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Das Bremer Bankhaus ein Jahr nach Ende Neue Anzeige nach Greensill-Insolvenz droht

Am 3. März 2021 machte die Bafin die Bremer Greensill Bank dicht, um weitere Geldabflüsse zu verhindern. Wie nun ein Jahr später mehr als 30 geschädigte Gemeinden um ihr Geld kämpfen.
02.03.2022, 17:51 Uhr
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Neue Anzeige nach Greensill-Insolvenz droht
Von Florian Schwiegershausen

Karlheinz Endres wohnt in der Gemeinde Vaterstetten östlich von München. Mehr als 30 Jahre hat er bei einer Bank gearbeitet und genießt eigentlich seinen Lebensabend. Doch ein Vorfall von vor einem Jahr hat ihn wohl zu einem der eifrigsten E-Mail-Schreiber seiner Gemeinde werden lassen. Am 3. März 2021 machte die Bafin als deutsche Finanzaufsicht die Bremer Greensill Bank dicht. Gleichzeitig trudelte bei der Bremer Staatsanwaltschaft eine Anzeige wegen Bilanzfälschung gegen das Geldinstitut ein. Gut zwei Wochen später wurde schließlich der Insolvenzantrag gestellt.

Die Anleger: Mehr als 22.000 Privatanleger bangten um ihr Erspartes. Doch das war durch den Einlagensicherungsfonds der deutschen Banken abgesichert. Anders sah es bei den Investments aus, die die mehr als 30 Städte und Gemeinden bei dem Bremer Bankhaus getätigt hatten. Die insgesamt 103 Millionen Euro, die der NDR, der SWR und der Saarländische Rundfunk angelegt hatten, waren dagegen abgesichert. Denn wenn Anstalten des öffentlichen Rechts Gelder für eine Zeit von nicht mehr als 18 Monaten anlegen, war dieses Investment über den Bankenfonds abgesichert.

Sie alle waren Kunde bei der Greensill Bank, weil die für Tages- und Festgelder wesentlich mehr Zinsen boten als andere Geldinstitute - in Zeiten von Minuszinsen eine Möglichkeit, den Wert der Rücklagen zu erhalten und nicht zu schmälern. So müssen beispielsweise öffentlich-rechtliche Sender Rücklagen für die Pensionen ihrer Beschäftigten bilden. Eine ganze Reihe von Privatkunden wurden durch die Internetportale Weltsparen.de und Zinspilot.de auf Greensill aufmerksam.

Das Risiko: Was all diese Anleger nicht wussten: Das Geld diente vor allem dazu, die Lieferketten-Geschäfte des Australiers Lex Greensill zu finanzieren. Das Risiko der Bank war also alles andere als weit gestreut. Und nun kämpft Karlheinz Endres als pensionierter Banker nicht um Geld, das ihm gehört, sondern um das seiner Gemeinde. Stellvertretend für den Gemeinderat hat er sich in den Fall eingearbeitet. Im Verwaltungsjargon nennt man das "kundiger Bürger".

Das Problem aller Kommunen: Sie sind in der Kette der Gläubiger, die mit Geld zu bedienen sind, ganz am Ende. Bei der Gläubigerversammlung vergangenen Juni in der Glocke sagte Insolvenzverwalter Michael Frege von der Kanzlei CMS Hasche Sigle, dass das Geld der Kommunen nicht verloren sei. Frege kümmerte sich bereits um die Insolvenz von Lehman Brothers in Deutschland. Er sagte, dass die Kommunen irgendwas wiederbekommen werden. Wann das sei und in welcher Höhe, sei nicht absehbar.

Für die betroffenen Städte und Gemeinden bedeutet das, andere Anknüpfungspunkte zu finden, über die sie zusätzlich ihr verlorenes Geld eintreiben können. Und da gibt es einen Punkt, über den sich Endres bis heute wundert: Die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt bisher wegen Bilanzfälschung. Wegen Insolvenzverschleppung ermittelte die Behörde aber nicht, wie auch die wiederholten Anfragen des WESER-KURIER ergaben. Er wundert sich, warum es bisher nicht dazu gekommen ist: „Wenn es eine Überschuldung bei gefälschten Bilanzen gegeben hat, sollte man doch auch darauf schauen, wann es zur Überschuldung bei der korrekten Bilanz gekommen wäre.“ In seinem Berufsleben hatte Endres auch mit überschuldeten Firmen zu tun.

Mögliche Insolvenzverschleppung: Sollte dem ehemaligen Bankvorstand eine Insolvenzverschleppung nachgewiesen werden, dann wäre das zum Beispiel für die Stadt Nordenham von elementarer Bedeutung. Denn die hatte erst kurz vor der Schließung der Bank durch die deutschen Finanzaufsicht Bafin zehn Millionen Euro investiert - das war am 17. Februar 2021. Hier wäre ein Ansatzpunkt, den Schaden bei der Haftpflichtversicherung des ehemaligen Bankenvorstands geltend zu machen. Endres weiß allerdings aus seinem Berufsleben, dass es da auch die entsprechende Energie der Staatsanwaltschaft brauche, um den Punkt zu erfassen, an dem bereits die Überschuldung gedroht hätte. Außerdem sei doch der Zeitpunkt der Überschuldung viel einfacher zu ermitteln, als sich durch die Bilanzen der Bank durchzuarbeiten.

Nordenhams Bürgermeister Niels Siemen (parteilos) sieht dort Chancen. So bereitet die internationale Wirtschaftskanzlei Devons unter anderem für die Stadt in der Wesermarsch und andere Kommunen entsprechende Klagen vor. "Eigentlich hätte bereits am 22. Dezember 2020 die Insolvenz festgestellt werden müssen", sagt Siemen aufgrund der Einblicke, die die Rechtsanwälte ins Verfahren haben. Entsprechend bereitet Devons eine Klage gegen die sogenannte D&O-Versicherung des ehemaligen Vorstands vor. Dabei handelt es sich um eine Art Haftpflichtversicherung. Siemen sagt: "Wir werden erst mal den Weg einer Teilklage gehen." Sollte das erfolgversprechend aussehen, werde man eine weitere Klage über eine größere Summe nachlegen.

Sollte Nordenham nicht zusätzlich Anzeige bei der Bremer Staatsanwaltschaft wegen Insolvenzverschleppung stellen – die Gemeinde Vaterstetten wolle das wohl machen, sagt Karlheinz Endres.  Eigentlich möchte er gar nicht so sehr im Mittelpunkt stehen, seine Arbeit sieht er eher als Bürgerpflicht für seine Gemeinde an. Endres hat den Eindruck, dass die Bremer Staatsanwaltschaft sonst niemals von sich aus dieser Straftat hinterhergehen werde. Der Sprecher der Bremer Staatsanwaltschaft, Frank Passade, sagte dem WESER-KURIER: "Die Ermittlungen wegen Insolvenzverschleppung sind bei uns nachrangig. Im Vordergrund stehen weiterhin die Ermittlungen wegen Bilanzfälschung." Ermittelt wird unter anderem gegen den ehemaligen Vorstand der Bank.

Karlheinz Endres gibt sich damit nicht zufrieden. Der Rentner wird auch weiterhin mit seinen Mails den Menschen rund um diesen Fall unangenehme Frage stellen.

Zur Sache

Die drohenden Strafen

Bei Insolvenzverschleppung und der Verschleierung dessen in den Bilanzen kann laut Paragraph 283, Strafgesetzbuch, eine Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft drohen. Bei der Verletzung der Buchführungspflicht droht dagegen laut Paragraph 283b eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Haft. Strafen bis zu zwei Jahren Haft werden in vielen Fällen zur Bewährung ausgesetzt.

Karlheinz Endres gibt sich damit nicht zufrieden. Der Rentner wird auch weiterhin mit seinen Mails den Menschen rund um diesen Fall, der für die Bremer Staatsanwaltschaft wohl Ausmaße in einem bisher nicht dagewesenen Rahmen darstellt, unangehme Frage stellen.

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