Bremen. Es gibt etliche Schiffe, die in den vergangenen Tagen für Schlagzeilen gut waren. Dass aber sieben Seeleute auf der ebenfalls gekaperten "Beluga Nomination" weiter um ihr Leben bangen, droht in den Wirren um die finanziell angeschlagene Bremer Beluga-Reederei in Vergessenheit zu geraten.
Mehr als zwei Monate ist der Überfall inzwischen her. Am 22. Januar hatten Piraten den Schwergutfrachter auf seinem Weg von Malta zu den Seychellen angegriffen. Die Besatzung wurde in Geiselhaft genommen, nachdem sie sich zunächst erfolgreich in einem Schutzraum hatte verschanzen können. Einen Tag später eskalierte die Situation nach einem missglückten Befreiungsversuch durch zwei Kriegsschiffe. Ein Pirat und drei Crewmitglieder starben, zwei weiteren Seeleuten gelang die Flucht. Mit dem Rest der Besatzung steuerten die Piraten die somalische Küste an, vor Harardere liegt der Frachter nun vor Anker.
Seither wurde wenig über das Schicksal der verbliebenen sieben Seeleute bekannt. Zuletzt beschrieb der damalige Beluga-Chef Niels Stolberg Ende Februar die schwierigen Verhandlungen und die wirtschaftlichen Folgen der Piraterie für seine Reederei. Die folgenden dramatischen Ereignisse sind inzwischen bekannt: Stolberg wurde entmachtet, der US-Investor und Mitgesellschafter Oaktree übernahm das Management, in der vergangenen Woche wurde für die beiden operativen Kernsparten "Shipping" und "Chartering" Insolvenz angemeldet.
Der gleich nach der Piratenattacke bei Beluga installierte Krisenstab ist bislang von allen Turbulenzen und Machtwechseln im Haus verschont geblieben. Seit Anfang Februar, als sich die Piraten erstmals telefonisch meldeten, ist er auch personell unverändert. Ihm gehört neben dem Sicherheitschef der Reederei die Führungsspitze der Abteilung Fleet Management an, zuständig für Seepersonal und Schiffsbetrieb. Im Zwei-Tage-Rhythmus, immer morgens um neun Uhr, telefonieren sie mit den Entführern, meist auch mit einem Besatzungsmitglied wie dem polnischen Kapitän des Frachters. Demnach sind alle an Bord noch wohlauf, den Umständen entsprechend. Zuletzt gab es gestern Kontakt nach Somalia. "Es sind Forderungen erhoben worden", bestätigte ein Firmensprecher, "über Details können und wollen wir nicht sprechen."
Piratenfall für Bremer Polizei
Auch Bremer Polizei und Staatsanwaltschaft müssen erstmals in ihrer Geschichte wegen eines Piratenaktes ermitteln. Kriminalbeamte hatten seinerzeit die beiden Seeleute vernommen, denen im Getümmel nach dem gescheiterten Befreiungsversuch die Flucht in einem Rettungsboot der "Beluga Nomination" gelungen war. Die eingehenden Anrufe aus Somalia machen auch Bremen zum Tatort. In dem eher unwahrscheinlichen Fall, dass die Kidnapper je gefasst und an Deutschland ausgeliefert werden, könnten sie in Bremen angeklagt und vor Gericht gestellt werden, wie es gerade in einem vergleichbaren Fall in Hamburg geschieht.
Das Beluga-Krisenteam wird von Spezialisten der gleichen britischen Sicherheitsfirma beraten, die vor zweieinhalb Jahren bei der Entführung der "BBC Trinidad" beratend zur Seite stand und die abenteuerliche Lösegeld-Übergabe organisierte - damals ging es um 1,1 Millionen US-Dollar, die von einem Schlepper überbracht wurden. Auch von Flugzeugen wurden die Säcke voller Banknoten schon abgeworfen.
Inzwischen fordern die Piraten jedoch weit mehr Geld. Vor sechs Jahren reichten noch 150000 Dollar, heute müssen im Schnitt mehr als fünf Millionen gezahlt werden, die "Emsriver" kam für drei Millionen Euro frei. Die Freilassung des koreanischen Öltankers "Samho Dream" kostete sogar den Rekordbetrag von 9,5 Millionen Dollar. Auch die Dauer der Verhandlungen hat sich spürbar verlängert. Die "BBC Trinidad" kam nach drei Wochen wieder frei, inzwischen werden die Schiffe dagegen im Schnitt vier Monate, oft noch erheblich länger festgehalten. Um den Druck auf die Reedereien zu erhöhen, so berichten Seeleute nach ihrer Heimkehr, häufen sich zudem massive Misshandlungen von Besatzungsmitgliedern.
30 gekaperte Schiffe vor Somalia
Die internationale Seestreitmacht hat dem zu wenig entgegenzusetzen. Zwar werden immer wieder Angriffe vereitelt und Piraten festgenommen. Jüngst konnte die indische Marine erstmals ein ganzes Piratengeschwader, bestehend aus Mutterschiff und mehreren Skiffs (Angriffsbooten) vor ihrer Küste aufbringen und zerstören. Doch haben Somalias Freibeuter inzwischen ihren Aktionsradius auf ein Seegebiet ausgedehnt, das von der afrikanischen Küste bis nach Indien im Osten und bis zu den Seychellen im Süden reicht. Bei so großen Distanzen verlieren sich selbst 30 Kriegeschiffe wie die berühmte Nadel im Heuhaufen. Auch die "Beluga Nomination" wurde mehr als 2000 Kilometer von der Küste entfernt angegriffen. Seither lässt die Reederei ihre Schiffe, derzeit sind drei im Risikogebiet unterwegs, weite Umwege fahren oder heuert, wie damals von Stolberg angekündigt, bewaffnete Begleitteams einer privaten Sicherheitsfirma an.
Nur eines lässt derzeit ein wenig Hoffnung keimen, dass die "Nomination" möglichst schnell freikommt. Derzeit halten die Piraten vor ihren Hochburgen Harardere, Eyl und Hobyo gut 30 Schiffe mit mehr als 700 Seeleuten gefangen. Alle Geiseln zu bewachen und zu versorgen, werde zunehmend ein logistisches Problem, heißt es bei den Sicherheitsbehörden. Angeblich seien die Piraten daher eher zu Verhandlungslösungen bereit und mit weniger Lösegeld zufrieden. Der "Beluga Nomination" hat das bislang noch nicht geholfen.