Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Interview über die Branche der Geldtransporte "Die Angst vor einem Überfall fährt immer mit"

Mehr als einmal pro Woche gab es 2019 in Deutschland einen Überfall auf einen Geldtransporter. Verdi-Gewerkschaftssekretär Nils Wolpmann spricht über den Druck der Beschäftigten und der Branche.
05.07.2021, 19:26 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Florian Schwiegershausen

Herr Wolpmann, wer arbeitet als Geldtransportfahrer oder Geldsortierer?

Für Bremen können wir von mindestens 200 Beschäftigten ausgehen. Die genaue Zahl lässt sich nur bedingt bestimmen, weil einige der Unternehmen im niedersächsischen Umland angesiedelt sind. Von diesen Beschäftigten müsste man also noch eine ganze Reihe hinzuzählen, weil von denen viele in Bremen arbeiten. Zu den Beschäftigten selbst: Es gibt da eine hohe Anzahl an Quereinsteigern, die vorher in einem anderen Beruf tätig waren. Es gibt aber auch viele Kolleginnen und Kollegen, die den Beruf quasi von der Pike auf gelernt haben.

Es soll auch Mitarbeiter geben, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im ursprünglichen Beruf arbeiten konnten, dafür aber im Geldtransport.

Man darf die Anforderungen im Geld- und Wertbereich nicht unterschätzen, denn wie in anderen Bereichen der Sicherheitsbranche erfordert sie stetige Wachsamkeit. Das liegt nicht zuletzt an den hohen Geldsummen, die zu transportieren sind. Außerdem verrichten die Kollegen ihren Dienst auch mit Schusswaffen. Schließlich gibt es hier ja ein erhöhtes Gefährdungspotenzial.

Inwiefern?

Die Angst vor einem Überfall fährt immer mit. Auch wenn die Zahlen in den letzten zehn Jahren rückläufig sind, kam es dennoch alleine 2019 zu 65 Überfällen auf Geldboten in Deutschland. Sowas hat man natürlich im Hinterkopf. Die Mitarbeiter sind somit zwangsläufig in ständiger Sorge um ihre eigene körperliche Unversehrtheit, wie auch der ihrer Kollegen. Vor allem in den skandinavischen Ländern wie beispielsweise in Schweden ist das anders. Denn die technischen Sicherheitssysteme sind so aufgebaut, dass man gar keine Möglichkeit mehr hat, dieses Geld zu klauen. Wenn doch, würde das Geld sofort unbrauchbar werden, indem es beispielsweise eingefärbt wird.

Und hier bei uns?

Das ist hier häufig anders. Daher ist es für die Kollegen vor Ort immer ein Thema, was ihr subjektives Sicherheitsgefühl angeht. Angesichts der Überfallzahlen fühlt man sich als Beschäftigter in einer ständigen Alarmbereitschaft, wenn man Dienst tut.

Dadurch entstehen Druck und Stress.

Viele Kollegen berichten, dass sie ihren Job als belastend empfinden. Neben der Gefahr gibt es natürlich noch andere Belastungen wie oftmals Zeitdruck, Arbeitsverdichtung und lange Schichten. Aber auch mangelnde Anerkennung ist immer wieder ein Thema. Dazu kommt auch noch: Die Kollegen im Außenbereich brauchen eine Waffensachkunde. Dadurch unterstehen sie einer erhöhten Kontrolle seitens des Gesetzgebers, was ja auch richtig ist, aber eben auch mehr Verantwortung mit sich bringt.

Was ist typisch für die Branche?

Wie der Handel haben wir es hier mit einer sehr umkämpften Branche zu tun. Da herrscht an mancher Stelle ein rauer Wind. Es gibt eine hohe Konkurrenz zwischen den Betrieben und führt wiederum zu Druck bei den Beschäftigten. Nicht zuletzt die Lohnkosten haben Auswirkungen auf die Profite.

Den Druck macht sich die Branche also selbst?

Die Firmen sind Dienstleister, und die buhlen um Kunden. Im Dienstleistungsbereich allgemein sind die Kosten der Arbeitskraft die große Stellschraube. In der allgemeinen Bewachung geben die Arbeitgeber an, dass von den Kosten, die auf einer Rechnung stehen, um die 90 Prozent den Lohnkostenanteil ausmachen. Im Bereich Geld und Wert wird das zwar weniger sein, weil der Materialeinsatz, also Fahrzeuge, Ausrüstung, Sicherungssysteme für die Geldlagerung, höher ist. Die Tendenz ist aber klar.

Wie ist es für die Firmen, bei einem solchen Druck die Sicherheitsbestimmungen einzuhalten?

Ich glaube, dass die Kollegen das sehr gewissenhaft machen und jeden Tag ihr Bestes geben. Dafür müssen aber auch die Rahmenbedingungen stimmen. Gute Arbeit und gute Arbeitsbedingungen bedingen sich gegenseitig.

So zahlreich wie vor zwei Jahren beim Streik hatte man die Beschäftigten aus der Branche noch nie auf der Straße gesehen.

Ich glaube, es war beim Streik vor zwei Jahren das erste Mal, dass man die Kollegen in der Bremer Öffentlichkeit in der Form wahrgenommen hat. Damals haben die Kollegen sehr eindrücklich gezeigt, wie wichtig ihre Arbeit für ein reibungsloses Funktionieren des Warentausches ist. Einige leere Bankautomaten haben das sehr eindrucksvoll verdeutlicht. Beim neuen Tarifvertrag im vergangenen Jahr wurde übrigens aus Rücksicht gegenüber der Corona-Situation nicht lang verhandelt.

Welche Aktion gab es sonst von Verdi letztes Jahr?

Vor knapp einem Jahr haben die gewerkschaftlich aktiven Kollegen auf das Problem der sogenannten Ein-Mann-Logistik aufmerksam gemacht. Wir wollen sicherstellen, dass die Fahrzeuge beim Be- und Entladen immer mit einer weiteren Person besetzt sind.

Gibt es solche Überlegungen in diese Richtung?

Das Thema beschäftigte uns damals schon länger, Stichwort Einsparung von Lohnkosten. Die Sicherheit der Wertgegenstände der Kunden soll gewährleistet werden. Aber das hat seinen Preis und darf nicht zum Sicherheitsfaktor der Kollegen werden.

Diese Branche ist auch abhängig davon, dass in Zukunft weiterhin mit Bargeld gezahlt wird. Irgendwann wird ja aber in Deutschland der Zeitpunkt kommen, wo das Bargeld dem Ende geweiht ist.

In anderen Ländern ist diese Entwicklung ja deutlich weiter. Hier bei uns habe ich den Eindruck, dass viele Menschen weiterhin am Bargeld festhalten. Durch Corona gab es in der Branche auch für eine Zeit lang Kurzarbeit. Mittlerweile ist das Bargeldgeschäft aber wieder angelaufen und das Arbeitsaufkommen hoch.

Verdi müsste dann ja im Sinne seiner Mitglieder auch ein Interesse daran haben, dass die Menschen noch möglichst lange mit Geld bezahlen.

Aus Sicht der Branche ist das definitiv so, denn das ist die Grundlage für ihre Arbeit.

Das Gespräch führte Florian Schwiegershausen.

Zur Person

Nils Wolpmann (33) ist seit Dezember 2019 bei Verdi im Bezirk Bremen-Nordniedersachsen der zuständige Gewerkschaftssekretär für den Fachbereich Besondere Dienstleistungen. Dazu gehört die Branche der Geld- und Werttransporte.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)