Der Strand nördlich von Den Haag – unendliche Weiten mit Ebbe, Flut und momentan nur wenigen Touristen im Sand. Doch nur einige Kilometer entfernt von dieser Idylle steht der Stolz der Holländer. Denn was für die USA Cape Canaveral ist, ist für die Holländer Noordwijk. In der 25 000-Einwohner-Gemeinde hat das Europäische Weltraumforschungs- und Technologiezentrum Estec seinen Sitz. 2800 Menschen arbeiten hier.
Raketen werden Noordwijk zwar nicht gestartet, aber die Ingenieure und Techniker testen hier fertige Satelliten, damit sie unbeschadet den Weg in den Weltraum schaffen und dort zuverlässig ihre Dienste tun. So geht es auch jedem Galileo-Navigationssatelliten des Bremer Unternehmens OHB. Nach dem Bau kommen sie nach Noordwijk. Dort werden sie mit verschiedenen Frequenzen beschallt und anschließend einem ordentlichen Rütteltest ausgesetzt. Das soll den Start einer Ariane-5-Rakete simulieren.
50-jähriges Jubiläum
Dann kommt der Satellit in eine spezielle Kammer, in der Weltraum simuliert wird. Für die Kälte wird beispielsweise flüssiger Stickstoff in die Wände eingeleitet. Wenn der Satellit alles gut überstanden hat, wird er über Rotterdam nach Französisch-Guayana verschifft, damit ihn eine Rakete von Kourou aus ins All bringt. „Im kommenden Jahr beginnen wir, alles für die Tests vorzubereiten, die die neue Ariane 6 simulieren sollen“, sagt ein Mitarbeiter.
Das Estec ist auch Geburtsort von jeder Mission, die die Europäische Raumfahrtagentur Esa plant. Sobald es eine Idee für eine neue Mission gibt, setzen sich mehr als 20 Experten aus allen Bereichen zusammen und beraten, wie man sie möglich machen kann. Bis zum Ende der Mission überwachen sie, ob alles im Plan bleibt – auch die Kosten.
Im vergangenen Jahr feierte das Estec 50-jähriges Jubiläum. Ursprünglich sollte es nach Delft nördlich von Rotterdam kommen. Dort war der Boden allerdings zu schlammig und daher für all die entstehenden Vibrationen ungeeignet. Der Sandboden in Noordwijk kann das jedoch besser ab. Um das Estec haben sich inzwischen einige Unternehmen angesiedelt, die in der Raumfahrt ihr Geld verdienen. Von ihnen werden einige Vertreter das niederländische Königspaar begleiten, wenn es kommenden Mittwoch Bremen besucht. Es geht den Firmen dabei um Kooperation und Zusammenarbeit: Was können sie von Bremen lernen? Und wo hat das Raumfahrt-Zentrum der Niederlande die Nase vorn?
Gleich in der Nähe vom Estec in Noordwijk steht das Space Business Incubation Center (SBIC). Hier können sich Unternehmensgründer mit ihrer Geschäftsidee zum Thema Raumfahrt ausprobieren. Unterstützung erhalten sie dafür von der Region. Da ist beispielsweise Lens R & D, vor sieben Jahren gegründet von Johan Leijtens. Mit seiner jungen Firma stellt der Holländer Sonnensensoren her. Sie sollen dem Satelliten helfen, sich mit seinen Solarsegeln in Richtung Sonne zu drehen, damit er genügend Strom erhält.
In Kontakt mit OHB oder Airbus Defence and Space
Leijtens Firma ist zwar nicht der einzige Anbieter solcher Module, unterscheidet sich aber von seinen Mitbewerbern: "Erhalten wir einen Auftrag für fünf Stück, stellen wir gleich 25 her, weil wir glauben, dass andere Aufträge folgen werden." Dadurch kommt der noch junge Unternehmer auf einen Preis, der dreimal niedriger ist als der der Konkurrenz.
Noordwijks SBIC besteht bereits seit etwa zehn Jahren. Bremen hat sein SBIC gerade erst 2018 politisch auf den Weg gebracht. Dafür stehen bis 2021 rund drei Millionen Euro zur Verfügung, wovon das kleinste Bundesland etwa ein Viertel selbst trägt. Ziel ist es, dass 15 in Bremen gegründete Space-Start-ups von diesem Raumfahrt-Inkubator betreut werden. Hier könnte sich Bremen also etwas von den Holländern abschauen.
Firmen aus Noordwijk stehen bereits in Kontakt mit OHB oder Airbus Defence and Space in Bremen. Airbus selbst hat seinen niederländischen Standort in Leiden nahe Noordwijk. Der ist mit seinen 215 Mitarbeitern auch für ganz Airbus der offizielle Hauptsitz. Hier werden unter anderem Solarpanels für Satelliten produziert.
Und nochmals einige Kilometer weiter in Delft sitzt das Unternehmen Innovative Solutions in Space – kurz Isis. Firmenchef Jeroen Rotteveel beschäftigt heute etwa 100 Mitarbeiter und hatte vor mehr als zehn Jahren noch ein Praktikum bei OHB in Bremen gemacht. Danach gründete er mit fünf Freunden seine Firma. Heute sind sie Spezialisten für Mini-Satelliten, die nicht größer als eine Schreibtischlampe sind. Weil alle an der Technischen Uni von Delft studiert hatten und dort anschließend für ihr Start-up gefördert wurden, sind sie auch in Delft geblieben. Auch er wird kommenden Mittwoch zusammen mit König Willem-Alexander anreisen.
Mit dem, was es bereits um das Estec in Noordwijk gibt, will sich die Region nicht begnügen. Für 25 Millionen Euro ist bereits ein Space Campus in Planung. Auf dieser Gewerbefläche sollen sich weitere Unternehmen niederlassen, damit der Jobmotor weiterläuft. Dabei wissen die Niederländer schon jetzt: Jeder Euro, den sie in die Raumfahrt investieren, bringt fünf Euro an Wertschöpfung.