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Experte sieht Schattenseiten Bremer Unternehmen zahlt 150 Euro für einen Monat ohne Ausfalltage

Im Betrieb des Bremers Julius Runge gibt es Geld, wenn die Beschäftigten im Vormonat nicht krank gewesen sind. Der Unternehmenschef sieht einen Effekt. Wie kommt der Bonus an? Und was sagen Experten dazu?
05.03.2025, 05:00 Uhr
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Bremer Unternehmen zahlt 150 Euro für einen Monat ohne Ausfalltage
Von Lisa Schröder

Um den Krankenstand in Deutschland ist längst eine Diskussion entfacht – selbst wenn es zuletzt einen leichten Rückgang gegeben hat: Die Wirtschaft klagt über hohe Fehlzeiten. „Die Unternehmen leiden unter den extrem hohen Krankheitstagen“, sagt der Bremer Julius Runge. Einen gewissen Anteil an „klassischen Blaumachern“ habe es zwar immer gegeben, sagt der Geschäftsführer des Fachgroßhandels Tegro, der unter anderem Berufsbekleidung und Industriebedarf anbietet. Seit Corona hätten die Krankenstände jedoch ein neues Niveau erreicht. Gerade bei den Auszubildenden gebe es hohe Ausfallquoten.

Was tun? Runge setzt auf Gespräche mit den Beschäftigten, die auffällig oft fehlten – und auf einen Bonus: Wenn die Beschäftigten im Vormonat nicht krank gewesen sind, gibt es zusätzlich zum Gehalt 150 Euro. „Das kommt sehr gut an“, sagt er. Einige andere Unternehmen gingen diesen Weg: „Da reden alle nicht so gern drüber. Das halte ich für einen Fehler.“ Runge spricht von einem „Vertretungsbonus“. Der solle jene Mitarbeiter belohnen, die wegen des Ausfalls von Kollegen eben auch eine höhere Belastung hätten. „Es ist ein heikles Thema“, sagt auch Runge. Vor der Einführung habe es eine Mitarbeiterbefragung gegeben. Die Reaktionen seien positiv gewesen. Es gehe um eine Anerkennung der Beschäftigten im Dienst – und nicht eine Bestrafung derjenigen, die öfter krank seien.

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Eine Belohnung für die Beschäftigten? „Das klingt zunächst gut“, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit. Es sei zu erwarten, dass die Krankmeldungen im Unternehmen zurückgingen. Das sei bei der Einführung von Karenztagen zu beobachten. Doch ein solches Instrument habe Schattenseiten. „Ich treffe damit nicht nur die Blaumacher. Es steigt der Druck auf Menschen, die wirklich krank sind“, kritisiert Weber. In der Folge schleppten die Beschäftigten sich womöglich doch zur Arbeit, um die 150 Euro nicht zu verlieren. Das sei problematisch. Wer krank zur Arbeit gehe, könne seine Kollegen anstecken, sagt Weber. „Und es kommt zu mehr Fehlern und Unfällen.“ Der Experte geht nicht mit dem Argument mit, dass es für Beschäftigte mit Krankmeldungen keine Nachteile gebe, weil der Bonus zusätzlich zum Gehalt gezahlt werde. „Das ist Augenwischerei“, findet Weber. Am Ende müssten Beschäftigte, die öfter krank seien, eben auf Geld verzichten.

Auch Ernesto Harder lehnt einen solchen Bonus ab. „Es ist eine Gesundheitsprämie“, kritisiert der Geschäftsführer des DGB in der Region Bremen-Elbe-Weser. Es habe in der Vergangenheit immer wieder Krankheitswellen gegeben. Solche Spitzen – etwa in der Grippezeit – seien auch vor der Pandemie zu beobachten gewesen. Ein Bonus könne dazu verleiten, krank „mit dem Kopf unterm Arm“ in den Betrieb zu kommen und Kollegen anzustecken. Der Betroffene selbst verschleppe die Erkrankung. „Ich halte davon nichts“, sagt Harder. Um das vermeintlich schlechtere Arbeitsethos hierzulande gebe es eine Diskussion. „Das Gegenteil ist der Fall“, sieht es der Bremer DGB-Chef. Deutschland liege bei den unbezahlten Überstunden weit vorne – auch im internationalen Vergleich.

Aus Sicht von Runge gibt es allerdings Handlungsbedarf wegen der Krankentage. Die Kunden hätten kein Verständnis dafür, wenn jemand krank sei, die Aufträge müssten erledigt werden: „Das muss funktionieren.“ Doch selbst mit leichtem Schnupfen blieben Beschäftigte zu Hause: „Die sind fünf Tage nicht da.“ Gegen den Trend gebe es in seinem Unternehmen weniger Krankmeldungen. Seiner Wahrnehmung nach ist das auf den Bonus zurückzuführen.

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Die Krankheitsausfälle sind nach Auswertungen von Krankenkassen im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen. Nach Angaben der Techniker Krankenkasse waren Erwerbstätige demnach 19,1 Tage krankgeschrieben – nach dem Rekordwert von 19,4 Tagen im Vorjahr. Eine Studie der DAK kam unlängst zum Ergebnis: Der Krankenstand sei nicht auf das „Blaumachen“ von Beschäftigten zurückzuführen. Grund für den Anstieg der Fehltage seien vor allem ein neues elektronisches Meldeverfahren und Erkältungswellen. Der Vorstand der Krankenkasse warnte vor einer „Misstrauenskultur in der Arbeitswelt".

Aus Sicht von Arbeitsmarktforscher Weber handelt es sich im Bremer Fall um einen „Nicht-krank-Bonus“ – und nicht einen echten Vertretungsbonus. Der könne durchaus sinnvoll sein, wenn damit die Übernahme zusätzlicher Aufgaben honoriert werde und nicht das Ausbleiben von Krankmeldungen. Arbeitgeber sollten nach Einschätzung von Weber besser das Gespräch mit ihren Mitarbeitern suchen, wenn diese sich auffällig oft krankmeldeten: Woran liegt das? Wo passt die Motivation nicht?

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