Ist es aus Ihrer Sicht ein guter Ansatz, gezielt mehr Frauen in die IT zu bringen?
Gerlinde Schreiber:
Unbedingt ist das wichtig, denn IT ist allgegenwärtig. Es ist nicht richtig, dass Frauen dort immer noch so unterrepräsentiert sind, weil sie natürlich IT genauso wie Männer nutzen. Frauen sollten nicht nur kompetente Nutzerinnen sein, sondern eben auch an der Entwicklung beteiligt.
Warum ist das wichtig? Gucken Sie sich Webauftritte an. Ich finde es schade, dass in der Regel junge Männer diese Seiten konzipieren und die Entwicklung damit immer noch homogen ist. Die Nutzergruppen sind viel vielfältiger als die Entwicklergruppen. Dabei sollte sich die Vielfalt der Nutzer bei den Entwicklern widerspiegeln, damit auf die Bedürfnisse richtig reagiert wird.
Wie sind Frauen in der Informatik an Hochschulen vertreten?
Es kommt immer darauf an. Wenn man Wirtschafts-, Medien- und Medizininformatik dazuzählt, steigt der Frauenanteil bei den Studienplätzen. In der klassischen Informatik liegt er aber immer noch bei unter zwanzig Prozent. Und in Ausbildungsberufen wie der Fachinformatikerin ist das Verhältnis noch schlechter.
Sie bieten den Studiengang Informatik für Frauen schon seit mehr als zwei Jahrzehnten an. Wo liegt eigentlich der Unterschied? Was ist an den Seminaren und Vorlesungen anders?
Inhaltlich ist das überhaupt nicht anders. Der Stoff ist natürlich festgelegt. Aber wir sind im Stil anders. Wir betonen immer, dass man keine Vorkenntnisse braucht – ganz wichtig. Die jungen Frauen bringen nicht unbedingt schlechteres Vorwissen mit, aber ein geringeres Selbstbewusstsein. Da setzen wir an. Frauen sehen häufiger den Makel bei sich, wenn sie etwas nicht verstehen. Wir ermutigen dazu, Fragen zu stellen, denn dafür sind wir als Lehrende da.
Und was sollte man mitbringen als Bewerberin?
Hartnäckigkeit und Frustrationstoleranz. Das ist wichtig, wenn Rechner wieder nicht das machen, was sie sollen, wenn Fehler im Programm zunächst nicht zu finden sind. Und man muss Spaß daran haben, wenn es dann klappt und das als Erfolg empfinden. Informatik ist außerdem nicht nur Programmieren, sondern kann bedeuten, Technik menschengerecht nutzbar zu machen. Zum Beispiel gibt es das große Feld Mensch-Maschine-Interaktion. Informatik heißt auch nicht, immer nur am Rechner zu sitzen und möglichst wenig zu reden.
Ist es eigentlich ein Ziel des Studiengangs, dass er sich am Ende überflüssig macht?
Genau die richtige Frage! Eigentlich arbeiten wir daran, uns abzuschaffen. Sobald der Frauenanteil in der Informatik bei einem Drittel ist, brauchen wir den Studiengang nicht mehr, denn dann hat er seinen Zweck erfüllt. Es gibt Untersuchungen dazu, bis zu welchem Prozentsatz eine Minderheit sich also solche verhält und wahrgenommen wird. Die magische Grenze ist eben ein Drittel. Wir arbeiten daran, dass Frauen auf diesen Anteil kommen.
Was geht den Männern eigentlich derzeit verloren, weil Frauen in der Informatik noch fehlen?
Lehrveranstaltungen sind viel kommunikativer, wenn sie gemischt sind. Vor meiner Arbeit in Bremen im Frauenstudiengang habe ich an der Technischen Universität Clausthal im Harz gearbeitet. Da hatte ich in sieben Semestern in einer einzigen Veranstaltung eine Frau – und sonst nur junge Männer. Wir waren unheimlich schnell und haben viel Stoff geschafft. Ich weiß aber nicht, ob ich ihn so erfolgreich vermittelt habe. In Bremen lehre ich viel interaktiver und frage nach. Ist das klar geworden? Sollen wir noch ein Beispiel anschauen? Ich spreche Studentinnen gezielt an. Das würde ich im gemischten Studiengang nicht machen, weil ich Sorge hätte, jemanden vorzuführen.
Das Gespräch führte Lisa Boekhoff.
Frauen an die Rechner
Das Wirtschaftsressort will mit einem neuen Programm Frauen in die IT bringen – und damit heran an das Feld künstliche Intelligenz. Insbesondere Frauen und Alleinerziehende mit und ohne Migrationshintergrund sollen angesprochen werden. „Grundsätzlich wollen wir mit dem Projekt mehr Arbeitsplätze im IT-Bereich für Nichtakademikerinnen und Nichtakademiker schaffen. In diesem Bereich hat die Branche einen großen Bedarf formuliert“, sagt Ressortsprecherin Kristin Viezens.
Im Gespräch mit dem WESER-KURIER stimmte Senatorin Kristina Vogt (Linke) unlängst der Aussage zu, Instrumente für den Arbeitsmarkt sollten widerspiegeln, dass gerade Frauen in der Krise aktuell eine große Last tragen. „Unbedingt. Jeder Lockdown hat zu einem Rollback in die 50er-Jahre geführt. Frauen sind wieder zu Hause und kümmern sich um die Kinder – vielleicht nebenbei im Homeoffice.“ Frauen seien zudem im höheren Ausmaß vom Lockdown in Gastronomie und Einzelhandel betroffen und damit vom Arbeitsplatzverlust bedroht. „Mein Anliegen ist, dass mehr Frauen in gut bezahlte Berufe wie in der IT kommen.“
Gefördert werden beim Projekt „Fachkräfte für klein- und mittelständische KI-Unternehmen im Land Bremen“ Arbeitslose auf der Suche nach einer Stelle sowie junge Menschen ohne Ausbildung. Ausgerichtet ist das Programm auf Frauen. Insgesamt gibt es 20 Ausbildungsplätze für den Beginn im August. Daneben gibt es 20 Weiterbildungsplätze. Die Umschulungen können kurzfristig starten. Finanziert wird das Programm unter anderem über den Bremen-Fonds mit einer Million Euro. Daran beteiligt sind neben dem Wirtschaftsressort Digitalunternehmen, der Branchenverband Bremen Digitalmedia und die Agentur für Arbeit. Weitere Partner werden gesucht.
Einen Zugang zu Rechnern will auch das IT-Bildungshaus bieten: zum Programmieren und Softwareentwickeln. Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung dürfen sich die Absolventen der Weiterbildung nach zwei Jahren nennen. Zu ihr gehört auch ein längeres Praktikum. Das Bildungshaus ist beim Unternehmen HEC in der Überseestadt untergebracht. Teilnehmer können sich hier gegen Bildungsgutscheine vom Jobcenter oder der Arbeitsagentur weiterbilden oder umschulen lassen.
Gabi Rosenbaum ist für das IT-Bildungshaus mitverantwortlich. Der Frauenanteil der Teilnehmer liege in Vollzeit bei 25 Prozent. In der Teilzeitumschulung seien mehr Frauen vertreten. In diesem Fall dauert die Weiterbildung drei Jahre. HEC gehört zu Team Neusta. Viele Teilnehmer sind nach dem Abschluss in der Gruppe geblieben. „Denen gefällt es bei uns“, sagt Gabi Rosenbaum. Es gebe aber auch von anderen Unternehmen Nachfragen, weil sie auf der Suche nach Personal seien. Insgesamt kommt das Bildungshaus seit 2016 auf 100 Teilnehmer. Im Juli starten die nächsten Durchgänge.
Gerlinde Schreiber begleitet den Frauenstudiengang seit Anfang an und leitet ihn seit 2010. In Kiel hat Schreiber Informatik studiert und in Oldenburg promoviert. Nach Stationen bei Siemens und an anderen Hochschulen lehrt sie in Bremen.
Internationale Ausrichtung
In Deutschland ist die Zahl der Studiengänge gezielt für Frauen überschaubar. An der Hochschule Bremen wird Informatik für Frauen seit mehr als zwei Jahrzehnten angeboten. Das Studium mit jährlich 30 Plätzen ist international ausgerichtet: Studentinnen müssen auch ins Ausland gehen. Wer sich für das Studium interessiert, sollte sich auf der Homepage der Hochschule informieren. In Wien gibt es ebenfalls Informatik für Frauen – laut Gerlinde Schreiber nach dem Bremer Vorbild.
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