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Zukunft der Atomkraft in Deutschland DIW-Expertin glaubt ans Atom-Ende

Bremen. Claudia Kemfert ist sich sicher: "Für Deutschland hat sich das Thema ein für allemal erledigt." Die Energieexpertin des DIW hält Atomkraftwerke hierzulande nach der Katastrophe in Japan für nicht mehr vermittelbar.
15.03.2011, 05:00 Uhr
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Von Günther Hörbst

Bremen. Claudia Kemfert ist sich sicher: "Für Deutschland hat sich das Thema ein für allemal erledigt." Die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hält Atomkraftwerke hierzulande nach der Katastrophe in Japan für nicht mehr vermittelbar.

Sie geht allerdings nicht davon aus, dass sich Deutschland von heute auf morgen aus der Kernkraft verabschieden wird. Deutschland steht mit dieser Diskussion des Ausstiegs jedoch relativ allein. "In anderen großen Industriestaaten wird diese Diskussion so nicht geführt", sagt Kemfert im Gespräch mit dieser Zeitung. "Weder in den USA, noch in Großbritannien, schon gar nicht in Frankreich - und nicht einmal in Japan selbst." In keinem dieser Länder werde ein "hektisches Aussteigen" wie in Deutschland diskutiert.

Ein Ausstieg ist auch nicht von heute auf morgen zu machen. Das angekündigte Moratorium der Laufzeitverlängerung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel werde die Regierung nutzen, um schärfere Sicherheitsvorkehrungen für Atomkraftwerke durchzusetzen. "Damit", sagt Kemfert, "dürfte es für die Energieversorger wohl unwirtschaftlich werden, vor allem die älteren Atomkraftwerke weiterzubetreiben."

Japan ist hoch verschuldet

Die Debatte um einen Ausstieg aus der Kernenergie sowie die heikle Entwicklung in den japanischen Atommeilern überdeckt zurzeit jedoch, dass es neben der Nuklearkatastrophe noch eine Erdbebenkatastrophe gibt. Und die hat massive Auswirkungen auf die Wirtschaft in Japan. Einem Land, das Staatsschulen in Höhe von rund 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufweist und fast ein Jahrzehnt in einer Rezession steckte.

Die betroffenen Präfekturen in Japan haben an der Gesamtwirtschaft Japans laut Commerzbank Research einen Anteil von 6,5 Prozent. Die Schäden sind dennoch enorm. Die großen Autohersteller mussten ihre Produktion stoppen (siehe Artikel rechts), 13 Atomkraftwerke stehen still, immer wieder fällt der Strom aus und lähmt die Industrieproduktion.

Wolfgang Franz, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim und Chef der Wirtschaftsweisen hält die japanische Wirtschaft dennoch für stark genug, die massive Katastrophe bald zu überwinden. "Die Erfahrung nach dem Beben in Kobe 1995 war, dass die Japaner recht schnell in der Lage sind, die Produktion in den Unternehmen wieder hochzufahren. Das ging innerhalb weniger Wochen. Innerhalb weniger Jahre war auch die Infrastruktur wieder aufgebaut", sagte Franz dieser Zeitung. "Von daher ist ein gewisser Optimismus angebracht, dass - bei allen Schwierigkeiten und menschlichen Tragödien - die wirtschaftlichen Folgen eher kurzfristig und die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und auf Deutschland eher gering sind. Die Konjunktur dürfte wenig betroffen sein."

Die Störungen des Produktionsausfalls dürften nur einige Wochen andauern, sagte Franz weiter. Deutschlands Handel mit Japan sei eher gering: Nur gut ein Prozent der Waren würden nach Japan exportiert und nur drei Prozent aus Japan importiert. Die direkten Effekte hielten sich in engen Grenzen. Das größte Problem sei die Finanzierung des Wiederaufbaus. "Die Regierung ist gut beraten, bei einer Staatsverschuldung von knapp 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das nicht über weitere Schulden zu machen, sondern eine Art Erdbeben-Soli zu erheben", rät der oberste Wirtschaftsweise. "Ein Solidaritätszuschlag für Erdbeben und Nuklearkatastrophen. Und das sollte die japanische Regierung auch bald machen. Noch ist den Menschen die Katastrophe sehr präsent und damit auch die Bereitschaft, diese Steuererhöhung hinzunehmen. Der Beitrag sollte auch befristet für den Wiederaufbau erhoben werden."

Sofortiger Ausstieg ist Illusion

All das sei jedoch pure Makulatur, wenn es in Japan zum Super-GAU komme. Franz selbst hat eine klare Meinung zum Thema Atomkraft: "Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht bei dieser Technologie. Ein gewisses minimales Restrisiko verbleibt immer. Damit besteht ein Abwägungsproblem: Ist man bereit, dieses Restrisiko zu tragen oder weicht man voll auf alternative Energieträger aus? Die Regierung versteht die Atomkraft ja als Brückentechnologie. Sie setzt also letztlich auf den Ausstieg aus der Kernkraft."

Aber auch er möchte wissen: "Was geschieht, wenn, wie in Japan passiert, der Strom ausfällt? Können die Brennstäbe weiterhin hinreichend gekühlt werden? Welche Sicherungen haben unser AKWs dann? Ist das, was in Japan passiert ist, auch bei uns möglich?"

Fragen, die laut DIW-Expertin Kemfert überwiegend Deutsche beschäftigen. Der Wunsch nach einem sofortigen Atomausstieg ist für sie jedoch Illusion. "Würden die Atomkraftwerke abgeschaltet, müssten viele neue Kohlekraftwerke gebaut werden. Ihr Anteil würde sich von jetzt 45 Prozent der Stromerzeugung auf 60 Prozent erhöhen. Damit müsste sich die Regierung aber von ihren Klimazielen verabschieden." Atomstrom hat derzeit einen Anteil von rund 22 Prozent der Stromerzeugung in Deutschland.

Eine Alternative wären Gaskraftwerke. Das Problem dabei: Sie sind in Deutschland zu teuer, weil Gas an den Ölpreis gekoppelt ist. Dabei ist Gas auf dem Weltmarkt derzeit sehr günstig. Deutschland bindet sich aber gerade weiter an den Ölpreis, weil es sich für Jahrzehnte an Lieferanten bindet, die ihren Gaspreis an den Ölpreis koppeln, etwa Russland. Kemfert fordert deshalb: "Diese Ölpreisbindung sollte man schleunigst aufheben."

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