Die Klimaschutzorganisation Atmosfair, die bislang unter anderem das Fliegen indirekt ein bisschen "grüner" macht durch Kompensation der Klimagase mit erneuerbaren Energien, ist an diesem Montag in die Produktion von klimaneutralem Flugzeugtreibstoff Kerosin eingestiegen: Die Anlage, die auch mit Technik von Siemens Bremen entstanden ist, steht im emsländischen Werlte. Sie ist die weltweit erste, die mit 350 Tonnen pro Jahr von den Mengen her im kommerziellen Bereich produziert. Abnehmer des CO2-neutralem synthetischen Kerosins ist der Hamburger Flughafen, der das Produkt an verschiedene Airlines wie Lufthansa als größtem Abnehmer weiter vertreibt. Eröffnet wurde die Anlage von Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD), auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war per Videobotschaft dabei.
"Wir feiern hier heute so etwas wie einen historischen Moment", sagte Professor Mojib Latif, Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum Kiel und Schirmherr von Atmosfair, der die Eröffnungsfeier moderierte. "Wir weihen eine Anlage ein, die einzigartig in der Welt ist und E-Kerosin produziert." Das sei wahrscheinlich der Beginn einer neuen Zeit in der Luftfahrt.
"Die Ära der Verbrennung von Kohle, Öl und Erdgas geht zu Ende", sagte Svenja Schulze. Das Klimaschutzgesetz beinhalte, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral sein müsse. Dadurch ergebe sich für alle künftigen Regierungen ein klares Ziel. "Und keine Regierung will dabei den Traum vom Fliegen aufgeben. Deshalb benötigen wir Alternativen zum herkömmlichen klimaschädlichen Kerosin." Und die Alternative und die Technologie sei dafür verfügbar, wie man am heutigen Tag in Werlte sehe. Damit werde Wasserstoff zum Energieträger der Zukunft und zu einer festen Größe im Energiemix der Gegenwart.
Das Klimaschutzgesetz verpflichte alle, einen Beitrag zu leisten und dazu gehöre auch der Luftverkehr, so die Bundesumweltministerin. Strombasierte Kraftstoffe seien der zentrale Baustein auf dem Weg hin zur Klimaneutralität. Denn es werde noch ziemlich lange klassisch turbinengetriebene Flugzeuge geben, weil Flugzeuge meistens über Jahrzehnte genutzt werden. Gleichzeitig stoße der Einsatz von klimaneutraler nachhaltiger Biomasse bereits heute an seine Grenzen. "Wir brauchen also für spürbar weniger CO2-Emissionen viel mehr nachhaltig erneuerbare Kraftstoffe. Deshalb müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich vorangehen." Diese Anlage hier sei ein sehr guter Anfang, aber jetzt gehe es in Zukunft um Skalierung und um noch größere Anlagen, um den Markthochlauf von solchen Kraftstoffen voranzutreiben.
"Wir haben als erstes Land in Europa gesetzlich festgelegt, das strombasiertes Kerosin ab 2026 mindestens 0,5 Prozent des Flugkraftstoffes ausmachen muss - das sind etwa 50.000 Tonnen pro Jahr", so Svenja Schulze. Das sei also ein Vielfaches von dem, was diese Anlage im Jahr produzieren könne. 2030 liege die Quote bei zwei Prozent. "Das zeigt, dass wir weitere und größere Anlagen brauchen." Das lohne sich für die Betreiber, denn das Gesetz schaffe eine Absatzgarantie. Und es eröffne für deutsche Technologien enorme Exportchancen in Länder mit vielen erneuerbaren Energien.
Die Komponenten und die Ingenieursleistung für diese Anlage stammen fast ausschließlich aus Deutschland, unter anderem vom Siemens-Standort Bremen. "Die Anlage besteht aus mehreren Aggregaten, etwa dem Elektrolyseur von Siemens Energy oder der Synthese-Anlage von Ineratec, in der das Vorprodukt für das E-Kerosin entsteht", so Rainer Lekzig, Standortleiter von Siemens in Bremen. "Und diese Anlage müssen miteinander kommunizieren. Und dafür haben wir unter anderem das Prozessleitsystem und die Automatisierung entwickelt."
Der Bau der Anlage ist ohne staatliche Förderung ausgekommen. Das Geld stamme von den Beiträgen der Atmosfair-Kunden, so Dietrich Brockhagen, Chef der Klimaschutzorganisation. Die betreibt eine Kompensation durch erneuerbare Energien für den Fall, dass es keine zumutbare Alternative gibt, die weniger CO? verursacht. Außerdem soll dadurch ein technologisches Entwicklungspotenzial hin zu einem CO?-freien oder CO?-armen Produkt erreicht werden. Zudem handelt die Organisation nach dem Motto "Besser jetzt als dann": Die Kompensation stelle eine Ad-Hoc-Lösung dar, da es aufgrund des Zeithorizonts im Sinne des Klimas besser sei, zum jetzigen Zeitpunkt eine Tonne CO? einzusparen als erst 2050.
Atmosfair-Kunden seien die besten und treuesten, so Brockhagen in seiner Rede. "Sie kommen aus der ganzen Gesellschaft. Und sie haben schon längst verstanden, dass die Klimawende im Luftverkehr teuer wird." Sie seien aber bereit, dafür 50 bis 100 Euro mehr zu zahlen für einen Hin- und Rückflug nach Teneriffa und zurück, damit E-Kerosin beigemischt werden könne. Das ermögliche schon jetzt ein Vielfaches von dem, was das Gesetz 2026 verlange. "Das macht mir Mut. Das zeigt mir, unsere Gesellschaft steht zusammen. Sie weiß, worauf es ankommt und ist vielleicht viel bereiter etwas zu tun, als es Politik uns zutraut." Zu dieser Entwicklung habe vor allem auch die Fridays-For-Future-Bewegung beigetragen. Klima sei dadurch zum Gesellschaftsthema Nummer eins in Deutschland geworden und habe die politische Agenda verändert.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hob per Videobotschft die Bedeutung der Anlage hervor. Klimaschonende Mobilität stelle ein wichtiges Element des Klimaschutzes insgesamt dar, auch im Luftverkehr. Synthethisch CO2-neutrales Kerosin spiele dabei eine bedeutende Rolle. "Mit der Power-to-Liquid-Roadmap wollen Bund, Länder und Industrie für einen Markthochlauf dieser Kraftstoffe sorgen. Um unser Ziel von 200.000 Tonnen grünem Kerosin jährlich bis 2030 zu erreichen, gilt es nun, die Produktionskapazitäten erheblich zu steigern." Dafür sei mit der Anlage in Werlte ein wichtiges Signal gesetzt worden.