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Dachdeckerinnung nach dem Gewoba-Vorfall "Auf Dauer macht man uns Firmen so kaputt"

Nach dem Zahlungsausfall bei einem Gewoba-Projekt spricht ein Vorstandsmitglied der Dachdeckerinnung über den Preisdruck und warum der Staat bei den derzeitigen Auftragsvergaben am Ende nicht gespart hat.
18.02.2022, 19:00 Uhr
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Von Florian Schwiegershausen

Nach dem Vorfall bei dem Gewoba-Projekt mit dem niederländischen Generalunternehmer, der die Rechnungen der Subunternehmer nicht gezahlt hat, sagen Sie, dass das durchaus System hat?

Olaf Sievert: So ist es. Das läuft in vielen Fällen so: Für ein Bauprojekt werden erstmal alle Handwerker nach Preisen abgefragt, dann kommt ein Kaufmann, macht sich daraus eine Tabelle und sieht, dass alle Gewerke zusammen 30 Millionen Euro kosten. Dann vergehen erstmal sechs Monate, in denen wir nichts hören. Hier im konkreten Fall sucht sich die Gewoba nach Abfrage der Preise einen Generalunternehmer – in diesem Fall einen auswärtigen. Und da lautet die Frage: Finde den Fehler.

Der ist wo?

Das bedeutet, dass der Generalunternehmer schon mal nicht hier die Steuern zahlt. Und beim Unternehmen, das die Aufträge ganz am Anfang vergibt, schaut der Kaufmann auf seine Tabelle und sagt anschließend: Ein Generalunternehmer baut uns das für 20 Millionen Euro.

Aber der Generalunternehmer will doch auch etwas verdienen?

Der verdient nur, indem der seine Subunternehmer nicht voll ausbezahlt. Der geht bei und presst die vom Preis her. Da holt er alle an einen Tisch und sagt: Du willst 100.000 Euro haben? Du bist zu teuer, kannst Du das auch für 90.000 Euro machen? Jetzt gibt es welche, die so einige Mitarbeiter zu beschäftigen haben, hinter denen jeweils eine Familie steht, und sie sind in Not, weil sie gerade nicht so viel im Auftragsbuch stehen haben. Schon gehen sie dieses Spiel ein. Von den 90.000 Euro bekommt der am Ende nur noch 80.000 Euro, weil es dann irgendwelchen Schlussrechnungsärger gibt. Das ist eine Variante, wie es auch bei vielen großen Wohnungsbaugesellschaften läuft.

Gilt das auch für Projekte der öffentlichen Hand oder von städtischen Wohnungsgesellschaften?

Da sind wir an einem Punkt: Wir sollten doch eigentlich regionale Firmen stärken. Denn unsere Bremer Klimaschutzsenatorin kann ja kein Interesse daran haben, dass Firmen aus Schleswig-Holstein erst mal hierher fahren müssen, um hier zu arbeiten, oder dass wir bis nach Schleswig-Holstein fahren. Wir machen momentan viel für die öffentliche Hand, aber ich stelle fest, dass wir oft ausgeblockt werden. Aber seit vielen Jahren stellen wir da ein Problem fest.

Welches?

Es fehlen Kindergärten und Schulen. Da fehlt es aber an den Fachkräften, um das zu planen. Früher gab es die Bremer Baubetriebe. Die hatte man aus Kostengründen abgeschafft, weil man sagte, dass man die nicht braucht. Also setzt man auf freie Architekten. Da geht es aber mit dem Irrsinn los. Für Projekte in Bremen kommen die Architekten aus Hamburg mit dem Auto zu uns nach Bremen. Wir haben hier genug Architekturbüros, um die Projekte zu betreuen.

Wozu führt das dann?

Das führt dazu, dass Schulen jetzt von gewerblichen Generalunternehmern gebaut werden. Die Leser können ja mal schauen, welche Namen da auf den Bauschildern auftauchen. Von denen gibt es einige riesengroße, die ihre Subunternehmen so was von schlecht behandeln.

Mit so einigen Generalunternehmen ist der Streit also vorprogrammiert?

Das führt seit Jahren dazu, dass gefühlt jeder zweite Fall vor Gericht landet. Damit blockieren wir wiederum die Gerichte.

Auch ein Nebeneffekt davon.

Gleichzeitig steht der politische Sektor vor einem riesigen Verwaltungsdesaster. Das wird für uns alle irgendwann zum Desaster. Eigentlich kann es doch nicht sein, dass die regionalen Firmen nicht die Aufträge bekommen. Das kann doch nicht Sinn der Sache sein. Ich nenne mal ein Beispiel: Wir haben für die Renovierung der Bremischen Bürgerschaft angeboten, oben das neue Lichtband zu montieren. Da waren wir geringfügig teurer. Da kam dann ein Subunternehmer, der die Lichtkuppeln selbst macht. Das hat jedoch nicht zum Erfolg geführt. Es tropft jetzt immer noch durch. Das führt zum Gerichtsstreit. Da wird dann für eine Winterbaustelle für 40.000 Euro ein Gerüst drüber gepackt, um es fertig zu bekommen, und dass es oben nicht rein tropft. Das weiß nur keiner.

Wie viel Frust ist dabei, wenn Sie das erzählen?

Man muss einfach mal auf die Situation aufmerksam machen, ob das denn hier politisch so gewollt ist, dass man so uns Firmen vor Ort auf Dauer kaputtmacht. Man kann doch nicht alle öffentlichen Gebäude städteweise allein durch Generalunternehmer bauen lassen. Das führt doch dazu, dass ein Generalunternehmer irgendwann eine ganze Stadt diktiert. Was für uns auch noch so eine Sache ist, ist die Müllpolitik.

Und zwar?

Den Müll, den wir von den Dächern demontieren, immer wieder von öffentlichen Gebäuden, nimmt die Müllverbrennungsanlage hier in Bremen, die ja noch nicht so alt ist, nicht zurück. Der Grund: Das Styropor im Müll brennt zu stark. In Bassum geht das komischerweise. Bedeutet aber, dass der Müll erstmal wieder dahin gekarrt werden muss. Andersherum frage ich mich dann: Wenn Niedersachsen das kann, warum habe ich hier dann noch den Firmensitz, wenn ich in Bremen nicht mal die Aufträge bekomme.

Wieder ein Unternehmen weniger für Bremen?

Würde ich nach Niedersachsen gehen, würde man mir dann auch noch ein neues Firmengelände subventionieren. Im Supermarkt fragen die Menschen immer mehr danach, ob die Produkte aus der Region kommen. Aber in unserem Bereich wird aufgrund der bestehenden Bedingungen alles andere als die Regionalität gestärkt. Und wir steuern auf eine weitere Katastrophe zu.

Welche meinen Sie?

Die öffentliche Verwaltung hat nicht ausreichend Personal. Das führt langfristig zu immer weniger Fachkompetenz dort. Die guten Köpfe, die da sind, werden in den kommenden Jahren in Ruhestand gehen. Und das führt auch dazu, dass man Projekte lieber ganz nach außen vergibt und alles von freien Architekten und freien Bauleitern planen und organisieren lässt.

Wie sieht es mit den gestiegenen Materialkosten aus?

Der Mineralwollehersteller hat die Preise um 24 Prozent erhöht. Strom und Benzin werden teurer, wenigstens da könnte man schauen, wie man da von den Steuern etwas runternehmen könnte. Das macht die Kalkulation momentan zusätzlich schwierig. Dann kommt von irgendwo jemand, der bereit ist, das für den günstigen Preis zu machen. Dann ist der Auftrag erst mal wieder weg und wir schauen ins Leere. Gleichzeitig muss ich für meine Gesellen eine bestimmte Höhe für eine Arbeitsstunde verlangen.

Die ist wie hoch?

Eigentlich muss ich da für eine Arbeitsstunde etwa 68 Euro kalkulieren. Aber dann heißt es hinterher, warum ich das nicht 20 Euro günstiger kalkuliere. Wir haben auch besondere Zertifizierungen, aber am Ende interessiert das auf der Baustelle niemanden. Bei manchen Baustellen sollte man mal schauen, wie viele da sind, die wirklich auch einen Gesellenbrief haben. Und wir? Wir bilden aus, haben momentan sieben Azubis – und die sind richtig gut.

Ausbildung ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.

Beim Thema Arbeitslosigkeit kann man auch eine Rechnung aufmachen. Wenn bei Ausschreibungen der öffentlichen Hand der regionale Betrieb immer etwas teurer ist, zum Beispiel 5000 Euro, bekommt der den Auftrag nicht. Der Betrieb geht irgendwann in Insolvenz, dann würde das in unserem Fall erst mal die Arbeitslosigkeit von 50 Beschäftigten bedeuten, hinter denen eine Familie steckt. Die Sozialkosten für sie alle kommen die Kommune am Ende viel teurer zu stehen als die 5000 Euro bei dem Auftrag. Uns als Dagego gibt es seit 1946. Wir haben in Bremen viele Sozialbauten mitgebaut für die Gewoba und ihre Vorgänger. Das zählt aber nicht. Es zählt nur der Preis.

Wenn das alles so ist, warum redet da keiner drüber?

Man will nicht jammern, weil man Sorge hat, dass das in der Öffentlichkeit nicht gut ankommt. Vielleicht ist das in Bremen erst recht eine Eigenart aus der Tradition heraus, dass man bloß nicht jammern will. Die Stadt Bremen hat ja die Möglichkeit, es freihändig zu vergeben. Denn allein eine Ausschreibung bedeutet für uns ja schon Kosten. Auf der anderen Seite stellen wir uns ja jeder Marktsituation, weil wir da ja am Ende auch mit Herzblut dabei sind.

Warum macht die Arbeit dennoch Spaß?

Ich werde das bis zu meiner Rente machen, weil Dach einfach ein tolles Gewerk ist und es doch immer wieder Aufträge gibt, die nicht alltäglich sind. Außerdem ist die Dachfläche eines Hauses oft größer als die Mauerfläche. Das Spektrum dabei ist so breit. Es ist wie die Creme oben auf einer Torte. Und ich kann die Arbeit nach Fertigstellung von außen immer sehen – das ist bei anderen Gewerken nicht der Fall.

Das Gespräch führte Florian Schwiegershausen.

Zur Sache

Olaf Sievert (49)

Vorstandsmitglied der Bremer Dachdeckerinnung und geschäftsführender Vorstand des Dachdeckerbetriebs Dagego. In dem genossenschaftlichen Traditionsunternehmen arbeitet er seit 32 Jahren.

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