Bremen. Überlastete Häfen, Staus auf den Zufahrtsstraßen und Schienenstrecken, fehlende Flächen für Expansionen, Beschränkungen durch Raumordnung und Druck der Anwohner wegen der Umweltbelastung - es gibt gute Gründe, die wachsenden Warenströme anders zu organisieren und schon im Hinterland zu bündeln. Vor allem die Niederländer bauen Hinterlandterminals strategisch aus, um ihre Marktposition zu verstärken.
Noch im Sommer 2008 schienen die Häfen aus allen Nähten zu platzen. Die Containerterminals waren voll, auf den Zufahrtswegen zu den Häfen stauten sich Laster und Züge. Damals entstand der Plan, Terminals im Hinterland anzulegen, um die Häfen zu entlasten. Als 2009 der Umschlag einbrach, gab es an der Wasserkante zwar wieder mehr Luft, aber alle Experten gehen davon aus, dass die Containermengen langfristig weiter steigen. 2011 hat Bremerhaven mit fünf Millionen umgeschlagener Container wieder Vorkrisenniveau erreicht, schneller als gedacht. In den anderen Häfen sieht es ähnlich aus.
Trotz der aktuellen Schuldenkrise wird weiter mit einem wachsenden Welthandel gerechnet. 90 Prozent dieser Waren kommen per Schiff. Hinterlandterminals bleiben also ein wichtiges Thema und führen sogar zu Kooperationen zwischen Konkurrenten, wie etwa zwischen Eurogate und dem staatlichen Hamburger Umschlagsunternehmen HHLA, die in einem gemeinsamen Joint-Venture solche Containersammelstellen entwickeln.
Daneben entwickeln beide Umschlagsunternehmen aber auch ihre eigenen Hinterlandnetzwerke mit Hochdruck weiter. Die HHLA setzt vor allem auf Südosteuropa und die schnelle Bahnverbindung zwischen Hamburg und Prag. Über diese Drehscheibe werden die Waren in der Region weiterverteilt. "Der Ausbau der Hinterlandanbindung gehört klar zu Strategie der HHLA", sagt Sprecher Mark Krümpel. "Die Reeder erwarten, dass die Container möglichst schnell aus dem Hafen heraus und zu den Kunden gelangen." Hinterlandterminals, eingebunden in ein leistungsfähiges Logistiknetzwerk, seien deshalb ein entscheidender Wettbewerbsvorteil in der Hafenkonkurrenz.
Mehr als ein Stapelplatz
Dabei geht es nicht nur um Stapelplätze für die großen Frachtkisten. Es geht auch darum, Kapazitäten gemeinsam besser zu nutzen, unnötigen Verkehr zu vermeiden und den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Deshalb fördert die Europäische Kommission im Rahmen des Nordseeprogramms Interreg Projekte zur Entwicklung von Hinterlandterminals, sogenannter Dryports. Die wissenschaftliche Begleitung hat das Institut Arbeit und Wirtschaft (IAW) der Universität Bremen übernommen. Günter Warsewa und Jochen Tholen haben mit ihrem Team Konzepte im britischen Felixstowe, in Göteborg und Falköping in Schweden, im belgischen Zeebrügge sowie in Bremen und Bremerhaven untersucht. Die Ergebnisse werden am 14. Februar im Rahmen eines Colloquiums im IAW diskutiert.
"Es gibt im Wesentlichen zwei Motive für die Einrichtung von Dryports: die Erwartung eines weiter wachsenden Welthandels mit steigenden Warenmengen und die Hoffnung auf Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Häfen", sagt Tholen. Die von der EU auch gewünschte stärkere Kooperation der Häfen untereinander finde aber nur da statt, "wo es eine Win-win-Situation gibt, wo beide Partner sich Vorteile versprechen". Nachhaltigkeit und Vermeidung von CO2-Emissionen seien eher Nebeneffekte. Vor allem die Niederländer würden ihre Aktivitäten im Hinterland gezielt verstärken, um Warenströme möglichst früh nach Rotterdam zu lenken, beziehungsweise möglichst viele Waren von Rotterdam Richtung Süden und zunehmend auch in den Südosten zu verteilen.
Durch den Ausbau des Tiefwasserhafens Maasvlakte 2, der vor der Küste von Rotterdam im Meer aufgespült wird und ein Jahr nach dem Jade-Weser-Port (JWP) in Betrieb gehen soll, muss mit noch mehr Verkehr auf dem schmalen Damm vom Festland bis zur Wasserkante gerechnet werden. Deshalb, so Tholen, werde Amsterdam immer mehr zum "Extended Gateway", zum vorgezogenen Hafentor, für Rotterdam. Auf der Südschiene planen die Niederländer schon länger, Duisburg zu einem großen Umschlags- und Sammelplatz für Waren von und nach Österreich und Italien und in die Balkanstaaten zu machen. Der Bund will seine Anteile am Duisburger Hafen verkaufen. Eine Entscheidung gibt es nach Auskunft des Finanzministeriums aber noch nicht. Auch in der Nähe von München soll ein Dryport entstehen, um Südosteuropa noch gezielter beliefern zu können.
Rotterdam ist mit über elf Millionen umgeschlagener Container Marktführer in Europa und will es auch bleiben. Deshalb, so Tholen, blicken die Niederländer mit besorgtem Interesse auf den Jade-Weser-Port, auch wenn der zunächst nur für maximal zwei Millionen Container im Jahr ausgelegt ist. Aber die sollen vor allem von den neuen großen Schiffen mit Ladekapazitäten ab 14500 TEU (Standardcontainereinheiten) kommen. "Damit bricht Wilhelmshaven das Monopol von Rotterdam", sagt Tholen. Zumal der Jade-Hafen bereits Dumping-Gebühren für die ersten Jahre angekündigt hat. Der Konkurrenzkampf ist inzwischen so hart, dass auch um kleine Mengen gerungen wird.
Erfolgreiche Kooperation
Die kleineren Häfen in Friesland wie Groningen und Emmen/Coevorden dagegen orientieren sich nach Westen. Sie bemühen sich um Anschluss an den JWP auf dem Wasserweg und wollen über den Ausbau des Küstenkanals den Zugang zur Warenverteilung über Wilhelmshaven erreichen. Eine Finanzierung scheint aber illusorisch, zumal der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer derzeit kein Interesse am Ausbau von Wasserstraßen hat.
Eine erfolgreiche Kooperation haben die Bremer Wissenschaftler zwischen den beiden belgischen Häfen Zeebrügge und Antwerpen ausgemacht. Hier wird ein hafennaher Dryport gemeinsam genutzt, um den Hinterlandverkehr Richtung Nordfrankreich besser auszuschöpfen. Für Bremen/Bremerhaven wurde vor allem die Zusammenarbeit zwischen Hafen und Güterverkehrszentrum untersucht.
Wenig Bewegung konnten die Wissenschaftler in Felixstowe ausmachen. Das britische Konzept hat kaum die Papierform verlassen. Die Ambitionen von Falköping in Schweden, zum Dryport von Göteborg zu werden, stoßen dort auf gedämpftes Interesse. Tholen und Warsewa gehen aber davon aus, dass die Bedeutung dieses Binnenterminals mit der Fertigstellung der Fehmarnbelt-Brücke deutlich wachsen könnte. Falköping sieht sich dann sogar als möglichen Partner für Hamburg.
Nutzungskonflikte vermeiden
Das Fazit der Bremer Wissenschaftler: Hinterlandterminals können einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Häfen durch Verlagerung und Optimierung des Verkehrs leisten. Sie können auch die lokale Wirtschaft fördern, weil die Terminals von Logistikunternehmen bewirtschaftet werden müssen und ein Teil der Waren zudem vor Ort veredelt wird. Durch den strategischen Ausbau von Dryports kann zudem der Marktzugang in bestimmten Regionen verbessert werden. Das funktioniert aber nur, wenn sie in effektive Logistikketten eingebunden sind, wenn es gelingt Nutzungskonflikte zwischen Anwohnern, Unternehmen und staatlichen Interessen auszugleichen und sie in eine langfristige Strategie eingebunden werden.