Bremen. "Die Zeit drängt", sagt Hubert Weber. "Bis Ende des Jahres muss die Politik etwas gegen die Spekulation auf den Rohstoffmärkten getan haben. Sonst wird das Geschäft sehr schwierig, und in manchen Ländern werden sich die Menschen keine Nahrungsmittel mehr leisten können." Diese drastische Warnung richtet der Chef des Europa-Kaffeegeschäfts beim weltweit zweitgrößten Nahrungsmittelhersteller Kraft Foods an die Adresse der Politik. Hintergrund der Warnung: die weiter steigenden Preise für Lebensmittelrohstoffe. Vor allem Rohkaffee ist so teuer wie zuletzt vor 34 Jahren.
Die edle Sorte Arabica kostete gestern rund drei Dollar pro Pfund, die weniger anspruchsvolle Sorte Robusta knapp 1,40 Dollar pro Pfund - so viel wie seit 1977 nicht mehr. Von Januar 2010 bis heute sind diese beiden wichtigsten Sorten um 150 Prozent teurer geworden. "Das sind Größenordnungen, die es in dieser Form noch nie gegeben hat", sagt Weber, der bis Juli 2010 Deutschland-Chef von Kraft Foods mit Sitz in Bremen war. "In dieser Form" sagt Weber deshalb, weil 1977 schlimmer Frost die gesamte Ernte im größten Anbauland Brasilien zerstört und somit für eine weltweite Verknappung gesorgt hatte.
Kostentreiber Spekulation
"Aktuell gibt es aber keine Verknappung", sagt Weber. "Im Gegenteil: In Brasilien gab es 2010 die beste Ernte aller Zeiten bei Arabica-Bohnen. Und die Anbauflächen für Robusta wurden in Asien ausgebaut." Für den Manager sind neben der gestiegenen Nachfrage nach Kaffee in den Schwellenländern vor allem die Spekulationen an den Rohstoffbörsen für die Preis-Rallyes bei Rohkaffee verantwortlich.
Und das treibe die Kosten für Händler und Röster in kaum noch erträgliche Höhen. Die Folge sind Preiserhöhungen. Deutschlands größter Kaffeeröster Tchibo hat die Preise im März um zehn Prozent angehoben. Discounter wie Aldi und Lidl haben ebenfalls die Preise erhöht. Für Weber ist es deshalb unverzichtbar, dass die Politik einschreitet. Er fordert mehr Transparenz. "Wie in den USA muss ein Gesetz auch bei uns dafür sorgen, dass Händler, die an den Börsen mit Lebensmitteln Geschäfte machen, eindeutig zu identifizieren sind." Zudem müsse das Handelsvolumen bei Termingeschäften auf drei bis vier Prozent der Gesamtproduktionsmenge begrenzt werden - das entspricht laut Weber rund einem Drittel der Menge an Rohkaffee, die Kraft Foods weltweit kauft.
Die Forderungen sind inzwischen bei der Politik angekommen. Die Bundesregierung setzt sich im Rahmen einer G20-Initiative dafür ein, extreme Preisschwankungen zu unterbinden. Der Aktionsplan soll laut Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) Ende Juni beschlossen und dann auf dem G20-Gipfel im November diskutiert werden."Wir brauchen eine Stärkung der Funktionsfähigkeit der Agrarmärkte und die Verbesserung von Markttransparenz und Marktinformation. Und wir müssen uns auf internationaler Ebene gemeinsam gegen Missbrauch und Manipulation von Preisen einsetzen", sagte Aigner kürzlich. Zudem, so Weber, unterstütze die Regierung auch die EU-Verordnung, nach der strengere Regeln und mehr Transparenz auf den Finanzmärkten gelten sollen.
"Wir erwarten, dass diese Verordnung im Herbst von Kommission und Parlament der EU verabschiedet wird", macht Weber Druck. "Finanzinvestoren haben einen bedeutenden Teil der physischen Lebensmittelrohstoffe aus dem Markt genommen", sagt er weiter. "Die Börsenlage hat sich vom Markt völlig abgekoppelt." Das Handelsvolumen sei 20 Mal höher als die Menge an Rohkaffee, die physisch vorhanden sei. "In den vergangenen drei Jahren hat sich das Finanzvolumen in den Rohwarenmärkten vervierfacht", sagt er.
"Die produzierende Wirtschaft leidet unter den explodierenden Rohstoffpreisen", sagt auch der Bremer Wirtschaftsforscher Rudolf Hickel. Maßgeblichen Einfluss darauf hätten Spekulanten an den Warenterminbörsen. Deren Geschäfte seien für rund 30 Prozent der Preiserhöhungen verantwortlich. Nach Angaben der US-Aufsichtsbehörde werden auf dem Ölmarkt 270 Millionen Fass durch Spekulation bewegt. "Das ist das Zehnfache des Tagesverbrauchs in Deutschland", sagt Hickel.
Der Ökonom warnt jedoch ebenso wie der Kraft-Foods-Kaffeechef davor, Spekulationsgeschäfte grundsätzlich zu verurteilen. "Warenterminmärkte bieten eine wichtige Chance, Rohstoffe gegen künftige Preisrisiken abzusichern", sagt der
Bremer Ökonom. Weber ergänzt: "Es ist eine bestimmte Menge Geld nötig, damit dieser Markt funktionieren kann. Aber die Investoren, die das Geld in diese Märkte geben, müssen erkennbar sein." Hickel warnt vor einer Blase, die bald zu platzen droht. "Es geht nur noch um tagtägliche Geschäfte mit der Spekulation auf kleinste Preisdifferenzen. Im Klima eines irrationalen Überschwungs droht eine Preisblase zu entstehen, denn die Preise haben sich von den realisierbaren Werten entkoppelt. Wenn diese Blase platzt, dann wird über Kettenreaktionen die Weltwirtschaft belastet."
Oder es werden unkalkulierbare Gefahren für die Nahrungsmittelversorgung in bestimmten Ländern heraufbeschworen. Lebensmittel-Rohstoffe machen nur rund acht Prozent des gesamten Rohstoff-Marktes weltweit aus. "Es gibt riesige Märkte, in denen sich Investoren engagieren können", sagt Weber. "Von Lebensmittelmärkten sollten sich spekulativ veranlagte Investoren aus rein gesellschaftlicher Verantwortung fernhalten. Damit sollte man nicht zocken. Das Thema ist zu ernst."
Auch die Bundesregierung ist dieser Meinung. "Die Nahrungsmittelmärkte dürfen nicht zum Objekt von Spekulanten werden. Nahrungsmittel und Agrarrohstoffe sind kein Produkt wie jedes andere. Es geht um die Lebensgrundlage von Milliarden Menschen", sagte Verbraucherministerin Aigner. Von den rapiden Preissteigerungen etwa bei Weizen oder Mais seien besonders die notleidenden Menschen in Entwicklungsländern betroffen. "Wir bekennen uns zum Menschenrecht auf Nahrung. Die internationale Gemeinschaft steht hier in der Verantwortung, diesem Menschenrecht Geltung zu verschaffen."
Über allem steht dabei die Forderung nach mehr Transparenz auf den Finanzmärkten. Die EU will sie mit der Finanzmarktrichtlinie Mifid (Markets in Financial Instruments Directive, deutsch: Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente) durchsetzen. Weber macht Druck: "Bis Ende des Jahres sind Ergebnisse nötig. Sonst könnten Kaffeeunternehmen in existenzielle Not geraten."
Das Problem besteht aber offenbar auch schon jetzt. Viele vor allem kleinere Unternehmen würden schon seit Monaten von der Substanz leben. "Bei den Rohstoffpreisen und der Einzelhandelsstruktur ist mit Kaffee im Moment kein Geld zu verdienen", sagt ein Branchenkenner, der seinen Namen nicht in der Zeitung sehen will. Die Substanz sei aber demnächst aufgebraucht - und dann müssten viele Röstereien in Deutschland aufgeben. Das betrifft vornehmlich die Standorte Bremen und Hamburg. Diese beiden Städten sind die Kaffeezentren Deutschlands. Die wichtigsten Unternehmen in Bremen sind Kraft Foods, Melitta, Azul, Westhoff, Münchhausen sowie die Coffein Compagnie, die sich auf Entkoffeinierung spezialisiert hat.