Es rattert und rotiert. In der großen Produktionshalle herrscht ein ohrenbetäubender Lärm, während in riesigen Maschinen Dutzende Fäden miteinander verdreht werden. Mit dem bloßen Auge folgen? Völlig unmöglich. Doch auch wenn die Maschinen hier die Geräuschkulisse dominieren: Den größten Teil der Arbeit machen bei der Firma Gleistein Ropes die Handwerker. Einer von ihnen ist Paul Beermann, der sich hier zum Seiler hat ausbilden lassen.
Gleistein ist der einzige Betrieb in Bremen, der das Seilerhandwerk lehrt. Drei Jahre lernen die jungen Auszubildenden alles, was es über die Herstellung und den Aufbau von Seilen und Netzen zu wissen gibt. Und das ist eine Menge, sagt Ausbildungsleiter und Seilermeister Wolfram Müller. Schon bei den Rohstoffen und Fasern für die Seile gibt es große Unterschiede. So hat ein Drahtseil einen ganz anderen Nutzen als ein Natur- oder ein Kunststoffseil – und wird entsprechend auch anders hergestellt.
Die wichtigsten Merkmale eines guten Seils sind allerdings die Flexibilität und die Stabilität. Denn nur so können sie auch den Belastungen beim Einsatz auf Schiffen, auf Baustellen oder in Großmaschinen standhalten. All das hat Beermann in den einzelnen Abteilungen bei Gleistein gelernt. Seit 1824 gibt es den Traditionsbetrieb, der in Bremen-Nord ansässig ist.
Damit ist es nach eigenen Angaben das älteste industrielle Familienunternehmen in Bremen. Inzwischen gibt es Zweigstellen in ganz Europa. 100 Mitarbeiter sind in der Bremer Niederlassung tätig. „Vom Rohstoff bis zum fertigen Seil dauert die Herstellung ungefähr drei bis vier Tage“, sagt Müller beim Gang durch die Produktionshallen.
Handarbeit ist gefragt
Für jedes Seil muss zunächst das Garn hergestellt werden. Das findet mit lauter Geräuschkulisse in den großen Maschinen statt, die den vielsagenden Namen Tornado tragen. Darin werden ungefähr 20 Fasern miteinander verdreht, in der Fachsprache wird dieser Prozess auch schlagen genannt. Die einzelnen Garne werden dann erneut zur sogenannten Litze verdreht.
Das sind die einzelnen Stränge, aus denen dann Seile hergestellt werden. Erst, wenn die Litze fertig ist, wird das eigentliche Seil produziert. Und da ist dann Handarbeit gefragt, fernab von den lauten Tornados. In einem ruhigen Produktionsraum nimmt Beermann seine Position an einem langen Tisch ein, vor ihm zahlreiche Stränge von Litze, hinter ihm ein kurzes Stück fertiges Seil.

Vor Paul Beermann liegen zahlreiche Stränge von Litze. Hochkonzentriert schlägt der frühere Auszubildende die einzelnen Bestandteile übereinander – ein Seil entsteht.
Hochkonzentriert schlägt er die einzelnen Bestandteile übereinander, zieht sie fest und fährt prüfend mit der Hand darüber. Diese Präzision ist wichtig. Denn je nachdem wie die einzelnen Bestandteile miteinander verbunden werden, kann das Seil für unterschiedliche Zwecke verwendet werden: für den Klettersport, für Schiffe oder für den Lastentransport.
Selbst Segelsportler
Für die vielen Aufbauformen gibt es entsprechende Fachbegriffe: Mit „Mooring“ werden etwa die Seile bezeichnet, die sieben fest gebündelte Flechtkerne haben, die von einem schützenden Mantel umgeben sind. Die sind dann besonders reißfest. Ein „Square“ ist ein Quadratgeflecht, das aus acht Litzen besteht und deshalb sehr robust und griffig ist.
All diese Begriffe musste Beermann in seiner Ausbildung lernen. Zum Festmachen von Booten, erklärt er, werden zum Beispiel Doppelgeflechte benutzt, die viel Dehnung haben. So reißen sie bei Wellengang nicht sofort ab. Fürs Segeln wird ein Kernmantelgeflecht benutzt, das sich nicht so gut dehnen lässt und dessen Kern große Teile der Last abnimmt.
Mit solchen Seilen kennt sich Beermann gut aus: Er ist selbst Segelsportler. Von dort kam auch sein Interesse für die Ausbildung, sagt der 21-Jährige. Er wollte wissen, wo die Seile, mit denen er bei jedem Segelmanöver hantieren muss, eigentlich herkommen. Also hat er ein Praktikum gemacht und sich danach für die Ausbildung beworben.
Mehr Verantwortung von Lehrjahr zu Lehrjahr
Bei Gleistein gehören die Auszubildenden vom ersten Tag an fest zur Belegschaft. „Sie werden von Anfang an voll eingesetzt“, sagt Müller. Dabei steigere sich von Monat zu Monat der Schwierigkeitsgrad, damit sie auch gut für die Gesellenprüfung vorbereitet werden. Von der Zwirnherstellung bis hin zu den Flechtmaschinen lernen sie alles kennen.
„So können sie von Lehrjahr zu Lehrjahr mehr Verantwortung übernehmen“, sagt der Seilermeister. Wie bei jeder Berufsausbildung steht auch bei den Seilern Schulunterricht an. Für Beermann bedeutete das, Kurse an der staatlichen Berufsschule für Textilberufe im bayrischen Münchberg bei Hof zu besuchen.
Sechsmal im Jahr für jeweils zwei Wochen. Das wichtigste Fach? Mathe, sagt Beermann. Denn nur damit sei es möglich, die Belastungen und die Elastizität zu berechnen. Beermann ist offensichtlich von seinem Beruf begeistert: Wie genau ein Seil für einen bestimmten Nutzen richtig berechnet wird, kann er sofort erklären.
Eine Prüfung wie der Beruf selbst
Sein Ausbildungsleiter Müller nickt anerkennend. „Die Arbeit macht sehr viel Spaß“, sagt Beermann. Dass Gleistein ihn gut gerüstet hat, bewies er im Sommer in seiner Gesellenprüfung, die er mit „gut“ bestanden hat. Dafür musste er erst eine schriftliche Prüfung ablegen, bevor ihm eine betriebsspezifische Aufgabe gestellt wurde.
Dafür fertigte er ein Seil an und flocht an dessen Ende eine Spleiße ein. So wird der Abschluss eines Seils genannt. Dafür wird das Ende aufgetrennt und in einer Schlaufe wieder verflochten. Außerdem musste er in einem Theorieteil zwanzig Meter Seil entwerfen. Eine Prüfung wie der Beruf selbst: Von der richtigen Drehung über den Kern bis zum Flechten in seinem Gesellenstück muss alles stimmen.