Abbauen, transportieren, aufbauen – hört sich simpel an, aber in der Praxis steht schon ein Umzugsunternehmen manchmal vor unerwarteten Herausforderungen. Und handelt es sich um Industrieanlagen wie Kraftwerke, Zellulosefabriken oder Papiermanufakturen, die verlagert werden, ist eine Logistikkette erreicht, die an Komplexität kaum zu übertreffen ist. Im Markt der sogenannten Betriebsverlagerung nimmt die Dynamik zu – bedingt vor allem durch zunehmende Umweltstandards, die so umgangen werden können, den sprunghaft ökonomischen Anstieg in den Entwicklungsländern und den demografischen Wandel. Welche Schritte für eine erfolgreiche Verlagerung notwendig sind und welche Länder dafür künftig stärker an Bedeutung gewinnen werden, darüber gibt es bislang kaum Literatur. Eine Studie mit Bremer Bezug, die unter der Regie der Beratungsgesellschaft PwC erstellt wurde, soll Orientierung in der Welt der Verlagerungsindustrie geben.
Unternehmen müssen komplexe Abläufe koordinieren können
Genau wie Umzüge finden auch Industrieverlagerungen national und international statt: Mal sind es Zuckersilos, die in Deutschland umziehen, Zementladeterminals, die von Island nach Russland transportiert werden, ein Kraftwerk geht aus Österreich in die Türkei, eine deutsche Textilfabrik nach Indien oder eine chemische Herstellungsanlage wird in Frankreich demontiert und in den USA wieder aufgebaut. „Unternehmen, die solche komplexen Abläufe aus einer Hand koordinieren können, gibt es nur wenige, aber es gibt viele, die das von sich behaupten“, sagt Bartosz Świderek.
Świderek ist Auftraggeber dieser Studie und Vize-Präsident von Pol-Inowex. Das polnische Unternehmen wurde 1991 in Lublin von seinem Vater gegründet, dem Ingenieur Jerzy Świderek. Es ist spezialisiert auf die Demontage und den Aufbau der Industrieanlage am Zielort und arbeitet in diesem Zusammenhang seit Jahren mit dem Bremer Logistiker Alexander Global Logistics zusammen.
„Der Grund für einen Auftrag war schlicht der Klimawandel“
Industrielle Verlagerung sei eine natürliche Investitionskomponente, die es ermögliche, die Produktionseffizienz zu optimieren und zu erhöhen, sagt Świderek. Immer öfter sei dies der Schlüsselfaktor, der es den Firmen möglich mache, die Globalisierung zu ihrem Vorteil zu nutzen sowie sich frei zwischen Orten zu bewegen. Manchmal seien es aber auch Ursachen, die außerhalb dieser Überlegungen liegen. „Der Grund für einen Auftrag war schlicht der Klimawandel“, erzählt Świderek bei der Präsentation der Studie, die in den Räumlichkeiten von Alexander Global Logistics stattfand. Es ging dabei um den Abbau einer Chemiefabrik im Norden Russlands, die vor Jahren auf Eis gebaut wurde, und nur fünf Kilometer weiter auf festem Steinboden wieder aufgebaut wurde. „Durch den Klimawandel wurde das Eis einfach zu dünn.“ Es konnte die Fabrik nicht mehr tragen.
Die Schlüsselrolle sei da ein umfangreiches und integriertes Projektmanagement gewesen, sagt Świderek. Die Mitarbeiter der Fabrik hätten nicht die nötigen Kompetenzen besessen, um so ein komplexes Projekt zu stemmen.
„Bei Verlagerungsprojekten ist der zwischen dem Verkäufer und dem Käufer vereinbarte Zeitrahmen von größter Wichtigkeit“, sagt Jürgen Weyhausen, Projektdirektor bei Alexander Global Logistics, bei der Vorstellung der Studie. Es gebe viele Transport- und Logistikfirmen, die im Bereich industrieller Verlagerung erfahren seien. Es gebe jedoch nur wenige, die sich auf die Prozesse tatsächlich spezialisierten. „Um präziser zu sein: Es gibt zirka 20 bis 30 Firmen in der Welt, die solche Projekte gut realisieren.“
Demontage einer Fabrik nicht schwer
Der Demontage- und Verlagerungsmarkt kenne fast keine Konkurrenz, es gebe hier aber mehrere günstige Firmen ohne Expertise. Es ist nicht schwierig, eine Fabrik zu demontieren. Die Schwierigkeit besteht darin, diesen Prozess so durchzuführen, dass die Anlage erneut montiert werden kann.
Dass sich eine Verlagerung rechnet, ist eine Grundlage für das Geschäft von International Process Plants and Equipment (IPPE). Das Unternehmen handelt mit gebrauchten Maschinen und Fabriken. „Die Konstruktion eines Betriebes dauert vier bis fünf Jahre, die Verlagerung einer gebrauchten Fabrik im Durchschnitt 18 bis 24 Monate, was wesentliche Kosten- und Zeitersparnisse bringt“, sagt IPPE-Präsident Ronald Gale in der Studie. Eine in guten Zustand erhaltene und einem anderen Ort wieder aufgebaute Fabrik funktioniere problemlos über viele Jahre.
Etwa 80 Prozent der Industrieanlage verkaufe IPPE in Entwicklungsländer, die übrigen 20 Prozent gingen in die entwickelten Länder. Nach Ansicht des Unternehmens wird Südostasien in den kommenden Jahren zum wichtigsten Zielort für Verlagerungen. Dort seien die Arbeitskosten verhältnismäßig niedrig, und die Anzahl von Konsumenten wachse ständig. „Diese Region sollte als Hauptfokus für Verlagerungsfirmen und Händler von Fabrikvermögen verstanden werden“, sagt Gale.
Betriebe aus vielen Ländern verlagert
Zur gleichen Erkenntnis kommt die Studie: Die Region Südostasien sei der Region Westasien von vor einigen Jahren ähnlich, als die industriellen Betriebe nach China verlagert wurden. Heutzutage würden zunehmend Betriebe aus Europa, den Vereinigten Staaten, Japan, Korea und China wegen der Verfügbarkeit von billigen Arbeitskosten dorthin verlagert. Diese Region entwickle sich sehr dynamisch.
Die Verlagerung von Industrieunternehmen findet insgesamt aber fast in alle Richtungen statt. So zieht der Rückgang von Energiekosten in den USA energieverbrauchende Industriebetriebe aus Europa und anderen Teilen der Welt an. Ein Beispiel ist der Umzug einer Methanol-Fabrik aus Chile in die USA. Grund waren Ersparnisse durch den geringeren Preis für Energie aus Gas. Diese Kosten machen 50 Prozent der Ethanol-Produktion aus.
Südamerika ähnelt der Region Osteuropa, was die politische, wirtschaftliche und rechtliche Instabilität anbelangt, heißt es in der Studie. Möglicherweise könnte diese Region zu einem bedeutenden Markt für Verlagerungsprojekte werden. Allerdings würden Investoren nach Orten suchen, die politisch und ökonomisch stabil seien und langfristige Operationen garantierten, über die die Region Südamerika nicht verfüge.
In Westeuropa sei der Zufluss von Verlagerungsprojekten viel geringer als derer Abfluss. „Er wird hauptsächlich durch die Änderungen der Gesetzgebung, was die CO2-Emissionen und andere Gesetze zum Schutz der Umwelt anbelangt, verursacht“, schreiben die Autoren der Studie. Die Mehrheit von Industriefabriken, die diese Region verlassen, würden in Richtung Asien, Osteuropa, Südafrika und die Vereinigten Staaten gehen, wo die Energiekosten erheblich niedriger seien.