Frau Martens, Sie kommen bei der Gewoba ins Spiel, wenn es richtig Ärger gibt, quasi als Schiedsrichterin. Warum geraten Mieter aneinander?
Petra Martens: Wir alle haben unterschiedliche Bedürfnisse. Und wenn die nicht befriedigt werden, kann ein Konflikt entstehen. Das hört sich sehr theoretisch an, es ist aber oft genau dieser Ablauf: Die Leute haben eine Grunderwartung – ob beim Mieten, bei der Arbeit oder in der Beziehung. Und wird die nicht erfüllt, löst das natürlich eine Reaktion aus.
Um welche Konflikte geht es konkret?
Zum Beispiel um Ruhestörung. Die Mieterlandschaft hat sich sehr verändert – ist vielfältiger geworden. Stellen wir uns einen Mieter Mitte 70 vor: Der hat vielleicht ein aufregendes Leben hinter sich, jetzt möchte der gerne seine Ruhe haben. In seinem Haus lebten bisher andere Ältere. Und dann kommt der Umbruch, weil diese Mieter in ein Pflegeheim gehen oder auch versterben. Plötzlich ziehen viele junge Leute ein – lautere Leute, leisere Leute. Das stört den Mieter und er denkt: 'Früher war alles besser. Und jetzt kriegen die auch noch ein Kind!' Er wird unzufrieden.
Und ruft bei Ihnen an?
Ja, manchmal kontaktieren die Mieter mich auch direkt. Unsere Mieter können sich vorher auch beim Hauswart oder beim Nachbarschaftsmanager melden. Ein direkter Kontakt ist mir wichtig. Ich finde es gruslig, wenn jemand in der Warteschleife landet, der wegen eines Konflikts aufgebracht ist.
Die Menschen leiden so sehr unter dem Ärger?
Ja. Manchmal sagen Kollegen auch: 'Uh – dein Job ist nicht ganz ohne!' Und dann sage ich: 'Ja, aber ich mach ihn gerne.' Ich weiß, dass die Menschen anrufen, weil sie etwas auf dem Herzen haben. Ich habe es noch nie erlebt, dass jemand auf mich wütend war. Das grenze ich klar ab: Er brüllt ins Telefon in seiner Not. Punkt.
Trotzdem bekommen Sie den Ärger ab.
Damit kann ich umgehen. Das habe ich in meiner Ausbildung gelernt. Ich höre mir alles ganz in Ruhe an, selbst wenn jemand schreit. In all den Jahren war nicht einer dabei, der sich nicht hinterher dafür entschuldigt hat.
Kommt das am meisten vor? Mieter beschweren sich, dass jemand zu laut ist?
Darum geht es schon oft, aber auch um Konflikte an sich. In den Fällen waren die Nachbarn vielleicht sogar befreundet – haben jede Woche Kaffee getrunken. Und plötzlich bringt irgendetwas Unstimmigkeit rein. Da habe ich schon ganz putzige Sachen erlebt. Mein Weg ist: Ich bin die Schweiz. Ich muss nicht wissen, was vorher alles gewesen ist. Ich möchte verstehen, was im Augenblick am allermeisten stört. Jetzt. Heute. Hier.
Geht es dann um Kleinigkeiten? Wie der Müll sortiert ist?
Genau. Dann heißt es: 'Die Schuhe stehen auf der Fußmatte. Das geht gar nicht!' In Wirklichkeit steckt oft mehr dahinter. Wir achten darauf, dass die anderen Mieter nicht mit in den Konflikt reingezogen werden. Sonst ist der Hausfrieden gestört. Ich versuche herauszufinden, worum es beim Streit tatsächlich geht und eine Lösung zu finden.
Sodass die beiden wieder Kaffee trinken?
Die Chance ist zumindest da. Ich sage nur Chance, denn ich bin nicht das Allheilmittel für jeden Konflikt. Wenn es tatsächlich zu einer Lösung kommt, gucken die beiden Mieter sich oft an: 'Das ist eigentlich albern. Kindergarten!' Ich freue mich darüber, aber muss dann auch sagen: 'Es war bis hierhin kein Kindergarten. Sonst säßen wir nicht hier.'
Was raten Sie Menschen bei einem Konflikt?
Für unsere Mieter gibt es bestimmte Richtlinien und natürlich auch das Mietrecht an sich. Wir versuchen, dass es nicht zum Gang zum Gericht kommt. Dann tut es für alle Beteiligten nicht so weh.
Das passiert aber trotzdem?
Wenn wir die beiden nicht einfangen können, sage ich auch: 'Ganz ehrlich, ich habe den Eindruck, Sie wollen sich streiten.' Das ist – Gott sei Dank – nicht die Masse. Es kommt aber vor. In manchen Fällen raten wir, dass sich jemand eine andere Wohnung sucht, um die anderen Nachbarn zu schützen. Zum Glück ist es sehr selten, dass wir das Mietverhältnis mit jemandem beenden, weil er seine Nachbarn derart schikaniert hat und schon klar ist: Das wird wieder passieren.
Wie gehe ich generell bei Ärger vor?
Ein Rollenwechsel kann helfen. Wie fühlt der andere sich, wenn ich da jetzt klingle? Wie ist seine Perspektive? Es gibt verschiedene Eskalationsstufen in einem Konflikt. Je nachdem, wo man sich da befindet, kann man reagieren – oder auch nicht mehr. Und da kann man schwer cool bleiben. Wenn man selbst betroffen ist, sinkt der IQ auf null – das ist so. Ich würde immer versuchen, nett auf ein Problem hinzuweisen. Wenn man damit vernünftig umgeht, ist das wie ein Geschenk. Der andere weiß sonst gar nicht, wie er auf andere wirkt und wo dessen Grenzen sind.
Es geht also um Verständnis – selbst wenn man extrem sauer ist.
Ja. Es hilft nicht, zu sagen: 'Ich bin doch gar nicht laut!' Der andere empfindet es so. Wenn jemand sagt, 'Hallo Frau Martens, ihre Musik ist zwar sehr schön, aber ich habe einen anderen Geschmack und möchte daran nicht teilhaben', ist das eine charmante Art. Wenn jemand direkt loslegt, 'Die Musik ist unmöglich! Und Sie sind unmöglich!', mache ich direkt dicht und bin nicht mehr kompromissbereit.
Generell wird beim Streit empfohlen: Sprich über dich selbst. Und Beziehungsratgeber raten: Vermeide Worte wie 'ständig' und 'dauernd' und 'immer'.
Ja, das kommt beim anderen nicht an.
Und manchmal rutscht es einem trotzdem raus.
Viele Menschen sind auch gar nicht konfliktfähig. Das ist uns nirgends beigebracht worden – weder im Kindergarten noch in der Schule. Wir stellen unseren Mietern oft erst die Frage: 'Haben Sie schon mit Ihrem Nachbarn darüber gesprochen?' Ganz oft ist die Antwort: 'Nein. Das möchte ich auch nicht.' Leute geben in der Sache gerne die Verantwortung ab. Das liegt vielleicht auch daran, dass es eine gewisse Angst vor Übergriffen gibt. Die Leute haben Respekt vor der Konfrontation.
Das ist etwas unheimlich, wenn sich Menschen selbst bei einer harmlosen Sache nicht trauen, das anzusprechen.
Das ist aber so. Und das sagt etwas aus. Es hat auch mit einer größer werdenden Anonymität zu tun. Deshalb versuchen wir, die Menschen zusammenzubringen, zum Beispiel beim Mieterfest. Und dann merken einige: 'Der ist doch ganz nett – selbst wenn er nicht immer grüßt.' Einige kommen aber auch auf uns zu, weil es eine Erwartungshaltung an uns als Vermieter gibt. Es ist jedoch nicht so, dass jemand bei uns einen Mietvertrag unterschreibt und wir dann die Verantwortung für das weitere Leben übernehmen.
Wie haben sich die Konflikte verändert über die Jahre?
Es ist mehr Geschwindigkeit drin. Die Leute wollen ihren Willen durchsetzen – und manchmal egal wie.
Ihre Arbeit zeigt auch: Selbst wenn es detaillierte Hausordnungen gibt, ist eben nicht alles geklärt.
Das Zwischenmenschliche ist nicht geregelt. Das geht einfach nicht. Und darum gibt es Ombudsstellen wie bei uns.
Wie viele Fälle sind es, die Sie im Jahr begleiten?
Schon eine Menge. Es sind mehr als 100 Fälle. Das hört sich bei unseren 40.000 Wohnungen nicht viel an. Für die betroffenen Hausgemeinschaften kostet es viel Energie. Unser Zuhause ist ein geschützter Raum. Gerade dort möchten wir nicht belästigt werden. Deshalb sind wir da manchmal so sehr empfindlich.
Wie gehen Sie als Profi mit Konflikten um?
Für meine Arbeit brauche ich eine gewisse Distanz, selbst wenn teils Schicksale dahinterstehen. Wenn ich selbst einen Konflikt habe, zum Beispiel in der Familie, spüre ich natürlich die eigene Betroffenheit.
Dann sind Sie nicht mehr die Schweiz?
Ganz genau. Dann bin ich nicht mehr die Mediatorin.