Washington. Die größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg steckt den USA immer noch in den Knochen. Doch als wäre der lange und harte Weg zur wirtschaftlichen Erholung nicht mühsam genug, muss die weltgrößte Volkswirtschaft mit einem Problem kämpfen, das noch viel stärker aufreibt: die Ungewissheit. Seit Monaten versuchen Zentralbanker, Forscher, Investoren und Politiker sich ein klares Bild von der wahren konjunkturellen Situation ihres Landes zu machen. Doch einig sind sich alle nur in einem – die Daten sind widersprüchlich, die Situation ist konfus, und die Einflussmöglichkeit erschreckend klein.
Da scheint es kaum verwunderlich, dass die US-Bürger in Umfragen immer weniger Vertrauen in ihre heimische Wirtschaft zeigen. Wie das Forschungsinstitut Conference Board gestern mitteilte, ist ein entsprechender Index zum vierten Mal in Folge auf 62 Punkte gesunken. Das ist im Vergleich zu den letzten Jahren immer noch kein schlechter Wert, wenn man ihn an dem Tiefstand gegen Ende der Rezession im Februar 2009 misst, als er nur noch 25,3 Punkte betrug. Doch vom historischen Durchschnitt ist er weit entfernt.
Zumal diese Ziffern kein abstraktes Forschungsergebnis sind. Die Laune der Verbraucher kann in den USA mehr als in vielen anderen Staaten über das Wohl und Wehe der Konjunktur entscheiden – immerhin machen 70 Prozent ihrer Konsumausgaben das Bruttoinlandsprodukt aus. Amerikaner, die ihre Kreditkarte aus Sorgen um die Zukunft stecken lassen, kann die US-Wirtschaft gerade gar nicht gebrauchen.
Die trübe Stimmung bei den Verbrauchern kommt nach Einschätzung vieler Experten vor allem aus der Unsicherheit darüber, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickeln wird. Selbst die größten Fachleute scheinen da so unsicher zu sein wie selten zuvor. Die US-Notenbank Fed etwa kann sich nicht entscheiden, ob sie die Wirtschaft weiter ankurbeln soll oder ob sie vielleicht zu viel Geld ins System pumpt. "Wir sind – falls notwendig – bereit zu handeln und denken auch über erneute Anleihenkäufe nach", sagte der oberste Zentralbanker Ben Bernanke vergangene Woche.
Sogar meinungsfreudige Volkswirte in den USA trauen sich keine Prognosen zu. Es gebe zwei ganz große Unbekannte in der Konjunkturgleichung, sagen sie: die Eurokrise sowie den innenpolitischen Kampf um Staatsschulden und Steuern.
Die Lage in Europa ist für Washington daher längst zur Chefsache geworden. Unermüdlich fordert Präsident Barack Obama seine Kollegen auf der anderen Seite des Atlantiks zum Handeln auf. Sinke die Nachfrage für Produkte "Made in America" in Paris oder Madrid, dann litten darunter die Hersteller in Industriestädten wie Pittsburgh und Milwaukee, meint er. Doch Obama wird in den verbleibenden Monaten seiner ersten Amtszeit selbst noch eine Menge Arbeit haben, um die Zuversicht seiner Mitbürger zu verbessern. Verantwortliche und Investoren bibbern vor dem finanziellen Abgrund, auf den die USA ihrer Meinung nach gerade ungebremst zusteuern.
So bedrohen zum Jahresende auslaufende Steuererleichterungen die Geldbeutel der Amerikaner und automatische Kürzungen des Staatsbudgets von 1,2 Billionen Dollar im Zeitraum von zehn Jahren treten in Kraft. Zudem muss die US-Schuldengrenze von derzeit 16,4 Billionen Dollar voraussichtlich in diesem Jahr noch einmal erhöht werden – ein politischer Krieg darum dürfte das Sicherheitsgefühl der Verbraucher nicht verbessern.