Frankfurt/M.. Die Erwartungshaltung ist immens: Viele Volkswirte trauen allein der Europäischen Zentralbank (EZB) zu, die Märkte dauerhaft zu beruhigen. Morgen könnte von Frankfurt erneut ein starkes Signal ausgehen: Erstmals seit Einführung des Euros 1999 könnte der Leitzins im Währungsraum unter 1,0 Prozent fallen. Die Mehrheit der Ökonomen erwartet eine Zinssenkung um mindestens 25 Basispunkte auf 0,75 Prozent.
Noch billigeres Geld als derzeit könnte der schwächelnden Wirtschaft in vielen Eurostaaten Auftrieb verleihen. Andere wichtige Zentralbanken wie die US-Notenbank Fed, die Bank of England und die Bank of Japan haben ihre Leitzinsen schon seit Langem de facto auf null Prozent gesenkt. Für den Euroraum betonte EZB-Chefvolkswirt Peter Praet in der vergangenen Woche: "Es gibt keine Doktrin, dass der Leitzins nicht unter 1,0 Prozent liegen kann."
Die Notenbank hatte in der Krise mehrfach ihre Handlungsfähigkeit bewiesen. Seit Kurzem müssen Banken aus Euro-Krisenstaaten wie Spanien zum Beispiel noch geringere Sicherheiten für Zentralbankgeld hinterlegen. Der seit November amtierende EZB-Präsident Mario Draghi hatte zuvor betont: "Wir werden solventen Banken bei Bedarf weiterhin Liquidität zur Verfügung stellen."
Doch nun senden die EZB-Mitarbeiter selbst SOS. In einem Brief der Gewerkschaft Ipso an Draghi warnen die Arbeitnehmervertreter vor einem "ernsten potenziellen Risiko für das Tagesgeschäft der EZB". Ipso-Präsident Marius Mager bekräftigte gestern: "Wir haben eine enorme Arbeitsbelastung im Haus. Die Situation ist nicht haltbar." In den Krisen der vergangenen Jahre habe die EZB immer mehr Aufgaben übernommen, ohne dass Personal eingestellt worden sei.
Die "Financial Times Deutschland" hatte zuvor von der Ipso-Umfrage unter 715 EZB-Beschäftigten berichtet. 80 Prozent davon klagen demnach über hohe Arbeitsbelastung, fast 20 Prozent geben an, die Arbeitsbelastung beeinflusse ihr Leben massiv, 16 Prozent halten die Folgen für Gesundheit und Privatleben für "ernst". Nach Einschätzung von drei Vierteln der Zentralbanker handelt es sich um eine anhaltende und keine kurzfristige Belastung. Ebenfalls rund drei Viertel der EZB-Belegschaft machen derzeit Überstunden, wie aus der Umfrage hervorgeht. Jedoch sind wiederum drei Viertel nicht berechtigt, einen Ausgleich für Überstunden zu erhalten. Nach dem Willen der Politik sollen Europas oberste Währungshüter bald noch mehr Aufgaben übernehmen: Angestrebt wird eine einheitliche Bankenaufsicht "unter Einbeziehung" der EZB.