Geld verlieren? An der Sammlung möglicherweise kaputt gehen, weil er sich übernommen hat, zu viel wollte und nun auf den ehemals teuren Exemplaren sitzen bleibt, die so beträchtlich an Wert verloren haben? „Nein“, sagt Wolfgang Hagemann, „das kann nicht passieren“. Später wird er sagen, dass es doch möglich ist – ja, könnte sein, dass eines seiner geliebten Rigi-Fahrräder oder dieses einzigartige Bianchi oder das eigentümliche und ganz und gar seltene Textima aus der ehemaligen DDR keinen anderen Liebhaber mehr findet.
Ein Markt ist nun mal nur dort, wo Nachfrage ist. Pustekuchen, wenn man dann mal Geld braucht. Ernstlich Sorgen macht sich der Sammler alter Rennräder aber nicht. „Wenn man gut Bescheid weiß und klug einkauft, geht das Risiko gegen null.“ Er ist einer, der dieses Wissen hat, er quillt über davon, wenn man den 55-Jährigen in seinem Haus in Cloppenburg besucht. Ein Fan, Freak und Frickler, der seine Fahrräder schon im Museum ausgestellt hat und jetzt mit einigen der rund 40 Raritäten zur Bremen Classic Motorshow (BCM) kommt, die am Freitag beginnt.
Der Mann ist Werbetechniker, sein Brotberuf, doch die Leidenschaft sitzt woanders, man muss in seinem Haus nur eine Treppe höher steigen, nein, noch nicht einmal das, denn schon unten stehen überall Rennräder, im Flur, im Wohnzimmer, überall. Oben aber geht die Tür zu seinem eigentlichen Reich auf.
Eine Schatzkiste voll mit Fahrradbremsen, Fahrradsätteln, Fahrradpedalen, Fahrradritzeln, mit Schrauben und anderen Kleinteilen jedweder Art, mit Fahrradpumpen, Fahrradrahmen und den Laufrädern dazu. 16 Quadratmeter, die so dicht gefüllt sind, in Regalen, Vitrinen, auf dem Holzfußboden, dass selbst den Laien Ehrfurcht packt. Das hier ist Fahrradgeschichte. Hagemann hat die Teile aus aller Welt zusammengetragen.
Komplette Räder stehen auch da. Am Ende soll aus den Teilen ja immer ein Ganzes werden, und daran arbeitet er in diesem Raum, wenn es Abend geworden ist, bei einem Glas Whiskey, und Musik aus dem Röhrenradio. „Das geht manchmal die halbe Nacht durch.“ Hagemann liebt das, diese Versenkung, Meditation fast, wenn Zeit keine Rolle mehr spielt, und die Gedanken zum Beispiel nur noch darauf gerichtet sind, ein Tretlager auseinanderzunehmen, es zu reinigen und wieder zusammenzusetzen.
Viele andere sind auch schon auf den Trichter gekommen
Eine Geschichte – sie handelt von einem alten Herrn in Aachen, einem ehemaligen Großindustriellen, der sein Rennrad von früher noch in der Garage stehen hatte und es loswerden wollte. Hagemann hat es gekauft, aber das ist noch nicht die Geschichte, nur ihr Ende, sie geht nämlich so: Der alte Herr bietet sein Fahrrad auf Ebay an, es soll 50 Euro kosten, vielleicht, denkt er, findet sich ja ein junger Mensch, der es haben will.
Der Preis steht in der Anzeige, und es gibt ein Foto dazu. „Ich dachte, ich sehe nicht richtig“, erinnert sich Hagemann. Das Rennrad aus den 1970er-Jahren gehört zur Edelmarke Colnago. Der Sammler erkennt an der Resonanz, an den Klicks, dass viele andere auch schon auf diesen Trichter gekommen sind. Wie’s der Zufall will, ist es aber Hagemann, der den Verkäufer ans Telefon bekommt.
Reines Glück. Er weist ihn darauf hin, dass das Rad um ein Vielfaches wertvoller ist. „500 Euro wären immer noch viel zu wenig gewesen.“ Doch der Mann bleibt stur, er geht zwar noch auf 70 Euro hoch, auf 100 schließlich, als Hagemann insistiert, aber dann reicht es ihm: „Nun ist Schluss, junger Mann.“
Die Geschichte der Rennräder kennenlernen
100 Euro und basta; der Vertrag ist besiegelt, am Telefon, Ehrensache. Der Verkäufer bleibt dabei, selbst als danach unzählige Angebote kommen, die deutlich höher liegen. Hagemann will mehr zahlen, als er das Fahrrad aus Aachen abholt, es ist ihm unangenehm. Die Antwort: „Werden Sie nicht unverschämt, junger Mann. Vertrag ist Vertrag.“
Fast 20 Jahre her, dass Hagemann sich reinfuchste in sein Hobby, das mehr und mehr zu seinem Beruf wird. Vorher ist er die Rennräder nur gefahren, jetzt wollte er sie begreifen, ihre Geschichte kennenlernen. „Jemand kam und brachte mir sein Kalkhoff, eine Rennmaschine mit Namen ,Amateur‘, ein Stahlrad, Baujahr 1982. Das stand jahrelang im Hühnerstall und war vollgeschissen.“
Hagemann hatte Urlaub und machte sich dran, „aufmachen und gucken“. Er hat mal Heizungsbau gelernt, kommt also aus einem technischen Beruf und fand schnell die Kniffe, die man braucht, um ein altes, völlig verwahrlostes Rennrad wieder zum Laufen zu kriegen. Doch nicht nur das. Gleich ging er noch einen Schritt weiter, schaute und sah Verbesserungsmöglichkeiten. „Das war die Initialzündung“, sagt der Sammler. Danach ging es los.
"Ein Rad habe ich fünfmal wieder auseinandergebaut"
Wenn er jetzt einen Teil seiner Rennräder in Bremen ausstellt und zwei, drei davon bei der BCM auch zum Verkauf anbietet, berührt das wie bei den alten Autos, die während der Messe gezeigt werden, den Kern aller Sammelei: Was habe ich hier genau? Kopie, Original oder eine Mischung aus beidem?
Für Puristen ist die Sache klar, nur ein einziges fremdes Teil an Fahrrad oder Wagen, und sie wenden sich ab. Im Prinzip richtig, findet Hagemann, und so gut es geht, hält er sich auch dran. Ans Original nur Originalteile. Doch bei den Rennrädern ist das oft ein wenig verzwickt.

Kettenblatt und Kurbel vom italienischen Hersteller Campagnolo. Hagemann kauft auf Vorrat und immer mit einer Idee im Hinterkopf, für was er die Teile verwenden könnte.
„Lange Zeit haben viele Hersteller nur die Rahmen geliefert, aufgebaut wurden die Räder dann bei den Händlern, meist nach Wunsch der Kunden“, weiß der Sammler. Was, bitte, soll dann das Original sein? Drei seiner vier Räder des italienischen Herstellers Rigi sind genau so entstanden. Er hatte die Rahmen und hat sie bestückt. „Ein Rad habe ich fünfmal wieder auseinandergebaut, bis endlich alles stimmte."
Das Gefühl muss stimmen
Was es ist, was stimmen muss, kann er gar nicht so genau sagen. Mehr ein Gefühl, die Aura, sagt er. „Jetzt ist es traumhaft, ultimativ.“ Der Rahmen kommt aus den USA. „New Old Stock“, erklärt Hagemann, Neues aus altem Lagerbestand. 1000 Dollar bei Ebay. Teuer? „Nein, ein Schnäppchen.“
Einen Tag nach dem Gespräch in Cloppenburg ist er nach Hamburg gefahren, Fahrrad abholen – ein Bianchi Centenario, das 1985 zum hundertjährigen Jubiläum des Herstellers in streng limitierter Auflage herausgebracht wurde. Hagemann hatte Kontakt zu einem der früheren Besitzer, über den erfuhr er, in welche anderen Hände es gelangt war.
Dort war das Rad aber auch schon nicht mehr. Also weitersuchen, bis es endlich gefunden war. Die Beharrlichkeit zahlt sich jetzt aus. „Der Besitzer möchte unbedingt, dass es in gute Hände kommt.“ Die Ware, ihr Wert, alles relativ: „In der oberen Liga geht es um mehr als nur um den Preis.“