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Made in Bremen Der Wachmacher aus der Kaffeekirsche

Von der Kaffeepflanze ist die Bohne ein weltweit gefragtes Produkt, das Fruchtfleisch landet im Abfall. Drei Jungunternehmer aus Bremen wollen das ändern und haben mit Paru Tè einen neuen Wachmacher entwickelt.
24.07.2022, 05:00 Uhr
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Der Wachmacher aus der Kaffeekirsche
Von Björn Struß

Die Kaffeebohne prägt als liebster Wachmacher der Deutschen bis heute die Geschichte von Bremen. Aber auch Hunderte Jahre, nachdem 1673 hier das erste Kaffeehaus Deutschlands öffnete, kann das "braune Gold" noch immer überraschen. Die drei Jungunternehmer Erik Ruge, Paulina Teuscher und Paul Kukolka haben mit der Kaffeepflanze ein neues Getränk entwickelt: Paru Té. Es basiert auf dem Fruchtfleisch, das die Kaffeebohne umgibt, der Kaffeekirsche. Das Erfrischungsgetränk soll eine Alternative zu Cola, Mate und Energydrinks sein. Die beiden wichtigsten Verkaufsargumente: wenig Zucker und viel Nachhaltigkeit.

Die Geschichte von Paru Té beginnt in Peru. Dort verbrachte Erik Ruge bis 2020 zwei Jahre seines Lebens, lernte alles über die Kaffeepflanze und wollte eigentlich gar nicht wieder gehen. "Nur wegen Corona bin ich zurück nach Bremen gekommen", sagt er. Zwei Erfahrungen ließen den heute 23-Jährigen nicht mehr los: Die Abhängigkeit vieler Bauern vom Weltmarkt für Kaffeebohnen. Und das teeähnliche Getränk, das bei indigenen Peruanern beliebt ist. "Sie gießen Kaffeekirschen mit heißem Wasser auf. So entsteht ein koffeinhaltiges Heißgetränk, dass sehr günstig herzustellen ist", erläutert Ruge.

"Kaffee für arme Leute"

Denn Kaffeekirschen sind auf den Plantagen ein Abfallprodukt. "Sie landen auf dem Kompost oder einfach im nächsten Fluss", berichtet Ruge. In Südamerika bezeichnete man den daraus gemachten heißen Aufguss, die Cascara, früher deshalb auch als "Kaffee für arme Leute". Eine kommerzielle Nutzung, in der Kaffeekirschen im großen Stil zu Getränken verarbeitet werden, gibt es laut Ruge in Südamerika nicht.

"Wir nehmen der indigenen Bevölkerung nichts weg", versichert Paulina Teuscher. Die 24-Jährige ist bei Paru Té nicht nur die Marketingexpertin. Sie treibt auch das Nachhaltigkeitskonzept voran, das darauf beruht, Abfall in eine nutzbare Ressource zu verwandeln. "Und die Bauern erhalten eine zusätzliche Einnahmequelle", unterstreicht Teuscher. Preisstürze beim Kaffee träfen sie dann weniger hart.

Nach der Produktion von Paru Té soll die Wertschöpfungskette der Kaffeekirsche weitergehen. "Die getrockneten Reste lassen sich an Insektenlarven verfüttern", so Teuscher. Es entstehe Tierfutter, das Landwirte als Ersatz für klimaschädliches Soja aus Südamerika nutzten. "Erste Versuche haben gezeigt, dass das Koffein das Larvenwachstum steigern kann", erläutert Teuscher.

Um ein marktreifes Produkt zu entwickeln, brauchte das kleine Unternehmen noch einen dritten Gründer: Paul Kukolka. Er ließ sich von Hachez zum Süßwaren- und Lebensmitteltechniker ausbilden. Mit diesem Vorwissen hatte der 24-Jährige in der einjährigen Testphase oft das letzte Wort, wenn es um den Geschmack und die Rezeptur ging. "Neben der Kaffeekirsche und Wasser nutzen wir Agavensaft für die Süße und Zitronen für eine gewisse Säure", verrät Kukolka. Dann noch etwas Kohlensäure – mehr braucht es nicht.

Erdig und fruchtig

Den Geschmack beschreibt Kukolka so: "Wie schwarzer Tee, aber erdig und fruchtig zugleich. Im Abgang sind leichte Karamellnoten zu schmecken." Eine besondere Aufgabe sei es auch gewesen, den richtigen Koffeingehalt zu finden. "Bei ersten Tests waren es über 50 Milligramm auf 100 Milliliter. Das ist in Deutschland gar nicht erlaubt", sagt der Lebensmitteltechniker. Beim fertigen Produkt sind es nun 32 Milligramm. Das ist mit einem Energydrink vergleichbar – mehr als in Cola oder Mate, aber weniger als bei Kaffee oder gar Espresso.

Rückenwind gab es von der sogenannten Hanse Kitchen, einem Bremer Förderprojekt für regionale Start-Ups aus dem Lebensmittelbereich. So ermöglichte es das städtische Unternehmen M3B Paru Té etwa, die Gewerbeküche von Beck’stage in der ÖVB-Arena zu nutzen. Im Produktionsablauf eines Tages ist es dort möglich, 200 Liter des Wachmachers zu produzieren. Das reicht, um auf Messen oder Sommermärkten mit Kostproben präsent zu sein. Es reicht aber nicht, um Lieferverträge zu unterschreiben. Per Crowdfunding wollen die Gründer deshalb 17.000 Euro sammeln. Auf startnext.com/paru belief sich der gesammelte Betrag am Sonnabend, acht Tage vor Ablauf der Frist, auf gut 7000 Euro.

Zur Sache

Zulassung als neuartiges Lebensmittel

Die Unternehmensgründer präsentieren ParuTé als Innovation, die Idee dahinter ist aber tatsächlich nicht ganz neu. 2015 versuchte es in Hamburg das Start-Up Carté mit einem vergleichbaren Konzept, 2016 kam "Cascara Sparkling" der Kölner Privatbrauerei Gaffel auf den Markt. Selo produzierte wenig später die ersten 50.000 Flaschen in Berlin.

Doch dann kam es zu einer folgenschweren bürokratischen Entscheidung. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit stufte die Kaffeekirsche als neuartiges Lebensmittel ein, was die Zulassung an ein aufwendiges Prüfungsverfahren koppelte. Vorerst war die Verarbeitung verboten, Carté, Cascara Sparkling und Selo mussten die Produktion stoppen. Die europaweite Freigabe der Kaffeekirsche kam zum Beginn dieses Jahres. Deshalb wäre es nicht überraschend, wenn auch große Getränkehersteller daran arbeiten, neue Wachmacher auf den Markt zu bringen.
 

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