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Weltraumteleskop Die teuerste Weltraumfracht aller Zeiten

Die Anspannung vor dem Start ist groß: Zwei Tage vor Weihnachten soll eine Ariane-5-Rakete das James-Webb-Weltraumteleskop ins All befördern. Warum selbst erfahrenen Ingenieuren dabei ein bisschen mulmig wird.
15.12.2021, 20:06 Uhr
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Die teuerste Weltraumfracht aller Zeiten
Von Christoph Barth

Es ist die teuerste Fracht, die jemals ins All geschossen wurde: Wenn zwei Tage vor Weihnachten eine Ariane 5 mit großem Getöse vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana abhebt, balanciert die Rakete auf ihrer Spitze ein Weltraumteleskop im Wert von zehn Milliarden US-Dollar. In Zahlen: 10.000.000.000. Mindestens – die genaue Summe verliert sich in den Wirren der bald dreißigjährigen Entwicklungsgeschichte des Projektes. "Da wird man als Weltraumspediteur schon mal ein bisschen nervös", räumt Jens Laßmann ein, Leiter des Ariane-Standorts Bremen.

Wie üblich, haben die Bremer Raketenbauer die Oberstufe der Ariane 5 in ihren Hallen montiert. Aber es ist ein spezielles Modell, ein Unikat, eigens gefertigt für "eine Weltraummission, wie es sie noch nie gegeben hat – ein Jahrhundertprojekt", schwärmt Laßmann und schießt in seiner Begeisterung alle sachliche Zurückhaltung eines Raumfahrtingenieurs zum Mond: "Wir sind wahnsinnig stolz, dass wir dabei sind."  

Zwei Buchstaben, drei Ziffern, null Pathos

Der Flug trägt die Nummer VA256. Zwei Buchstaben, drei Ziffern, null Pathos. Doch allein, dass die US-Weltraumbehörde Nasa ihre unbezahlbare Fracht den europäischen Raketenbauern überlässt, ist für Laßmann ein Grund zur Freude: "Das zeugt von dem großen Vertrauen, das die Amerikaner in die Zuverlässigkeit unserer Ariane haben", sagt er. Der Auftrag ist zumindest ein Prestigeerfolg für die europäische Raketentechnik, die zuletzt gegen die private US-Konkurrenz ins Hintertreffen geraten war.

Die Fracht von Flug VA256 ist das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST). Das Nachfolgemodell des legendären "Hubble"-Observatoriums soll noch tiefer ins All hineinschauen, bis zu den Galaxien aus der Zeit des Urknalls. Es soll den Lebenszyklus der Sterne von der Geburt bis zum Tod erforschen und nach Spuren von Leben auf fernen Planeten suchen. Der Hauptspiegel seines Teleskops ist mit einem Durchmesser von 6,50 Meter fast dreimal so groß wie der von "Hubble". Zudem soll "Webb" nicht wie ein kosmischer Tiefflieger um die Erde kreisen, sondern in 1,5 Millionen Kilometern Entfernung – viermal so weit weg wie der Mond – mit der Erde zusammen im Synchronflug um die Sonne schwingen. Astrophysiker nennen den ominösen Gleichgewichtspunkt Lagrange 2 und erhoffen sich von dort tiefe Einblicke ins Universum.

Voraussetzung: "Webb" erreicht präzise und unbeschädigt seinen Beobachtungsposten im All. Und dafür soll Ariane sorgen. Die Herausforderungen sind immens. Da ist zum einen die Größe des Teleskops: Zwar haben es die Nasa-Ingenieure für den Transport mit einer ausgeklügelten Origami-Falttechnik zusammengeklappt. Trotzdem erreicht die Expressfracht mit über zehn Metern Höhe und 4,50 Metern Durchmesser das maximal mögliche Maß. "Bis zur Wand der Verkleidung bleiben 20 Zentimeter", rechnet Laßmann vor. "Und es darf beim Start nirgendwo gegenstoßen." Der Ritt auf dem Feuerstrahl muss also unbedingt ohne große Bocksprünge erfolgen.

Rakete muss im Flug ständig gedreht werden

Wenn die Verkleidung rund drei Minuten nach dem Start außerhalb der Erdatmosphäre abgeworfen wird, stellt sich das nächste Problem: Der irdische Luftdruck muss bis dahin komplett aus der Raketenspitze abgelassen sein –  jeder kleinste Unterschied würde beim Abwerfen der Hülle wie ein Schock auf die sensible Apparatur wirken und könnte diese beschädigen. Dafür wurden eigens 28 Entlüftungsklappen konstruiert, die den Druck in der Startphase kontrolliert entweichen lassen sollen. Bei den letzten Ariane-Flügen wurde das Verfahren bereits getestet.

Und schließlich ist das teure Sensibelchen auch noch sehr temperaturempfindlich: Damit die Sonneneinstrahlung das Faltteleskop nicht übermäßig erwärmt, muss die Rakete im Flug ständig gedreht und immer so ausgerichtet werden, dass ein Schutzschild die Hitze abschirmt.

Nach einer knappen halben Stunde ist die Arbeit von Ariane dann getan: Bei einer Geschwindigkeit von mehr als 13 Kilometern pro Sekunde trennt sich die Bremer Oberstufe vom Raumfahrzeug und verschwindet auf Nimmerwiedersehen im All. Ein Bremsmanöver soll verhindern, dass durch eine Kollision in letzter Minute noch etwas schief geht. Ab da ist das James-Webb-Weltraumteleskop auf sich allein gestellt. Das Entfalten des Sonnenschilds und der Spiegel während die Weiterreise zum angepeilten Beobachtungspunkt im All wird einen Monat dauern, die komplette Inbetriebnahme ein halbes Jahr.

In Bremen und an den anderen Ariane-Standorten wird man sich dann langsam zurücklehnen können. "Wir geben immer 100 Prozent, in diesem Fall aber 120", sagt Standortleiter Laßmann. Nur die allerbesten Teile wurden verbaut, Handgriffe und Arbeitsschritte noch häufiger kontrolliert als in der Raumfahrt ohnehin üblich. Ein bisschen Angstschweiß war immer dabei, aber auch die Routine von 111 Ariane-5-Missionen in 25 Jahren. Nur zwei Raketen sind in dieser Zeit abgestürzt. Flug VA256 mit seiner Zehn-Milliarden-Fracht soll nicht dazugehören.

Zur Sache

Ein Teleskop der Superlative

Die ersten Planungen für das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) reichen bis in die 1990er Jahre zurück. Immer wieder jedoch verzögerte sich die Entwicklung; die Kosten stiegen so stark, dass der US-Kongress das Programm vor zehn Jahren fast beendet hätte.  Im Gegensatz zum Vorgängermodell "Hubble" soll "Webb" das Universum im Infrarot-Bereich des Lichtspektrums absuchen, der einen noch weiteren Blick zurück in die Vergangenheit des Universums erlaubt: 13,5 Milliarden Jahre, bis in die Zeit des Urknalls. Nachteil gegenüber "Hubble": Wegen der großen Entfernung zur Erde (1,5 Millionen Kilometer) ist ein Besuch von Astronauten zur Wartung des Teleskops nicht möglich.

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