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Tarifbindung Nach Tarif wird immer seltener gezahlt

Immer weniger Menschen werden nach Tarif bezahlt. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung hervor. Ein Trend, der Bremen ebenso betrifft - aus der Hansestadt gibt es aber auch positive Nachrichten.
29.08.2017, 06:03 Uhr
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Von Maren Beneke Stefan Sauer

Arbeiten ohne Tarifvertrag wird zum Normalfall. Während vor 20 Jahren noch mehr als zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland unter einen Branchentarifvertrag fielen, waren es im vergangenen Jahr in den westdeutschen Ländern nur noch 51 Prozent, in den ostdeutschen lediglich 36 Prozent.

Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor, die dem WESER-KURIER vorliegt. Der Langzeitvergleich macht deutlich, wie stark die Tarifbindung in den vergangenen zwei Jahrzehnten abgenommen hat. 1995 wurden nach Angaben des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) noch 72 Prozent der westdeutschen Arbeitnehmer nach einem Branchentarifvertrag beschäftigt und bezahlt.

2009 war der Anteil laut Bundesregierung auf 56 Prozent gesunken. Mit 51 Prozent markiert das Jahr 2016 nun einen neuen Tiefpunkt. Im Osten ging der Anteil der Beschäftigten mit einem Branchentarifvertrag noch stärker zurück, nämlich von zwei Dritteln Mitte der 1990er-Jahre auf gut ein Drittel (36 Prozent) im vergangenen Jahr.

Vor allem der Dienstleistungssektor ist betroffen

Diese Entwicklung lässt sich auch in Bremen erkennen. Zwar liegen die Zahlen für 2016 nach Angaben aus dem Arbeitsressort erst ab dem kommenden Monat vor. Im Jahr 2015 war in der Hansestadt aber nur noch jeder vierte Betrieb durch einen Branchentarifvertrag oder einen Haustarifvertrag gebunden. Zum Vergleich: Zu Beginn der 2000er-Jahre lag die Tarifbindung in Bremen noch bei 40 Prozent.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Bremen-Elbe-Weser bestätigte den Negativtrend. „Tarifverträge fallen nicht vom Himmel – sie müssen in den Betrieben und Verwaltungen erkämpft werden", sagte Annette Düring, Vorsitzende des DGB Bremen-Elbe-Weser. Auch die Politik müsse sich klar zu Tarifen bekennen.

“Für einige Bereiche wie zum Beispiel im Einzelhandel und in der Pflege wäre eine Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen sehr hilfreich.“ Tatsächlich ist es vor allem der Dienstleistungssektor, der von der fehlenden Tarifbindung betroffen ist: Im Handel (Westdeutschland) etwa sind lediglich ein Viertel der Betriebe und etwas mehr als zwei Drittel der Beschäftigten an einen Branchentarifvertrag gebunden.

Zahl der Beschäftigten ist gestiegen

Im Osten sind es 15 und 23 Prozent. Ähnlich sieht es im Gastgewerbe aus. Nur noch ein Viertel (West) und gut ein Zehntel (Ost) der Betriebe setzen Branchentarifverträge um, 39 Prozent der Beschäftigten im Westen und 23 Prozent im Osten profitieren davon. In diesen wie auch anderen Branchen ging die Tarifbindung seit 2009 durchweg zurück.

In Bremen gibt es laut dem aktuellsten IAB-Betriebspanel vor allem in den wirtschaftsbezogenen Dienstleistungen (16 Prozent), im Handel (15 Prozent) und in der Logistik (23 Prozent) vergleichsweise wenig Unternehmen mit Tarifbindung. Das Baugewerbe und die Öffentliche Verwaltung stellen dagegen mit jeweils mehr als 50 Prozent die meisten tarifgebundenen Betriebe.

Allerdings sticht die Hansestadt im Langzeitvergleich in einem anderen Bereich positiv hervor: Die Zahl der Beschäftigten in Betrieben mit Tarifbindung ist entgegen dem Bundestrend zuletzt wieder um zwei Prozentpunkte gestiegen. 2015 arbeiteten laut Panel 60 Prozent der Bremer Angestellten in tarifgebunden Unternehmen.

Ablenkung von eigenen legislativen Fehlleistungen

In dem Papier wird begründet, dass es im kleinsten deutschen Bundesland vergleichsweise viele große Unternehmen gibt, die tarifgebunden sind. Und mit steigender Betriebsgröße, so die Erklärung, nehme die Tarifbindung tendenziell zu. „Für mich gehört zu guter Arbeit eine Tarifbindung unbedingt dazu“, sagte Arbeitssenator Martin Günthner (SPD) nun.

Im Senat und in der Koalition bestehe Einigkeit darüber, „dass wir da, wo die Bedingungen erfüllt sind und wir dies können, unsere Möglichkeiten nutzen, um Tarifverträge branchenbezogen für allgemeinverbindlich zu erklären“. Die Bundesregierung sieht die Entwicklung in Deutschland indes nicht mit Sorge.

Eine „Erosion des Systems der Branchen- beziehungsweise Flächenverträge“ sei „nicht zu beobachten“, heißt es in der Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf die Linken-Anfrage. Die Stellungnahme dürfte auch dem Wunsch geschuldet sein, von eigenen legislativen Fehlleistungen abzulenken.

Gesetz leitete keine Trendwende ein

Schließlich war das „Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie“ 2014 ausdrücklich mit dem Ziel verabschiedet worden, den Geltungsbereich von Tarifvereinbarungen auszuweiten. Dazu wurde das Verfahren vereinfacht, mit dem Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden können.

Bewirkt hat das Gesetz nichts: In einer Wirkungsanalyse der Reform belegte der Arbeitsmarktforscher Thorsten Schulten in einem Beitrag für die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung vom März einen drastischen Rückgang der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen (AVE). Danach hatte es in den sechs Jahren nach 1999 noch 376 bundesweit erlassene AVE gegeben, in den vergangenen sechs Jahren aber nur noch 166 neue Erklärungen.

Dass das Gesetz keiner Trendwende einleitete, zeigte Schulten anhand jüngster Daten: So waren 2015 immerhin 491 Tarifverträge allgemeinverbindlich wirksam, derzeit sind es 443. Das entspricht nicht einmal einem Prozent der insgesamt 73.000 in Deutschland registrierten Tarifverträge.

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