Innovationen, neueste technische Errungenschaften, künftige regenerative Treibstoffe – die Luft- und Raumfahrtindustrie präsentiert sich nächste Woche ab Mittwoch in Berlin auf der ILA. Bei der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung geht es viel um Zukunftsthemen. Wie sich die Situation in der Branche in der Gegenwart darstellt, damit hat sich die IG Metall Küste an diesem Donnerstag beschäftigt. Fazit der Gewerkschaft: Die Auslastung ist auf Rekordniveau, aber es fehlen Fachkräfte, wovon primär der zivile Flugzeugbau betroffen ist.
Für den Neustart nach der Corona-Krise sei die norddeutsche Luft- und Raumfahrtindustrie nicht ausreichend vorbereitet. Dieses Ergebnis ergab eine Befragung von Betriebsräten im Auftrag der IG Metall. Nach einem Rückgang der Beschäftigung seit 2019 um mehr als zehn Prozent erwarten die Arbeitnehmervertreter laut der Befragung in der Mehrzahl der Unternehmen ein Plus bei Aufträgen und Beschäftigung. Für 2023 prognostizieren sie danach eine durchschnittliche Auslastung von über 98 Prozent. „Die Branche erreicht damit ein Rekordniveau", sagte Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste. "Um die Arbeit zu schaffen, fehlen jedoch die Fachkräfte. Mehr als 60 Prozent der Betriebe meldeten Probleme bei der Stellenbesetzung. „Statt in der Krise noch stärker auf arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Kurzarbeit mit Qualifizierung oder Zeitkonten zu setzen, wurde viel zu viel und viel zu schnell Personal abgebaut. Das rächt sich nun.“
Der Beschäftigungsabbau in den vergangenen zwei Jahren sei aber nicht nur durch eine deutliche Reduzierung der Leiharbeitskräfte erfolgt, so Thorsten Ludwig von der Agentur für Struktur- und Personalentwicklung GmbH, die die Befragung vorgenommen hatte. Die Unternehmen hätten ein Sammelsurium an Maßnahmen umgesetzt, um Personal abzubauen. Quasi sei dafür das gesamte Instrumentarium der betriebswirtschaftlichen- und arbeitsrechtlichen Möglichkeiten eingesetzt worden – über Sozialtarifverträge, Abfindungen, Altersteilzeitverträge oder Vorruhestandsregelungen. Erfreulich sei lediglich, dass die meisten bestehenden Arbeitsplätze im Norden langfristig durch Vereinbarungen mit der IG Metall und den Betriebsräten gesichert seien – wie etwa durch das im vergangenen Jahr bei Airbus und Premium Aerotec abgeschlossene Zukunftspaket, so Friedrich.
Riesiger Produktionszuwachs
"Wenn man Airbus heute anguckt, sieht man einen riesigen Produktionszuwachs im Vergleich zu den beiden Corona-Jahren", so Holger Junge, Konzernbetriebsratsvorsitzender bei Airbus. Das beziehe sich in erster Linie auf die Single-Aisle-Jets (ein Flugzeug mit nur einem Mittelgang) A320 und A321. "Das brummt wie verrückt. Im vergangenen Jahr waren wir bei 43 Flugzeugen pro Monat, momentan sind wir bei einer Produktionsrate von 54 und wir sollen in 2023 auf 75 hochgehen." Hinzu komme künftig der Bau der A321 XLR, eine Langstreckenversion, die am Mittwoch ihren Erstflug über Hamburg in Richtung Ostsee absolviert hatte. Und der Bau dieser XLR erfordere noch mehr Arbeitskräfte, weil Langstreckenflieger allein durch das Entertainment eine viele höhere Komplexität hätten als Single-Aisle-Flugzeuge für Kurz- und Mittelstrecke.
Dieser Produktionshochlauf sei zwar eine positive Belastung, aber nur wenn es gelinge, mehr Personal einzustellen, so Junge. Allein am Airbus-Standort in Hamburg gebe es einen Bedarf an 1000 Mitarbeitern, und auch in den anderen Werken in Bremen, Stade oder Nordenham gebe es Probleme mit der Stellenbesetzung. "Wir sind zwar ein attraktiver Arbeitgeber, aber wir spüren auch den allgemeinen Fachkräftemangel am Arbeitsmarkt." Die Politik, die die Konzernleitung immer betrieben habe und die "wir immer kritisiert haben", nämlich Produktionshochläufe massiv über Leiharbeitskräfte abzudecken, funktioniere schon gar nicht mehr gut. Denn warum sollte jemand als Leiharbeitskraft bei Airbus anfangen, wenn er woanders als Facharbeiter ebenfalls eine gut bezahlte Festanstellung bekomme? "Airbus muss sich eine neue Struktur geben und sich mit mehr mit Bestandsmitarbeitern aufstellen." Airbus plane immer noch mit einer Leiharbeitsquote von 13 Prozent, die schrittweise hochgefahren werden soll. Das sei nicht zeitgemäß, weil Airbus auch langfristig eine gute Auftragslage habe.
33.000 Beschäftigte im Norden
Dass Airbus bei der IG Metall-Veranstaltung eine tragende Rolle spielt, kommt nicht von ungefähr: Von den 33.300 Beschäftigten in der Luft- und Raumfahrt in Norddeutschland arbeiten laut Gewerkschaft etwa 25.000 Mitarbeiter in der zivilen Luftfahrt und von denen gehören 85 Prozent Betrieben an, die dem Airbus-Konzern zuzuordnen sind. Im Bremer Airbus-Operations-Werk gibt es etwa 2300 Beschäftigte. Dort findet vor allem die Ausstattung der Flügel unter anderem mit Landeklappen statt.
Das Besondere an Bremen sei, dass es neben dem zivilen Flugzeugbau am Standort auch die Raumfahrtindustrie als Zentrum im Norden gebe, so Ludwig. Die Corona-Krise habe in diesem Bereich nicht so durchgeschlagen, weil es in der Raumfahrt viele institutionelle Aufträge gebe – etwa durch die europäische Raumfahrtbehörde Esa –, die nicht reduziert worden seien. Bremen habe als Gesamtstandort auch den Vorteil, dass dort mehrere Sparten verankert seien, so Friedrich. Das könne vor allem bei Zukunftsthemen eine noch stärkere Rolle spielen, beispielsweise könne das Raumfahrt-Know-how beim Thema Wasserstoff auch im zivilen Flugzeugbau genutzt werden.