Frau Müller, Sie sind seit Beginn des Jahres Koordinatorin der Bundesregierung für die maritime Wirtschaft und Tourismus. Was ist Ihr persönlicher und politischer Zugang zu diesen komplexen Themen?
Claudia Müller: In der letzten Wahlperiode war ich die Mittelstandsbeauftragte der Grünen-Fraktion. Da habe ich eng mit meinen Tourismus-Kolleginnen und -Kollegen zusammengearbeitet. Ich habe mich außerdem um die maritime Wirtschaft gekümmert. Mein persönlicher Zugang dazu ist in meiner Familie begründet. Mein Vater hat an der Universität Rostock in diesem Bereich geforscht – das prägt natürlich.
Angesichts eines Sondervermögens von 100 Milliarden, das die Ampel gerade wegen des Angriffs von Putin auf die Ukraine für die Verteidigung auf den Weg bringt – wie verändert das Ihre Arbeit im Wirtschafts- und Klimaministerium?
Nach der Ankündigung des Sondervermögens durch den Bundeskanzler geht es nun um die genaue Ausgestaltung. Die Federführung hat das Bundesverteidigungsministerium. Dort schaut man sich jetzt genau an, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Aus Sicht der Maritimen Koordinatorin habe ich natürlich ein besonderes Augenmerk auf den Marineschiffbau und die maritimen Zulieferer in diesem Bereich. Gleichzeitig sind der Klimawandel und die Transformation des Verkehrssektors – zu dem eben auch die Schifffahrt gehört – eine stetige Herausforderung. Darum begrüße ich es sehr, dass sich Wirtschaftsminister Habeck und Finanzminister Lindner darauf verständigt haben, in den kommenden Jahren 200 Milliarden Euro für die Klimawende und eine größere Unabhängigkeit von Öl- und Gas-Importen auszugeben. Das alles versuchen wir jetzt zusammenzubringen.
Haben Sie ein Beispiel?
Nehmen wir den Marineschiffbau. Da wird es mit dem Sondervermögen Bundeswehr deutlich wahrscheinlicher, dass längst geplante Projekte jetzt finanziert und zeitnah umgesetzt werden können. Damit würden wir lange bekannten Forderungen nach einer besseren Ausstattung der Marine nachkommen. Wie wichtig das ist, haben wir schmerzlich durch den Ukraine-Russland-Krieg erkennen müssen. Aber das Thema Sicherheit bedeutet für uns nicht nur militärische Sicherheit, sondern auch Zivilschutz, Energiesicherheit und Krisenprävention.
Im Bereich Marineschiffbau wurde bislang europaweit ausgeschrieben. Ist es denkbar, solche Projekte künftig auf Deutschland zu beschränken?
Schon in der letzten Wahlperiode ist der Überwasserschiffbau zur Schlüsseltechnologie, also als sicherheitsrelevant, erklärt worden. Mit diesem Label sind nationale Ausschreibungen möglich. Unserer Ansicht nach sollte das künftig auch auf Wartungs- und Instandhaltungsaufträge ausgeweitet werden. Im Koalitionsvertrag finden Sie zudem eine Erweiterung auf Behördenschiffe. Das Problem ist, dass nach EU-Regeln Schlüsseltechnologien sehr klar definiert sein müssen, auch im Einzelfall. Aber was wir schon jetzt machen können, ist, Ausschreibungen nach ökologischen, sozialen, tarifpolitischen Kriterien auszugestalten. Das wird bis jetzt zu wenig genutzt.
Wer setzt diese Standards?
Das müssen immer die Häuser machen, die die jeweiligen Flotten haben, das ist leider noch nicht zentral geregelt. Das Landwirtschaftsministerium hat einige Schiffe zur Fischereiaufsicht, das Innenministerium die Zollboote, das Verkehrsministerium hat zahlreiche Schiffe zur Wartung und Instandhaltung der Wasserstraßen und das Forschungsministerium ist für die Forschungsschiffe zuständig. Es wäre ein sinnvoller Schritt nach vorne, das Management der Schiffe und das hierfür notwendige Fachwissen zu bündeln. Schon um Mehrfachstrukturen zu vermeiden.
Gibt es eine Strategie für die kurzfristige Stärkung des Schiffbaus? Gerade im Fall der insolventen MV Werften scheint das sinnvoll.
Bei Werften muss man sehr aufpassen, kein europäisches Vertragsverletzungsverfahren zu riskieren. Direkte Beihilfen können wir nach EU-Beihilferecht nicht geben. Was wir aber machen, ist bereits geplante und budgetierte Projekte vorzuziehen, auch im Wartungs- und Modernisierungsbereich. Aber auch hier hakt es. Die Ausschreibung für das neue Forschungsschiff "Polarstern II" zum Beispiel wurde nach einem langen Planungsvorlauf erst wieder zurückgezogen und nun warten wir alle sehnlichst auf die Freigabe der neuen Ausschreibung.
Sehen Sie Licht am Tunnel für die MV Werften?
Ja. Für die drei Standorte in Mecklenburg-Vorpommern wurde jetzt das Insolvenzverfahren eröffnet. In Bremen scheint die Insolvenz durch den Verkauf nun abgewendet. Und auch für die anderen Standorte in Mecklenburg-Vorpommern gibt es bereits Interessenten, das sind verlässliche Leute aus der Branche mit soliden Finanzierungen. Es ist auch positiv, wie viele Interessenten es für das Kreuzfahrtschiff "Global Dream" gibt, das zu 75 Prozent fertig ist. Klar ist: Es wird weitergehen an den Standorten. In welchem Umfang, ist dann die Entscheidung der neuen Eigentümer.
Ihr Minister hat die MV Werften in Wismar besucht und von einer Vorreiterrolle in Bezug auf erneuerbare Energien und moderne Antriebstechnologien gesprochen. Wie realistisch ist das?
Ich kann mir gut vorstellen, dass in Rostock wieder Konverter-Plattformen für Offshore-Windenergie gebaut werden. Das wurde dort in der Vergangenheit schon gemacht und könnte auch in Zukunft wieder gemacht werden. Und dann ist ganz klar, dass die Schifffahrt zu den Klimazielen beitragen muss. Unsere hochinnovativen deutschen Werften sind die Systemintegratoren, die klimaschonende, später auch klimaneutrale Antriebe in das Schiffsdesign einpassen und einbauen. Das geht natürlich auch in Mecklenburg-Vorpommern.
Für welche Antriebstechnologien sollten sich Reeder entscheiden – egal, ob es sich um ein Kreuzfahrt- oder Handelsschiff handelt? Immerhin sind Schiffe 20 bis 30 Jahre im Einsatz, und Schifffahrt soll und will ja bis spätestens 2050 ganz ohne klimaschädliche Emissionen unterwegs sein.
Das ist eine große Herausforderung. Viele Schiffe, die jetzt in Auftrag gegeben werden, haben diesel-elektrische Antriebe. Die Frage ist dann: Woher kommt die Elektrizität? Sinnvoll ist es, die Antriebe so zu wählen, dass sie später so konfiguriert werden können, um mit wasserstoffbasierten Energieträgern wie Ammoniak oder Methanol als synthetische Kraftstoffe fahren zu können.
Die Kreuzfahrt-Passagierzahlen sind von 27,5 Millionen 2019 auf sieben Millionen 2020 eingebrochen. 2021 liegt die Zahl wieder bei 14 Millionen. Werden Sie und der Minister sagen müssen, dass der Kreuzfahrtschiffbau ein touristisches und wirtschaftliches Auslaufmodell ist? Werden Kreuzfahrten zum Verbotsfetisch – wie ein SUV Diesel?
Nein. Definitiv nicht. Im Kreuzfahrttourismus kumulieren sich verschiedene negative Aspekte, die wie auch aus anderen Tourismusbereichen kennen. Ich spreche hier beispielsweise von Umweltbelastungen durch Abgase oder auch von der Überlastung durch Tourismus. Die Kreuzfahrtbranche ist sich dieses Umstands übrigens sehr bewusst und reagiert bereits darauf, beispielsweise mit umweltfreundlicheren Antrieben. Wir gehen deshalb fest davon aus, dass die Nachfrage nach Kreuzfahrten wieder steigen wird. Ich glaube allerdings auch, dass die Schiffe nicht immer weiter wachsen können, denn schon heute können sie in manche Häfen nicht mehr einlaufen.
Sind für den Schiffbau insgesamt in Deutschland und Europa neue Rahmenbedingungen notwendig? Eine Renaissance des Containerschiffbaus wird es sicherlich nicht geben, aber die Industrie befürchtet, dass sich auch der Spezialschiffbau weiter nach Asien verlagern wird – nicht, weil dort besser gearbeitet wird, sondern weil der Wettbewerb wie schon beim Containerschiffbau durch massive staatliche Subventionen verzerrt wird.
Ja, sinnvoll wäre das. Das Problem kann aber nur auf europäischer Ebene angegangen werden. Es wird schwierig, da einen gemeinsamen Weg zu finden, weil es große Unterschiede in der Eigentümerstruktur der Schiffbauunternehmen gibt. Im Gegensatz zu Deutschland ist beispielsweise in Frankreich und Italien an den großen Werften der Staat beteiligt. Wir werden aber versuchen, eine gemeinsame Linie zu finden. Was wir nicht anstreben, ist ein Abschotten des Marktes, weil das zu handelspolitischen Gegenmaßnahmen führen würde. Sinnvoll ist es auf jeden Fall, die europäische Führerschaft bei zukunftsfähigen Antriebstechnologien auf breiter Ebene zu fördern und auszubauen. Denn mittel- und langfristig müssen die Weichen so gestellt werden, dass nur noch Schiffe europäische Häfen anlaufen dürfen, die klimaschonendere Antriebe haben, die auch den CO2-Ausstoß reduzieren. Das sollte nicht nur für Nord- und Ostsee gelten, sondern für den gesamten Mittelmeerraum. Darüber wird seit einiger Zeit mit den nicht-europäischen Anrainerstaaten verhandelt.
Der Bereich Offshore-Windenergie gehört auch zu Ihrem Bereich etwa, wenn es um Konverterstationen geht, die gerne 800 Millionen Euro und mehr kosten. Drei Ausschreibungen dafür gingen in der jüngsten Vergangenheit nach Asien. Sehen Sie Chancen, dass eine solche Station auch in Deutschland gebaut wird? Die nächste Ausschreibung steht 2025 an.
Wie bereits gesagt, könnte ich mir das gut in Mecklenburg-Vorpommern vorstellen. Aber ein solches Projekt muss natürlich von Anbieterseite entsprechend finanziell abgesichert sein. Das ist eine große Herausforderung für diejenigen, die sich an einer solchen Ausschreibung beteiligen. Wir müssen deshalb sehen, wie wir als Staat dafür die Rahmenbedingungen für hiesige Unternehmen optimieren können.
Eine persönliche Frage. Wenn Sie eine Kreuzfahrt machen müssten, auf welchem Schiff wäre das?
Wenn, dann würde ich auf einem Segelschiff eine Kreuzfahrt machen.