Präsenz der Bio-Ketten nimmt dagegen zu. Alnatura hat in Deutschland mittlerweile 130 Filialen – zwei davon in Bremen und fünf in Niedersachsen. Aleco hat im Nordwesten 19 Standorte, neben Bremen in Lilienthal, Bremerhaven, Zeven, Cuxhaven. In der Hinderburgstraße gibt es ebenfalls eine Aleco. Dort sitzt auch der Bioladen Lesmona von Baier. Seit fast fünf Jahren leitet er das Geschäft seiner Eltern. Heute sei er aber nicht sicher, ob er sich erneut für die Nachfolge entscheiden würden: "Die Zahlen sprechen gegen uns."
Seit 2004 hat sich der Anteil der Bio-Produkte an den Lebensmittelausgaben verdreifacht. Mehr als zehn Milliarden Euro gaben die deutschen Verbraucher im vergangenen Jahr für ökologische Produkte aus – rund sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Doch anders sieht das Bild für reine Bio-Ketten und inhabergeführte Bio-Läden aus. "Wir haben Federn lassen müssen", sagt Baier. "Das ist ein Novum gewesen, nachdem wir in der Vergangenheit von Jahr zu Jahr gewachsen sind."
"Wir haben Federn lassen müssen"
Der Rückgang habe damit zu tun, dass die konventionellen Supermärkte "immens aufgerüstet" hätten. Gerade Fachgeschäfte mit kleiner Verkaufsfläche bekämen Probleme: "In den vergangenen Jahren mussten viele schon zumachen. Der Trend ist schon lange gegen sie." Für Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und Co. ist Bio gleich aus mehreren Gründen attraktiv. Zum einen, weil der Markt seit Jahren zuverlässig wächst. Zum anderen wegen der Zielgruppen, die mit Bio-Produkten erreicht werden: jüngere Leute, Familien mit Kindern aber auch höhere Einkommensgruppen.
"Letztendlich entscheidet der Kunde, wo er seinen Bio-Euro hinträgt", sagt Baier mit Blick auf die dominierende Konkurrenz. Immer schwerer sei es aber, Kunden den Unterschied zu Ketten, konventionellen Supermärkten und Drogerien zu verdeutlichen: "Wir haben ganz andere Handelsstrukturen. Wir kennen unsere Produzenten. Wir bieten Bio mit Gesicht." Doch gegen die Werbeetats der Discounter wie Aldi könne sein Laden nicht mithalten. Direkt in seiner Nähe standen die Plakate, auf denen Aldi sich als führender Bio-Händler darstellte.
In diesem Jahr will der Discounter sein Engagement noch verstärken und mehr als 60 weitere Bio-Artikel in sein Angebot aufnehmen. Damit sei "der komplette Wocheneinkauf in Bio-Qualität immer möglich". Auch Lidl verspricht den Kunden "Bio-Vielfalt" und führte erst im Februar elf neue Bio-Wurstsorten ein. Lidl-Einkaufschef Jan Bock ließ damals keinen Zweifel: "Auch in Zukunft wollen wir verstärkt auf Bio setzen." Die Kölner Handelsgruppe Rewe arbeitet nach eigener Aussage ebenfalls "beständig an der Erweiterung ihrer Bio-Sortimente".
Allein unter der Eigenmarke Rewe Bio bietet der Händler in seinen Supermärkten mehr als 500 ökologische Produkte an. Die Drogeriemarktkette DM ist nach Informationen des Branchenfachblatts "Lebensmittel Zeitung" auch dabei, ihr Bio-Geschäft weiter aufzurüsten. Neben über 400 Artikeln der Eigenmarke dm Bio liste die Kette immer mehr Bio-Marken ein. Der Drogeriehändler habe es dabei auch auf Kundengruppen aus dem Fachhandel abgesehen.
Bei den Verbrauchern kommt die Offensive gut an. Bei einer aktuellen Marktstudie des Marketingunternehmens AMM gaben 60 Prozent der Befragten an, sie fänden es gut, dass man Bio inzwischen auch bei Edeka, Rewe, Aldi und Lidl kaufen könne. Das sei billiger als in den Fachgeschäften und außerdem müsse man beim Einkauf dadurch keinen Umweg machen. Für Naturkostläden, Bio-Supermärkte und selbstvermarktende Bio-Bauern wird der Siegeszug der Mainstream-Händler jedoch immer mehr ein Problem. Branchenkenner Riedl ist überzeugt: "Die Luft wird dünner im Handel mit Bio-Lebensmitteln."
Neben allem Druck, als Fachhandel auf die veränderten Bedingungen zu reagieren, sieht Georg Appel, Geschäftsführer und Gründer von Aleco, auch Positives: Die Kommentare, dass Bio nur "Betrug und Geschäftemacherei ist", seien komplett verstummt. Die Qualität der Produkte werde nicht mehr angezweifelt. Seine Bio-Kette wachse weiter: "Wir sind zufrieden mit der Entwicklung." Aleco hat in den vergangenen Jahren expandiert. Umsatzplus gibt es Appel zufolge aber auch an bestehenden Standorten. Das Bio-Angebot sei für die Supermärkte und Discounter immer noch ein Randsortiment. Appel sieht eine Chance: "Wer dort Bio kennenlernt und mehr will, kommt auch zu uns."
Zwischenzeitlich gehörten der Familie Baier zwei weitere Läden: die Lindenblüte in Vegesack und ihr allererstes Geschäft "Kraut & Rüben" im Ostertor. 1980 übernahmen sie es. "Meine Eltern sind damals angetreten mit dem Motto: Bio für alle." Letztlich behielten Baiers aber nur einen Laden, weil die Konkurrenz zulegte. In anderen Städten, in München, Berlin oder Hamburg, sei der Druck derweil noch größer, weiß Baier von Kollegen. "Kraut & Rüben", der Laden, der Baiers Eltern zu Biohändlern machte, gibt es aber weiterhin. "Es gibt Verbraucher, die den Unterschied bei der Qualität, Regionalität und Größe machen."