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Steigende Lebensmittelpreise Entwicklung trifft Bremer Unternehmen hart

Bremen. Die Weltbank warnt, dass steigende Lebensmittelpreise zu einer existenziellen Bedrohung für Millionen Menschen zu werden drohen. Auch viele Bremer Unternehmen bekommen die Verteuerung der Agrarprodukte schmerzhaft zu spüren.
05.05.2011, 05:00 Uhr
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Von Sebastian Manz

Bremen. Die Weltbank warnt, dass steigende Lebensmittelpreise zu einer existenziellen Bedrohung für Millionen Menschen zu werden drohen. Es gibt derzeit kaum ein Agrarprodukt, das sich nicht binnen kürzester Zeit empfindlich verteuert hätte. Auch Bremer Unternehmen bekommen diese Entwicklung schmerzhaft zu spüren. Schuld an der Misere ist ausgerechnet eine Idee, die die Welt eigentlich besser machen sollte.

Der Deutsche Bauernverband rechnet 2011 wegen anhaltender Trockenheit mit gravierenden Ernteverlusten. Meldungen wie diese hätten Berend Jürgen Erling, Chef der Bremer Rolandmühle, noch vor einigen Jahren kaltgelassen. Lange Zeit war das Preisniveau von Agrarerzeugnissen ohnehin von der Europäischen Union dominiert. Ein Anhänger dieser Politik war der Bremer Müller zwar nie, aber sie bescherte ihm eine gewisse Planungssicherheit.

Heute sind die Handelsschranken der EU weitgehend abgebaut. "Der Weltmarkt regiert und seine Schwankungen schlagen zu 100 Prozent auf unser Geschäft durch", sagt Erling. 360.000 Tonnen Roggen und Weizen verarbeitet die Bremer Mühle pro Jahr. In jüngster Zeit kannten die Kurse für die wichtigsten Rohstoffe des Betriebs nur eine Richtung: aufwärts. Die Nachricht von ausgedörrten deutschen Feldern beschleunigt diese Entwicklung zusätzlich. "Unsere Rohwarenpreise haben sich zwischen den letzten beiden Ernten fast verdoppelt", sagt der Geschäftsführer der Rolandmühle. Die Weltbank rechnet vor, dass im vergangenen Jahr kaum ein Agrarprodukt von extremer Teuerung ausgenommen war. Der Preis für Weizen zog um 69 Prozent an, der von Mais sogar um 74 Prozent. Sojabohnen kosteten immerhin ein Drittel mehr.

Die Ursachen dieser Entwicklung liegen teilweise weit in der Vergangenheit. Seit gut zehn Jahren verbraucht die Menschheit mehr Getreide als sie produziert. Die weltweiten Vorräte waren zwischenzeitlich auf ein Rekordtief gesunken. "Im Jahr 2007 sind die Märkte aufgewacht und haben sie Situation erkannt - die Preise schnellten nach oben und sind seitdem volatil", sagt Erling.

Weltbank sieht G20 in der Pflicht

Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Hans Heinrich Bass hat sich in einer Studie mit der Frage beschäftigt, wie es überhaupt zu der Schieflage zwischen Angebot und Nachfrage kommen konnte. "Auf der Angebotsseite spielen die extremen Klimaschwankungen und die Flächenkonkurrenz - beispielsweise zwischen Getreide und Baumwolle - eine fundamentale Rolle", sagt er. Zudem sei besonders in Afrika die Produktivität der Anbauflächen zurückgegangen, weil nicht genügend in die Landwirtschaft investiert worden sei. "Auf der Bedarfsseite fällt die steigende Nachfrage aus Schwellenländern ins Gewicht", erklärt Bass. Hinzu komme, dass Anleger die Rohstoffmärkte für sich entdeckt haben. "Spekulation gibt es seit ewigen Zeiten, aber es gibt seit etwa fünf, sechs Jahren eine neue Kategorie", erläutert der Professor. Immer mehr Akteure aus der Finanzwelt spekulierten darauf, dass die Agrarpreise weiter steigen. Sie deckten sich auf den Terminmärkten für Getreide mit Kontrakten ein. "Und dieser

Nachfragedruck ist nach unseren Schätzungen für etwa 15 Prozent des jetzigen Preisniveaus verantwortlich", sagt Bass. Das sei für viele Entwicklungsländer eine unhaltbare Situation, weil sie letztlich über die Preise, die auf den Terminmärkten gemacht werden, ihre Importe bezahlen müssten.

Allein die Entwicklung im vergangenen Jahr habe ausgereicht, um weltweit 44 Millionen Menschen in die Armut zu treiben, schätzt die Weltbank. Jeder weitere Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel sorge für eine Zuspitzung der Situation. "Die Grundversorgung mit Nahrung muss oberste Priorität haben, gerade im Hinblick auf jene Menschen, die ohnehin den größten Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen", sagt Weltbank-Präsident Robert Zoellick. Er sieht vor allem die führenden Industrie- und Schwellenländer (G20) in der Pflicht. Die Gruppe müsse die Preisschwankungen unterbinden und die sichere Versorgung mit Lebensmitteln garantieren. Die möglichen Folgen unkontrolliert steigender Nahrungsmittelpreise können laut Zoellick derzeit in vielen nordafrikanischen Ländern beobachtet werden. Der Weltbanker ist wie viele andere Wirtschaftswissenschaftler davon überzeugt, dass die Verteuerung der Brotpreise eine entscheidende Rolle bei der arabischen Revolution gespielt hat.

Neben Spekulation und Klima haben Experten noch einen weiteren Preistreiber für Agrarprodukte ausgemacht: Biosprit. "Die Nachfrage nach Getreide hat in jüngster Zeit vor allem durch den verstärkten Einsatz von Bioethanol einen enormen Schub erfahren", sagt Berend Jürgen Erling. Mittlerweile würden acht Prozent der jährlichen Getreideproduktion zur Herstellung von Bioethanol verwendet. Mit Abstand größter Produzent sind die USA. "Die entscheidende Frage bei Nahrungsmittelpreisen wird in Zukunft lauten: Wie viel wird abgetankt durch die Bioethanol-Industrie?", betont Erling. Auch die Weltbank fordert, die Produktion von Agrar-Sprit zu überdenken. Neben den Menschen in ärmeren Ländern bezahlen nach Erlings Ansicht auch die Verbraucher hierzulande einen hohen Preis für die sogenannte Bioenergie. Zum einen seien Bioethanol-Anlagen hoch subventioniert und damit eine Belastung für den Steuerzahler. Hinzu kämen die insgesamt erhöhten Energiekosten, die durch die Förderung von Agrar-Kraftstoffen entstünden. Und nicht zuletzt müssten auch deutsche Verbraucher damit rechnen, künftig deutlich mehr für ihre Lebensmittel ausgeben zu müssen.

Der Bremer Müller rechnet nicht damit, dass sich die Situation auf dem Markt für Agrarrohstoffe beruhigen wird. "Das stellt uns vor neue Herausforderungen", sagt er. Die Rolandmühle hat auf die neuen Spielregeln reagiert, indem sie ihr Management verfeinert hat. "Wir decken heute auf den Tag genau unsere Mehlkontrakte durch Getreidekontrakte ab", erklärt Erling. Termingebundene Preisvereinbarungen - vor einigen Jahren kaum üblich - sind heute Standard. Durch diese Maßnahmen sieht Erling seinen Betrieb samt seiner 120 Mitarbeiter für die Zukunft gerüstet. "Die Lage erfordert zwar unser ganzes müllerisches Geschick - aber wir haben uns gut auf die Situation eingestellt." Die Zeiten stabiler Getreidepreise, glaubt Erling, sind allerdings ein für alle Mal vorbei.

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