Kein Mensch wird vermutlich der Pandemie nachtrauern. Doch eines lässt sich zugunsten der Kontaktbeschränkungen, der Muße und mitunter Langeweile wohl behaupten: Es gab reichlich Zeit, sich einmal mit etwas ganz anderem zu beschäftigen. Bei Armin Mujic war das auch der Fall. Der Bremer Maschinenbauingenieur nutzte seine Freizeit, um im Internet auf Weltreise zu gehen.
Seine Suche: Leder, das nicht aus Tierhäuten gemacht wird. Das Ergebnis dieser Recherchen ist die erste Kollektion seines Labels Naory, die aus Teakblättern und Tomatenschalen besteht. „Naory” klingt exotisch, das gefällt Mujic. Das Wort ist ein Akronym, gebildet aus den Worten „Natural" und "Accessory”, also "natürlich" und "Accessoire". So steht es in handgeprägten goldenen Lettern auf den Geldbörsen, Handtaschen, Etuis, Kladden und Reisepasshüllen des jungen Labels. Kein Produkt ist wie das andere, jedes Stück ein handgefertigtes Unikat in unterschiedlichen Farben. Und eines hat der 34-Jährige schon festgestellt: „Grün geht am besten. Die Grünen waren sofort vergriffen.” Grundmaterialien der Produkte sind Abfallprodukte im wahrsten Sinne des Wortes – und das wiederum ist ganz im Sinne des Labelgründers.
Adern der Teakblätter sorgen für unverwechselbares Design
Es sind einerseits Teakblätter, die Mujic' Produkten ihre ungewöhnliche Anmutung geben, die Adern wie unverwechselbare Fingerabdrücke. „Eine faszinierende Optik”, sagt er. Mit ihnen fing vor gut zwei Jahren alles an. „Ich fand einen winzigen Familienbetrieb in Thailand, in dem seit Generationen das Laub der Teakbäume verarbeitet wird”, sagt er. Traditionell würden die großen, dicken, robusten Blätter zum Eindecken von Hausdächern benutzt. „Der Herstellungsprozess ist ziemlich interessant. Die Blätter werden eingeweicht, gefärbt, getrocknet, auf ein Trägermaterial aus Baumwolle geklebt und anschließend mit einer Laminierfolie beschichtet”, sagt Mujic. „Was mir dabei besonders gefiel: Der Betrieb arbeitet nachhaltig, ökologisch und fair.”
Man kam ins Gespräch und ins Geschäft, das Familienunternehmen konnte sich vorstellen, Accessoires nach patentgeschützten Schnittmustern zu produzieren, die der 34-Jährige wiederum von einer neuseeländischen Designfirma bezog. „Als ich im März dieses Jahres die ersten Pakete öffnete – das war ein unbeschreibliches Gefühl”, sagt der Existenzgründer, der alle bisherigen Kosten nach eigenen Angaben aus eigener Tasche bezahlt – finanziert aus einem Vollzeitjob für ein Oyter Industrieunternehmen.
Teakblätter sind das Eine. Denn wer heute das Wort „Tomatenleder" in seine Suchmaschine eingibt, wird zu diversen Kochrezepten geleitet – und auf die Naory-Website. „Das ist etwas ganz Neues“, sagt Mujic. Er entdeckte das kleine indische Start-up, das eine Methode entwickelt hat, Tomatenschalen zu einem festen, strapazierfähigen, wasserabweisenden Material zu verarbeiten. Die Tomaten erkennt man nicht mehr bei der schwarzen Damenhandtasche mit ihrer Struktur, die an Leinen oder Wildseide erinnert. „Viele Leute glauben, dass die Schalen zum Beispiel als Tierfutter verwendet werden", sagt Mujic. „Doch für die Industrie ist es billiger, sie einfach wegzuwerfen oder zu verbrennen."
Es ist noch nicht lange her, da galten Alternativen für Leder nur als die billige Kopie des edlen Originals. Doch die Zahl der Menschen, die den Konsum tierischer Produkte bewusst einschränken oder darauf komplett verzichten, steigt. Das Kunstleder, über das früher die Nase gerümpft wurde, lässt sich als veganes Leder mittlerweile gut unter die Leute bringen. Für Mujic keine Option – wer wisse schon, was darin an Chemie stecke.
Der Wunsch nach einem achtsameren Umgang mit den Ressourcen, nach einer natürlichen Lebensweise mag Zeitgeist sein. „Bei mir war das schon immer so”, sagt der Gründer. Aufgewachsen ist er in Bosnien, in einer ländlichen Umgebung, in der man eine enge Bindung zur Natur habe und wisse, wie viel Zeit und Mühe der Anbau von Obst und Gemüse koste. „Wenn man dann sieht, wie viele Lebensmittel in der Tonne landen", sagt er, „blutet einem das Herz."
Doch mittlerweile gebe es auf der ganzen Welt kleine Unternehmen, die Methoden entwickelten, Industrieabfälle sinnvoll und nachhaltig zu nutzen. Lederalternativen aus Apfelresten, Ananasblättern, Pilzen oder Mangoschalen gibt es bereits. „Wir sind noch in der Frühzeit”, sagt Mujic, „in vier, fünf Jahren werden diese pflanzlichen Stoffe ganz selbstverständlich in der Mode und Raumausstattung eingesetzt werden.”
Kurze Transportwege als Ziel
Möglicherweise gehört dann auch ein innovatives Material aus dem Hause Naory dazu. Er experimentiere seit einiger Zeit mit Fruchtschalen, deren genaue Natur noch nicht preisgegeben werden solle, sagt Mujic. Sobald das Material marktreif sei, wolle er die Produktion nach Europa verlagern. „Das ist mein Ziel, um die Transportwege zu verkürzen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Kontrolle über die Produktion zu haben." Vertrauen in Dokumente und Öko-Zertifikate anderer sei gut, „aber es ist etwas anderes, wenn man wirklich zu hundert Prozent weiß, was in den Produkten steckt und wie gearbeitet wird". Fachliche Unterstützung gibt es in der Familie: „Meine Mutter ist gelernte Schneiderin und könnte auch Modelle nach individuellen Entwürfen anfertigen."
Bislang werden die Naory-Accessoires ausschließlich über den eigenen Online-Shop und die sozialen Netzwerke vermarktet und verkauft. Er wisse aber, dass viele Kundinnen und Kunden den Wunsch hätten, die Produkte vor dem Kauf mit eigenen Augen zu sehen und anzufassen, sagt Mujic. „Mein Wunsch wäre daher, mit schönen Geschäften zusammenzuarbeiten, die finden: ,So etwas passt genau zu uns!'”