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Mittelsmann zwischen Export und Import Gerd Boschen war 45 Jahre lang Kaffee-Agent

Bremen. Ein kurzes Nippen an der Tasse genügt, dann weiß er: "Der ist okay". Ob Robusta oder Arabica-Bohne? Kein großes Rätsel für Gerd Boschen. Der 79-Jährige ist ein Kaffee-Experte durch und durch.
01.04.2012, 05:00 Uhr
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Gerd Boschen war 45 Jahre lang Kaffee-Agent
Von Timo Sczuplinski

Bremen. Ein kurzes Nippen an der Tasse genügt, dann weiß er: "Der ist okay". Ob Robusta oder Arabica-Bohne? Kein großes Rätsel für Gerd Boschen. Auch dass der Kaffee, der dort vor ihm steht, entkoffeiniert ist, erkennt er – ohne gleich einen Blick unter die Tasse zu riskieren. Der 79-Jährige ist ein Kaffee-Experte durch und durch. Genau 45 Jahre hat er sein Geld als Kaffee-Import-Agent verdient und so seinen Teil dazu beigetragen, dass die Menschen in Deutschland mit ihrem geliebten Kaffee versorgt wurden.

Für manche Menschen ist eine Tasse frisch gebrühter Kaffee eine Grundvoraussetzung dafür, dass ein Tag überhaupt ein guter werden kann. Für andere ist er einfach nur das Mittel zum Schnack mit Kollegen und Freunden. Er soll müde Menschen munter machen und sogar eine antidepressive Wirkung besitzen. Als Gerd Boschen 1956 als Agent begann, war Kaffee ein Luxusgut. "Das Kapital der Importfirmen reichte oft nicht aus, um größere Mengen einzukaufen. Zudem fehlten Devisen", erinnert sich Boschen. Der Durst der Leute hingegen war groß.

Eigentlich wollte er nie Agent werden, sagt Gerd Boschen. Eigentlich wollte er ins Exportgeschäft. Sein Seniorchef Nikolaus Reuter, selbst ein erfolgreicher Kaffee-Agent, machte ihm damals jedoch ein Angebot, das er einfach nicht ausschlagen konnte. Eine besonders gute Bezahlung winkte, obwohl er kaum Warenkenntnis hatte. Seine Plattdeutsch-Künste, die damals noch recht verbreitete Handelssprache, sei zu Berufsbeginn sein großer Vorteil gewesen. Später war er dann Teilhaber an der Agentenfirma des Seniorchefs und bald darauf selbst ihr Leiter.

Bremen ist der Mittelpunkt

Der Bremer Kaffee-Agent wusste schnell, wie die Bohne von der Plantage den Weg in die Kaffeetasse der Leute findet – und wie auch er selbst davon profitieren konnte. Eigentlich hört es sich auch ganz simpel an. Vom Kaffeebauern geht die geerntete Bohne an den Exporteur, der sie wiederum an die Importhändler und die Importröstereien verkauft. Rösten, verpacken, ab in den Laden und von dort in die Tasse. "Der Agent ist der Mittelsmann zwischen Export und Import", sagt Boschen. Er vermittelt die Kontakte, initiiert die Kontrakte und erhält bei erfolgreichem Abschluss eine Kommission.

Um guten Kaffee von verlässlichen Exporteuren anbieten zu können, reiste Boschen in der ganzen Welt herum. Zunächst als Spezialist für ostafrikanische Bohnen, später war er dann auch im Brasil-Geschäft unterwegs. Es zog ihn nach Süd- und Mittelamerika. Brasilien, Peru, Ecuador, Mexiko – immer auf der Suche nach neuen Kaffeeanbietern und somit neuen Geschäftspartnern für die deutschen Importeure.

Die Schwierigkeit bestand vor allem darin, an die wichtigen und entscheidenden Leute heranzukommen. "Das war manchmal ein Kunststück. Dass es mir oft so gut gelungen ist, darüber habe ich mich selbst hin und wieder gewundert", sagt Boschen. Eine andere Hürde war es, den Handelspartnern glaubhaft zu vermitteln, dass er gute Kontakte nach Europa habe und vor allem auch in Bremen ein großes Kaufpotenzial vorhanden ist. "Viele hatten nur Hamburg als größten Handelsplatz im Kopf. Aber in Bremen war und ist der Mittelpunkt der Kaffee-Industrie", sagt Boschen. Jacobs, Hag, Ronning (jetzt Melitta) – die großen Kaffeeröstereien waren und sind hier zu Hause. Noch heute schicken selbst amerikanische Händler ihre Bohnen zur Veredelung an die Weser, weil nur hier das Verfahren so gut beherrscht wird.

Über 50 verschiedene Kaffeeerzeugerländer gibt es mittlerweile, schätzt Boschen. "Es dauert fünf bis zehn Jahre bis man die Unterschiede und Qualitäten erkennen und bewerten kann." Qualität einschätzen und Vertrauensverhältnisse zu den Händlern aufbauen – das war eine Voraussetzung für erfolgreiche Geschäfte des Agenten Boschen. Früher ging er oft mit zwei großen Ledertaschen durch die Bremer Straßen. In ihnen befanden sich sogenannte Kaffeemuster, die gerade frisch am Flughafen angekommen waren und mit denen Boschen die Ware eines Exporteurs dem Einkäufer schmackhaft machte. "Heute erfolgt das fast nur noch über Beschreibung." Muster, also Beispiel-Bohnen gewissermaßen, kommen hauptsächlich bei abweichender Qualität zum Einsatz.

Dass Gerd Boschen in seiner Freizeit als Rentner mittlerweile fast nur noch koffeinfreien Kaffee trinkt, hängt auch mit seiner Gesundheit zusammen. "Hoher Blutdruck", sagt er halb seufzend, halb schmunzelnd. "Vielleicht habe ich den vom vielen Stress mitbekommen." Der hat sich in den letzten Jahren im Handel mit den Genussbohnen enorm erhöht. "Früher konnte sich ein Agent erlauben, sich in seinem Büro in Ruhe eine gute Brasil-Zigarre anzuzünden und eine Tasse Kaffee einzuschenken." Dann der Griff zum Fernschreiber, zum Faxgerät oder zum Telefon, um sich bei der Kundschaft zu erkundigen, ob denn Aussicht auf ein Angebot bestehe. Gab diese eines ab, hatte das anfangs schon mal einige Wochen Bestand.

Immer erreichbar

Heute ist das anders. Kaum Zeit zum Mittagessen. Ein Agent muss immer für die Händler erreichbar sein, wenn diese ihre Preise zu einem x-beliebigen Zeitpunkt fixieren wollen – den Kauf- oder Verkaufsvertrag also festzurren wollen. In der einen Hand hält der Agent dann oft den Hörer mit dem Käufer am anderen Ende, am zweiten Apparat hängt der Verkäufer in der Leitung. Dann wird "in line", so nennen es die Händler, gefeilscht."Früher war ein vereinbarter Preis ein ‚Echt-Preis‘. In den 90er-Jahren kam die Bindung an die Börsen. Man kauft seitdem zu einem Auf- oder Abschlag." Die Preise orientieren sich an den Terminmärkten in New York für die Arabica-Sorte und in London, wo die Preise für Robusta gehandelt werden. "Die ändern sich quasi minütlich. Es regiert die Uhr", sagt Boschen.

Es herrscht ein enormer Preiskampf. Gerade bei einem Überangebot würden die Käufer versuchen, die Preise zu drücken. "Und darunter haben dann auch die Pflanzer zu leiden. Gerade die Kleinbauern", sagt Boschen. Die Masse der Verbraucher kaufe eben immer noch lieber günstige Produkte und nicht die teuren, hochwertigeren. "Der Konsum der meisten ist extrem preisorientiert", sagt er. Andererseits, so glaubt Gerd Boschen, würde auch nicht weniger Kaffee verkauft werden, wenn der Preis pro Pfund statt 3,50 bei 6,50 Euro läge. Der Kaffeedurst der Menschen sei einfach zu groß, als dass sie darauf verzichten würden. Kaffee ist mittlerweile der am zweitmeisten gehandelte Rohstoff der Welt, gleich nach dem Erdöl.

85 Prozent des Marktes, schätzt Boschen, werden mittlerweile von den großen Röstereien Tchibo, Aldi, Dallmayr, Nestle und Melitta beherrscht. Auch von den einst so vielen Handelsfirmen sind nur wenige übrig geblieben. In Hamburg waren die Büros der Speicherstadt einst ausschließlich von Kaffeefirmen besetzt. In Bremen gab es über 20 Agentenfirmen. "Heute sind es nur noch eine oder zwei", sagt Boschen. Die Bedingungen sind schlechter geworden. Zwar werden heute viel größere Mengen an Kaffee umgesetzt, allerdings bei gedrückten Kommissionssätzen und niedrigen Devisenkursen. Sein Leben noch einmal als Kaffee-Agent leben? "Ich würde es wieder machen", sagt Gerd Boschen.

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