Bremen. Immer mehr Berufstätige sind außerhalb ihrer Arbeitszeiten für Vorgesetzte, Kollegen und Kunden durch Handy und Internet erreichbar. Das hat eine Umfrage des Hightech-Verbandes Bitkom ergeben. 88 Prozent der Beschäftigen halten sich nach Feierabend und am Wochenende bereit, vor zwei Jahren waren es noch 73 Prozent.
Befragt wurden 1000 Personen ab 14 Jahren. „Eine klare Trennung zwischen Arbeit und Privatleben gibt es für die meisten Berufstätigen nicht mehr“, sagt Bitkom-Präsident Dieter Kempf. Der Umfrage zufolge sind 29 Prozent der Arbeitnehmer jederzeit beruflich erreichbar, 45 Prozent zu bestimmten Zeiten, zum Beispiel am Abend oder am Wochenende. Lediglich 15 Prozent der Befragten gaben an, nur in Ausnahmefällen erreichbar zu sein. Einen Hauptgrund sieht Kempf in der steigenden Anzahl von Smartphones und Tablet-PCs, mit denen Berufstätige zu Hause jederzeit E-Mails bearbeiten können.
Peter Bagus, Chefarzt der Psychosomatik am Klinikum Bremen-Ost, warnt vor den psychischen Folgen der ständigen Erreichbarkeit. Die Zahl bedeute nicht, dass immer mehr Menschen gerne immer länger arbeiten, sagt Bagus. „Vielmehr stehen dahinter verschiedene Gruppen. Diejenigen, die tatsächlich mit Begeisterung und Engagement an ihren Job herangehen. Aber auch die, die einfach Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Sie denken, der Arbeitgeber erwarte von ihnen, andauernd zur Verfügung zu stehen.“
Viele Betroffene ignorieren Symptome
Menschen, die unter permanentem Arbeitsstress stehen, würden zunehmend unter körperlicher und geistiger Erschöpfung leiden, so Bagus. Zwar gebe es Warnsymptome wie Müdigkeit, Reizbarkeit und Ungeduld, viele würden solche Symptome aber einfach ignorieren. Manche könnten überhaupt nicht mehr abschalten, sagt der Chefarzt. „Sie verlieren völlig den Bezug zu ihrer Familie und ihrem Freundeskreis.“ Am Ende dieser Kette: ein Burnout-Syndrom mit Depressionen, im Extremfall sogar mit Panikanfällen und Lebensmüdigkeit.
Hat sich das Arbeitsleben so grundlegend gewandelt? Ist dauernde Erreichbarkeit mittlerweile ein Einstellungskriterium? So weit ist es laut Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen, noch nicht. Allerdings falle in der Tat auf, dass die Zahl der abrufbereiten Arbeitnehmer steige. „Früher war ständige Erreichbarkeit eher ein Alleinstellungsmerkmal der Selbstständigen“, sagt Heyduck. „Sie waren ja immer von ihren Kunden abhängig.“ Heute gebe es in vielen Unternehmen hingegen einfach weniger Personal. Erreichbarkeit über die Arbeitszeit hinaus, um viel leisten zu können, sei da ein Kriterium. Im Minijob-Bereich sei das nicht anders, so Heyduck. „Kassiererinnen im Supermarkt zum Beispiel. Die hören oft: Halten Sie sich kurzfristig bereit, wenn wir eine Schicht besetzen müssen.“
Recht auf Freizeit
Als Arbeitnehmer sei man selten in der Position, den Feierabend einfach einzufordern, sagt die Kammer-Geschäftsführerin. Ein Recht auf Freizeit gebe es aber durchaus. „Wenn es nicht anders vertraglich vereinbart ist, muss der Chef zum Beispiel nicht wissen, wo ich meinen Urlaub verbringe. Und erreichbar sein muss ich dann auch nicht.“
Chefarzt Peter Bagus warnt ebenfalls davor, der Freizeit nur einen geringen Stellenwert einzuräumen. Der Freizeitbereich müsse Ruhephasen beinhalten, ohne eine ständige Hab-Acht-Stellung. Nur so sei gute Erholung möglich und eine Depression vermeidbar.