Bis 2050 will die weltweite Handelsschifffahrt klimaneutral sein. Das Ziel ist klar, aber der Weg hin zu Null-Emissionen ist umso unklarer – zumindest wird in der Realität anders gehandelt, als es die Theorie erfordert. Das wurde beim "Sustainable Shipping" deutlich, dem fünften Bremer Kongress für Nachhaltigkeit in der Schifffahrt, der am Montagabend begonnen hatte und an diesem Dienstag Schifffahrts- und Logistikunternehmen sowie die Wissenschaft zusammenbrachte. Es geht dabei um den Austausch über praxisnahe Möglichkeiten und Perspektiven zur Reduzierung der Emissionen.
Die Orderbücher für Containerschiffe haben sich in den vergangenen Monaten wieder gefüllt. 2020 waren die Auswirkungen der Pandemie noch nicht absehbar. Das sorgte für Zurückhaltung bei den Reedereien, die sich teilweise entschlossen hatten, ältere Schiffe aus dem Markt zu nehmen. Im Spätsommer vergangenen Jahres zog die Konjunktur wieder an und ist seitdem auf einem Niveau, das die Kassen der Containerlinien-Reedereien sehr gut füllt. Die Frachtraten befinden sich auf einem Rekordhoch und auch die Charterraten haben sehr angezogen. Es werden wieder Schiffe bestellt, doch nur ein kleiner Teil wird dazu beitragen, die Emissionen zu reduzieren.
"Die Reeder sind in der Lage, Reserven aufzubauen und zu investieren", sagte Burkhard Lemper, Geschäftsführer des Bremer Instituts für Seeverkehrswirtschaft, in seinem Vortrag über Trends und Entwicklungen auf den globalen Schifffahrtsmärkten. Schaue man sich die aktuellen Orderbücher hinsichtlich der beauftragten Antriebe und Kraftstoffe an, zeige sich aber, dass 46 Prozent der Tonnage mit konventionellen Motoren betrieben werde. Da seien zudem auch noch keine Scrubber eingeplant, also Filteranlagen, die unter anderem einen Großteil der Schwefeldioxidemissionen rauswaschen. Schiffsbestellungen mit Scrubber hätten einen Anteil von 21 Prozent. Es gebe eine größere Anzahl an Schiffen, die für den Einsatz von verflüssigtem Erdgas – Liquified Natural Gas (LNG) – vorbereitet seien. Der Anteil alternativer emissionsärmerer Treibstoffe wie Methanol und Ethanol oder der Batteriebetrieb fielen vergleichsweise gering aus.
"Wenn man sich die Ziele vor Augen führt, muss man feststellen, wenn wir bis 2050 etwas erreichen wollen – etwa CO2-Neutralität – dann müssten die Schiffe, die jetzt in den nächsten drei Jahren gebaut werden eigentlich schon auf Null-Emissionen ausgelegt sein, weil die in knapp 30 Jahren immer noch fahren", so Lemper. Die tatsächlichen Neubestellungen seien aber nicht dazu geeignet, das Ziel zu erreichen. Und es kommt nicht wenig in den Markt: Der März brachte beispielsweise mit 1,1 Millionen neuen Stellplätzen auf Containerschiffen den bislang höchsten Bestellwert in einem Monat. Es zeige sich, wie groß das Delta zwischen Anspruch und Realität sei, kommentierte Moderator Iven Krämer die Entwicklung. Da gebe es noch einen enormen Diskussions- und Handlungsbedarf, so der Ressortleiter bei der Häfensenatorin.
Gerade weil der Weg zur Klimaneutralität in der Schifffahrt nicht per Knopfdruck herbeizuführen ist, wurde der Bremer Kongress für Nachhaltigkeit in der Schifffahrt 2013 ins Leben gerufen und findet seitdem alle zwei Jahre statt. Veranstaltet wird dieses Fachforum von der Häfensenatorin zusammen mit der Hochschule Bremen, dem Maritimen Cluster Norddeutschland, der Hafengesellschaft Bremenports, Fachverbänden und weiteren Partnern aus der Hafenwirtschaft. Den Kongress zeichne aus, dass alle notwendigen Akteursebenen zusammenkämen, die dazu benötigt würden, um gemeinsam den Weg zur Klimaneutralität in der Schifffahrt ebnen zu können, sagte Karin Luckey, Rektorin der Hochschule Bremen, in ihrem Grußwort. Dazu zähle Politik, Verwaltung, die maritime Wirtschaft, Verbände und die Wissenschaft.
"Wissenschaft und Häfen gehören eng zusammen", hatte Häfensenatorin Claudia Schilling (SPD) bereits am Montagabend gesagt, als der Kongress mit einem Empfang des Bremer Senats eröffnet wurde. "Wir legen in Bremen und Bremerhaven großen Wert darauf, Häfen, Schifffahrt und Wissenschaft miteinander zu verbinden", so Schilling weiter. "Wenn zum Beispiel an der Hochschule in Bremerhaven an neuen Wasserstoffantrieben gearbeitet wird, geht es dabei auch um das umweltverträgliche Schiff. Reedereien interessieren sich deshalb auch für das Wasserstoffprojekt an der Hochschule."
Der Kongress beinhaltet vor allem auch Fachvorträge und Workshops, die sich mit innovativen klimaneutralen Antriebstechnologien beschäftigen. Zudem stellen Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategien vor – dieses Mal das Logistikunternehmen Kühne + Nagel und die Containerlinienreederei Hapag-Lloyd. Kühne + Nagel setzt etwa unter anderem auf Kompensationsmaßnahmen, die der Kunde dazu kaufen kann. Hapag-Lloyd erweitert die Flotte um zwölf Containerschiffe, die mit LNG angetrieben werden. Um mit diesem Antriebssystem noch bessere klimaschonende Resultate zu erzielen, hofft die Reederei darauf, dass künftig synthetisches LNG mit dem Einsatz von erneuerbaren Energien in ausreichenden Mengen hergestellt werden kann.