Wolfgang Franz, der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dem Gremium der fünf sogenannten Wirtschaftsweisen, warnt vor zu viel Aufschwungseuphorie. Nach wie vor gebe es einige wesentliche Risiken, vor allem die Krise im Euroraum. Außerdem macht dem Ökonomen Sorge, wie sich die Lage in Nordafrika entwickelt. Günther Hörbst traf ihn am Rande einer Vortragsveranstaltung des Bauindustrieverbandes Bremen-Niedersachsen im Park Hotel.Der Aufstand der Völker in der arabischen Welt entwickelt sich zum Flächenbrand. Befürchten Sie Auswirkungen auf die Weltkonjunktur?
Wolfgang Franz: Da habe ich in der Tat gewisse Sorgen. Oft sind die stark gestiegenen Nahrungsmittelpreise und als Folge davon Hungersnöte der Grund für die Unruhen in der Bevölkerung. Das sollte uns zu denken geben. Die Ursachen für stark steigende Nahrungsmittelpreise sind häufig witterungsbedingte Ernteausfälle, wogegen die betroffenen Staaten wenig tun können, die aber instabile politische Verhältnisse verursachen können. Dazu kommen Unwägbarkeiten in der weltweiten Ölversorgung aufgrund der Bedeutung des Suezkanals. Aber es ist im Moment sehr schwer einzuschätzen, wie die Lage sich weiter entwickeln wird, möglicherweise sogar zu einem Flächenbrand.
Welche Sorgen haben Sie konkret?
Die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft sind derzeit noch kaum absehbar. Der Handel mit diesen Ländern kann beeinträchtigt werden und bestimmte Rohstoffe mögen sich nochmals verteuern. Wenn noch weitere Staaten in den Strudel geraten, könnte es kritisch werden. Aber konkrete Aussagen über Folgen für den Welthandel sind im Moment kaum möglich.
Sie sprachen bereits die Lebensmittelpreise an. Insgesamt steigen weltweit die Rohstoffpreise, etwa auch bei Baumwolle, seltenen Erden, Gold, Silber. Bedroht diese Entwicklung die Konjunktur?
Damit sprechen Sie zu Recht vor allem die Gefahr von höheren Preissteigerungen an. Dabei muss man aber zwei Aspekte unterscheiden. Zum einen die in der Tat markante Entwicklung der Preise für importierte Rohstoffe und Nahrungsmittel. Zum anderen die hausgemachte Preissteigerungsrate, aus der diese Preise herausgerechnet werden.
...die sogenannte Kerninflationsrate.
...genau. Die liegt in Deutschland bei rund einem Prozent. Von daher droht also keine Inflationsgefahr. Es kommt jetzt darauf an, dass aus diesen von außen kommenden Preissteigerungen etwa bei Rohstoffen keine Zweitrundeneffekte entstehen.
Was heißt das?
So misslich es auch ist, wir müssen diese importierten Preissteigerungen durch unser Wirtschaftssystem durchlaufen lassen. Es sollte aber nicht versucht werden, sie durch entsprechend höhere Tariflohnabschlüsse quasi wieder hereinzuholen. Denn das würde die Gefahr heraufbeschwören, dass sich die Preissteigerungen aufschaukeln. In einem solchen Fall würde die Europäische Zentralbank eingreifen und die Zinsen erhöhen.
Die Rohstoffe verteuern sich schon seit Längerem. Was kann man denn dagegen machen?
Die Bundesregierung hat da nur begrenzte Möglichkeiten. Sie kann jedoch versuchen, auf die Länder, in denen die Rohstoffe gefördert werden, einzuwirken, indem sie Handels- und Kooperationsabkommen mit diesen Ländern abschließt, so wie das China seit geraumer Zeit tut. Die EU unternimmt bereits entsprechende Aktivitäten. Eigentlich sollten nämlich diese Länder ebenfalls kein Interesse daran haben, dass durch ihr Verhalten die Weltwirtschaft einbricht. Die OPEC Staaten haben das verstanden.
Sie haben gesagt, man müsse darauf achten, dass die Rohstoffpreise nicht die Kerninflation beeinflussen. Gibt es da einen kritischen Punkt, den man nicht überschreiten darf?
Ich setze auf den Willen und die Fähigkeit der EZB, mittelfristig die Preissteigerungen im Euro-Raum bei etwa zwei Prozent zu stabilisieren. Eine Inflationsrate von vier Prozent, die im Moment an die Wand gemalt wird, halte ich für überzogen. Vielleicht sollten sich die Pessimisten etwas mehr mit öffentlichen Aussagen zurückhalten, denn man kann eine Inflation auch herbeireden. Die Leute nehmen das dann für bare Münze und handeln entsprechend. Und dann geht diese Prophezeiung quasi von selbst in Erfüllung.
Aber ist das nicht schon passiert? Viele Bürger investieren ihr Geld in Häuser, Rohstoffe, Gold, Silber. Besteht die Gefahr, dass sich Blasen bilden?
Nein. Davon gehe ich bei uns nicht aus. Ohnehin zeigen eine Reihe von Studien, dass der Anteil der Spekulation an den Rohstoff- und Nahrungsmittelpreissteigerungen eher gering ist. Zwar müssen die Spekulanten oft als Prügelknaben herhalten, sind aber häufig nur in geringem Umfang oder gar nicht für die Preisentwicklungen verantwortlich, sondern erfüllen nützliche Funktionen, etwa indem sie der Landwirtschaft Preisrisiken abnehmen. Bei den Nahrungsmitteln sind vielfach Missernten der Grund, bei den seltenen Erden, dass die Erzeugerländer, wie etwa China, sich zuvorderst selbst bedienen. Wenn sich eine Blasenbildung abzeichnet, dann vielleicht noch am ehesten auf Teilen des chinesischen Immobilienmarkts.
In Deutschland herrscht Aufschwungs-Jubel. Im Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen haben Sie und Ihre Kollegen aber vor Risiken gewarnt. Sind die Deutschen blind vor Euphorie?
Ich warne davor, zu optimistisch zu sein. Wir gehen zwar für 2011 von einem Wachstum von 2,2 Prozent aus. Aber ein Teil davon ist aufgrund der Berechnungsweise der Wachstumsraten eigentlich dem Jahr 2010 zuzuschreiben. Die eigentliche Konjunkturdynamik wird sich in diesem Jahr auf knapp ein Prozent Zuwachs des realen Bruttoinlandsprodukts belaufen. Die Bäume werden also nicht in den Himmel wachsen. Die Konjunkturdynamik des letzten Jahres wird sich in diesem Jahr leider nicht wiederholen.
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle spricht zudem davon, dass sich Deutschland auf dem Weg zur Vollbeschäftigung befindet.
Wir haben erst ein Stück dieses Weges zurückgelegt. Ich rechne im Jahresdurchschnitt mit rund drei Millionen registrierten Arbeitslosen. Allerdings wird die weitere Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schwieriger werden.
Warum?
Weil wir jetzt erfreulicherweise nicht mehr so sehr eine konjunkturelle Arbeitslosigkeit zu bekämpfen brauchen, sondern die Langzeitarbeitslosigkeit und die Beschäftigungslosigkeit Geringqualifizierter, also die strukturelle Arbeitslosigkeit. Und dies ist eine wesentlich schwierigere Aufgabe.
Wie kann man dieses Problem lösen?
Vielleicht mag in begrenztem Umfang der zu erwartende Fachkräftemangel in den nächsten Jahren etwas helfen, weil dann die Unternehmen auch geringer Qualifizierte einstellen und diese dann für den Job fit machen. Diesen Effekt sollte man aber nicht überschätzten. Es geht vor allem darum, dass einfache Arbeitsplätze für gering qualifizierte Arbeitslose entstehen. Da bin ich weniger pessimistisch als andere Leute. Ich kann mir da schon Arbeitsplätze vorstellen.
Welche denn?
Zum Beispiel Schuhputzer oder die aus den USA bekannten Tütenpacker in den Supermärkten oder Servicepersonal für einfache Tätigkeiten an Tankstellen oder Leute, die morgens Brötchen und frische Milch austragen oder für ältere Menschen Einkäufe erledigen.
Aber diese Jobs gibt es doch nicht mehr.
Weil sie aufgrund hoher Lohnkosten seinerzeit weggefallen sind. Aber sie können wieder entstehen, wenngleich zu vergleichsweise geringen Löhnen. Davon kann man sicher nicht leben, aber mit einer Aufstockung im Rahmen des Arbeitslosengeldes II könnten diese Beschäftigten dann wenigstens einen bescheidenen Lebensunterhalt selbst bestreiten und sie wären in den Arbeitsmarkt integriert. Das ist doch wesentlich besser, als diese Menschen in der Arbeitslosigkeit zu belassen.
Wer soll denn diese Jobs schaffen?
Sie entstehen, wenn die entsprechenden Leistungen zu vergleichsweise niedrigen Preisen angeboten werden. Dann entfaltet sich auch eine Nachfrage danach.
Was Sie vorschlagen, war lange Zeit verpönt. Diese einfachen Tätigkeiten wollte die Wirtschaft nicht mehr haben.
Jede ehrliche Arbeit verdient Respekt.
Die IG Bau warnt davor, dass mit der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt jede Menge Billigarbeiter aus China nach Deutschland kommen.
Die Herstellung der vollen Freizügigkeit zum 1. Mai dieses Jahres bezieht sich nur auf Arbeitskräfte aus den EU-Beitrittsländern des Jahres 2004. Es ist unwahrscheinlich, dass daraufhin scharenweise Billigarbeiter zu uns kommen. Wissenschaftliche Untersuchungen gehen von einer Einwanderung in der Größenordnung von etwa 100 000 Arbeitskräften aus. Sie helfen gegebenenfalls, den Fachkräftemangel zu lindern, und sie bringen für die hiesigen Konsumenten Wohlfahrtsgewinne.
Es gibt Vorschläge, dieser Entwicklung mit einem Mindestlohn zu begegnen.
Das halte ich für falsch. Letztlich sind solche Maßnahmen eine Art Einfuhrzoll auf Arbeit. Denn ein polnischer Arbeiter könnte das Gut ja auch preiswert in Polen produzieren und nach Deutschland exportieren, anstatt zu uns zu kommen und es hier herzustellen. Der volkswirtschaftliche Effekt wäre der gleiche. Empirische Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass flächendeckende gesetzliche Mindestlöhne je nach ihrer Höhe Hunderttausende Arbeitsplätze kosten und gerade im Bereich gering qualifizierter Arbeit.
Wie stehen Sie zur Frauenquote?
Bei uns im Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung praktizieren wir die Förderung von Wissenschaftlerinnen seit jeher. Von unseren Beschäftigten sind rund 50 Prozent Frauen. Beim wissenschaftlichen Personal sind es 40 Prozent.
Und in der Leitungsebene?
Da befindet sich eine Frau, die gerade Professorin geworden ist.
Was sagen Sie zur Forderung von Ministerin von der Leyen, Aufsichtsräte und Vorstände gesetzlich zu verpflichten, einen Frauenanteil von 30 Prozent aufzuweisen?
Mir sagen die Frauen, dass sie überhaupt keine Quote wollen, weil die Gefahr bestehe, dass sie als Quotenfrauen abgestempelt würden. Sie wollen durch Leistung überzeugen und das tun sie auch. Es ist wichtig, dass immer wieder mit Nachdruck auf das Thema aufmerksam gemacht wird. Aber eine gesetzliche Quote zu verordnen, halte ich für überzogen.
Machen Sie sich Sorgen um den Euro?
Es gibt keine Euro-Krise. Wir haben eine Krise im Euro-Raum. Die wurde in einigen Ländern durch finanzpolitisches Fehlverhalten verursacht und weil wie in Irland das Bankensystem noch nicht hinreichend stabilisiert ist. An diesen beiden Problemen müssen wir ansetzen. Wir müssen für solide Finanzpolitik im Euroraum sorgen. Dazu muß der Stabilitäts- und Wachstumspakt entscheidend gehärtet werden. Außerdem bedarf es weiterer Reformen der nationalen und internationalen Finanzmarktarchitektur. Und es muss ein funktionstüchtiger Krisenmechanismus existieren. Wenn das alles gelingt, muss man sich keine Sorgen um den Euro machen.
Was verstehen Sie unter funktionstüchtigem Krisenmechanismus?
Je nach Schwere des finanzpolitischen Fehlverhaltens müssen die privaten Gläubiger beteiligt werden. Denn es kann nicht angehen, dass sich diese Anleger hoher Zinsen aufgrund der Risikozuschläge erfreuen, die Risiken selbst aber auf den Steuerzahler abwälzen.