An ihrem Arbeitsplatz müssen Beschäftigte nach manchem Schicksalsschlag weiter funktionieren. Eine Auszeit ist in einigen Fällen nicht vorgesehen – selbst nicht immer nach einer Fehlgeburt. Kellogg geht hier künftig neue Wege: Der Frühstücksflockenhersteller will Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in schweren Lebensphasen unterstützen. Kellogg spricht von einem "Recht auf Rückzug".
"In lebensverändernden Situationen dürfen sich bei uns jetzt Mitarbeitende eine Auszeit zur seelischen und körperlichen Genesung nehmen", sagt Personalchefin Daniela Cocirta. Bisher fehle es hierzulande an solchen Ansprüchen. Aus Sicht des Konzerns mit Sitz in Hamburg ist es weiterhin schwer, über einen Schwangerschaftsverlust oder unerfüllten Kinderwunsch zu sprechen, über die Wechseljahre oder eine Geschlechtsumwandlung – vor allem am Arbeitsplatz. Diese Tabuisierung, so Kellogg, wolle man brechen.
Als Novum sieht der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände im Lande Bremen den Schritt. "So weitgehende Regelungen habe ich noch nicht gesehen", sagt Cornelius Neumann-Redlin. "Ich finde das positiv."
In Zukunft haben zum Beispiel Beschäftigte, die ein Baby verloren haben, Anspruch auf zwei Wochen Auszeit bei voller Bezahlung. Einen ärztlichen Nachweis braucht es dafür nicht. Beschäftigte könnten sich nach ihrer Rückkehr weitere Genesungstage nehmen. Um Frauen in den Wechseljahren bessere Arbeitsplätze zu bieten, sollen unter anderem Rückzugsräume geschaffen werden. Wer einen bisher unerfüllten Kinderwunsch hat, soll für die Behandlung Urlaubstage bekommen. Eingriffe für eine Geschlechtsangleichung will Kellogg wie andere Arzttermine betrachten.
Der Chef der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in Bremen findet den Ansatz ebenfalls richtig. "Das ist eine wirklich gute Initiative", sagt Dieter Nickel, "und nachahmenswert." Allerdings kann er sich angesichts des Personalmangels nicht vorstellen, dass viele Unternehmen derzeit in diese Richtung gehen: "Überall werden Leute verzweifelt gesucht." Im Moment hängt nach seiner Einschätzung viel von der jeweiligen Führungskraft ab. Einige sagten in schweren Zeiten zu betroffenen Kollegen von allein: Lass dich krankschreiben. Diese Option gibt es heute zwar, sie liegt damit jedoch in den Händen eines Arztes – auch beim Verlust eines Kindes.
Um hier grundsätzlich etwas zu ändern, haben Frauen im vergangenen Jahr Verfassungsbeschwerde eingelegt, um für Mutterschutz nach einer Fehlgeburt zu kämpfen. Im Moment sieht das Arbeitsrecht keinen Anspruch darauf vor, wenn eine Frau ihr Kind vor dem sechsten Schwangerschaftsmonat verliert. Das Verfahren befindet sich einem Sprecher des Bundesverfassungsgerichts zufolge noch in Bearbeitung.
Um einen Wandel herbeizuführen, setzt Kellogg auch bei den Führungskräften an, um deren Sensibilität zu fördern. "Uns ist es wirklich wichtig, dass Menschen den Mut aufbringen, über ihre belastenden Themen zu sprechen, und dabei ernstgenommen zu werden", sagt Oliver Bruns, Geschäftsführer von Kellogg Deutschland.
Ob der Lebensmittelkonzern zum Vorbild werden könnte? "Jedes Unternehmen findet da seinen eigenen Weg", sieht es Cornelius Neumann-Redlin. Auszeiten wie bei Kellogg ließen sich womöglich nicht überall umsetzen, grundsätzlich im Konzern leichter als im kleinen Betrieb. Die hätten dafür andere Vorteile. Die Unternehmen, sagt Rainer Frerich-Sagurna, Vorsitzender des Vereins Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft Bremen, müssten sich bewegen. Alle buhlten mehr oder weniger um Fach- und Arbeitskräfte. Dabei gehe es weniger ums Geld: "Die Arbeitsbedingungen müssen stimmen."
Was Mondelez, Beck’s und das Milchkontor machen
Lebensmittelhersteller aus Bremen setzen teils auf eigene Hilfsangebote. Mondelez bietet etwa eine Sozialberatung an. Eine Psychologin kümmert sich auf Wunsch um Mitarbeiter mit Problemen und auch ihre Familien. „Wir haben unterschiedliche Möglichkeiten, um unsere Mitarbeitenden individuell zu unterstützen", sagt Sprecherin Jenny Linnemann. Das Deutsche Milchkontor stellt seinen Beschäftigten bei Problemen die Unterstützung einer Beratungsfirma zu Verfügung. Die Experten helfen ihnen kostenlos bei Fragen zur Kinderbetreuung oder auch Pflege. Das Coaching "Lebenslagen" soll zudem in schwierigen Zeiten helfen – bei Krankheit, Stress, Überarbeitung oder anderen Belastungen. Daneben gebe es individuelle Absprachen zu Auszeiten oder Sabbaticals, sagt Sprecher Oliver Bartelt: "Ziel ist es, den einzelnen Menschen optimal als Arbeitgeber zu unterstützen."
Auszeiten wie bei Kellogg gibt es beim Brauereikonzern AB Inbev noch nicht. "Jedoch prüfen wir beständig, wie wir die Zusammenarbeit gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern so entwickeln können, dass Arbeit und Familien- oder Privatleben so gut wie möglich zusammen passen", sagt Sprecher Fried-Heye Allers. Beck's mit seiner Produktion in Bremen ermöglicht etwa allen Mitarbeiter sechs Monate Elternzeit – ganz ohne Gehaltseinbußen.