„Katastrophal“, sei die Lage, sagt Ingmar Vergau, Geschäftsführer von Haus und Grund Bremen. Immer wieder bitten Mitglieder den Verband von privaten Haus- und Wohnungseigentümern sowie Vermietern um Hilfe, weil sie keine Handwerker für Arbeiten finden. Fünf bis sechs Wochen auf einen Elektriker zu warten, sei keine Seltenheit, sagt Vergau.
Nach Schätzungen des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) dauert es in manchen Branchen sogar bis zu zehn Wochen. Für Haus und Grund ist es nicht ganz so schwierig, Fachkräfte zu organisieren, erklärt er. Weil man lange Zeit ein Netzwerk aufgebaut habe. „Ohne ein solches dauert es.“ Schon seit zwei Jahren beobachte der Verband diese Entwicklung. Entspannung sei nicht in Sicht. Dem ZDH zufolge haben 40 Prozent der Betriebe Probleme damit, offene Stellen neu zu besetzen.
Das sieht auch Stefan Schiebe so. Er ist Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Bremen, 28 Innungen mit über 1600 Betriebe sind dort organisiert. „Die Entwicklung wird sogar noch anhalten“, sagt er. „Wir sind erst am Anfang, die Firmen bemerken die Probleme gerade.“ Schuld daran sei unter anderem der demografische Wandel. Die Zahlen der Schulabgänger sinken, im Vergleich zu 2006 ist ihre Zahl 2016 um 120.000 zurückgegangen. Viele Firmen haben Probleme, Nachwuchs zu finden.
Auch Nachfolger, die Betriebe übernehmen und weiterführen, seien vielerorts nicht in Sicht, so Schiebe. Daher arbeitet die Kreishandwerkerschaft mit einem Unternehmensberater zusammen, der Handwerker in Seminaren unterstützt. Zum einen sollen sie versuchen, sich möglichst früh um Nachfolger zu bemühen; oft gebe es sogar im eigenen Betrieb geeignete Mitarbeiter. Zum anderen hilft der Gutachter Firmen beim Wechsel zweier Geschäftsführer.
Schiebe glaubt nicht, dass nur die Handwerksbetriebe an der Krise Schuld sind. Einerseits seien die Firmen durch die gute Konjunktur ausgelastet. Dazu komme die aktuelle Phase niedriger Zinsen. Günstige Kredite motivieren viele Privatleute zu Investitionen – und damit zu weiteren Aufträgen für Handwerker. Schiebe sieht jedoch noch einen weiteren Grund: das schlechte Image des Handwerks. „In Schulen wird vermittelt, dass das Handwerk weniger wert ist“, sagt er. Man müsse junge Leute motivieren, auch Dinge auszuprobieren.
58 Prozent der Unternehmen in Bremen sorgen sich
Aus eigener Erfahrung berichtet er, wie befriedigend es sei, am Ende des Tages ein Instrument, ein Wanddurchbruch oder Ähnliches geschaffen zu haben. Schiebe sieht jedoch auch beginnende Veränderungen in den Schulen. „So langsam geht es los – zum Beispiel mit Erfahrungswochen“, sagt er. Auch Praktika seien unheimlich wichtig, um junge Leute an handwerkliche Berufe heranzuführen.
Das sieht Vergau auch so: „Eine Ausbildung wird von Teilen der Bevölkerung immer noch als minderwertig angesehen.“ Das sei zwar kein neues Problem, trage jedoch zum aktuellen Engpass bei. Nach Angaben des jüngsten Konjunkturreports, den die Handelskammer Bremen im Februar vorgestellt hat und für den 344 Firmen aus Industrie, Handel und der Dienstleistungsbranche befragt wurden, sorgen sich 58 Prozent der Unternehmen wegen des zunehmenden Fachkräftemangels.
In Bremerhaven sind es 45 Prozent. Auch in Niedersachsen sieht es ähnlich aus. Nach einer Umfrage der IHK Oldenburg betrachten 60 Prozent der Firmen den Fachkräftemangel als Geschäftsrisiko – ein Rekord, laut Industrie- und Handelskammer. Auch Thomas Kurzke, Geschäftsführer des gleichnamigen Malerbetriebes aus Bremen-Walle, hat Probleme, Nachwuchs zu finden.
Um den Engpass aufzufangen, stellt er Geflüchtete oder lernschwächere Schüler ein. Aber auch damit sei die Arbeit kaum zu stemmen. „Wir bedienen dann natürlich zuerst Kunden, die wir länger kennen.“ Bei neuen ist Kurzke vorsichtig. Auch an Ausschreibungen von Architekten nimmt er kaum noch teil, weil seine Firma ausgelastet ist. Entspannung sieht er nicht. „Das wird noch einige Jahre so weitergehen.“
Um die Lage zu verbessern, hat der ZDH eine Kampagne ins Leben gerufen: „Das Handwerk. Die Wirtschaftsmacht von nebenan.“ Auf Plakaten berichten Handwerker von ihrem Alltag. Dabei schildern sie Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten. Auch Videos der Imagekampagne gibt es im Internet. Mehr als 50 Millionen Euro flossen in das Projekt, an dem sich auch die Handwerkskammer Bremen beteiligt.
Die Zahl der Azubis in Handwerksberufen ist bis Ende September 2017 im Vergleich zum Vorjahr wieder um 2,9 Prozent gestiegen, die Baubranche verbucht sogar ein Plus von 7,4 Prozent. Den Bedarf deckt das allerdings noch nicht – es blieben insgesamt rund 19 000 Azubi-Stellen unbesetzt. Die Handwerkskammer Bremen versucht noch mehr. Dazu gehören jährliche Handwerksshows, auf denen sich Unternehmen präsentieren.
Viele müssen überhöhte Rechnungen bezahlen
Ende vergangenen Jahres hatte Handwerkskammer-Präses und Bauunternehmer Jan-Gerd Kröger berichtet: „Wir haben in Bremen aktuell im Handwerk 500 freie Stellen, die wir nicht mit geeigneten Jugendlichen besetzen können. Es kann nicht sein, dass wir anbieten, und dann kommt keiner.“ Und auch die Geschäftsführerin der Kammer, Martina Jungclaus, sagt: „Auch in Zukunft dürfen wir nicht müde werden, die hervorragenden Karriere-Chancen im Handwerk zu betonen."
Angesichts des demografischen Wandels und des immer noch bestehenden Hangs zum Studium werde die Nachwuchsproblematik die Branche auf absehbare Zeit begleiten. Auch die Verbraucherzentrale hat die Probleme des Fachkräftemangels registriert: Einige Wochen Wartezeit seien in den meisten Branchen inzwischen üblich. Manche Betriebe nehmen keine neuen Aufträge mehr an, vor allem keine kleineren.
Es sei sehr schwer, Handwerker zu finden, bei qualifizierten sei es fast unmöglich. Da Angebot und Nachfrage auch Auswirkungen auf die Preise hätten, müssten viele Verbraucher überhöhte Rechnungen bezahlen. Die Zentrale empfiehlt Verbrauchern, mindestens zwei Kostenvoranschläge einzuholen. Derzeit sei das aber heute kaum umsetzbar.