Geht es um die Zukunftsfähigkeit einer Volkswirtschaft, spielen Neugründungen eine wesentliche Rolle. Und für Existenzgründungen sorgen maßgeblich Migranten. Deren Anteil an allen Existenzgründungen lag zwischen von 2011 bis 2017 etwa bei 21 Prozent; im vergangenen Jahr ist dieser Wert um mehr als fünf Prozentpunkte gestiegen, wie eine Sonderauswertung des Gründungsmonitors der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) zeigt. „Mit Migranten importieren wir einen Gründergeist, der häufig deutlich ausgeprägter ist als in Deutschland“, sagt Michael Stuckenberg vom Starthaus Bremen, einer Initiative der Bremer Förderbank BAB.
Im vergangenen Jahr gab es laut dem KfW-Gründungsmonitor 605.000 Existenzgründungen. Damit wurde jede vierte Existenzgründung durch Migranten realisiert. Dazu zählen alle Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht oder nicht von Geburt an besitzen.
Zwar gebe es Unterschiede zwischen den Herkunftsländern, aber grundsätzlich bestehe bei Migrantinnen und Migranten grundsätzlich eine relativ große Dynamik, sich selbstständig machen zu wollen, sagt Michael Stuckenberg. Der Gründergeist sei häufig ausgeprägter als von Nicht-Migranten. Die Ausübung einer Berufstätigkeit in der Selbstständigkeit bedeute in einigen Kulturkreisen hohes Ansehen und sei von daher schon selbstverständlich. „Viele sehen darin auch eine Chance, in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden beziehungsweise anzukommen.“
Dabei spiele es keine Rolle, ob die Selbstständigkeit als Kurierdienst-Fahrer oder im akademischen Bereich ausgeübt werde, sagt Stuckenberg. Der Kurierdienst-Fahrer werde sicherlich weniger verdienen, aber die Tätigkeit sei genauso wichtig für die Gesellschaft wie andere Berufe. „Das ist vielen Selbstständigen besonders wichtig. Sie verstehen sich als Teil der Gesellschaft und möchten entsprechend respektiert werden.“
Risikobereite Menschen gründen öfter
Die stärke Gründungsneigung sei auch auf die höhere Risikobereitschaft zurückzuführen, heißt es in der Studie. So liege der Anteil von Migranten, die sich auf einer Skala von null bis zehn als hoch risikobereit einstufen (acht oder höher) bei 19 Prozent, während 13 Prozent der Erwerbsbevölkerung insgesamt sich selbst als so risikobereit einschätzt. Hoch risikobereite Menschen würden etwa doppelt so häufig wie Personen mit geringerer Risiko-Selbsteinschätzung gründen.
Manchmal gibt es auch Gründe für eine Selbstständigkeit, die auf viele Menschen zutreffen könnten – so wie bei Esperanza Torrijos Pérez: „Ich wollte einfach aus persönlichen Gründen neue Wege gehen und habe mich deshalb für die Selbstständigkeit entschieden“, sagt die Spanierin, die 17 Jahre in einer Bremer Kanzlei als Rechtsanwältin gearbeitet hat. „Das war zwar ein Risiko, aber das wollte ich eingehen.“
Das ist jetzt etwa ein Jahr her. Esperanza Torrijos Pérez arbeitet seitdem als selbstständige Mediatorin, Coach und bietet Übersetzungen an. Zwar habe die Pandemie dazu geführt, dass einige Aufträge nicht zustande gekommen seien, aber den Schritt in die Selbstständigkeit habe sie nicht bereut. Zugute komme ihr sicherlich auch, dass sie sich nicht nur in Deutschland zur Mediatorin ausbilden ließ, sondern neben Jura vorher schon Journalistik in Madrid studiert habe. „Es ist zum Vorteil, wenn man breit aufgestellt ist – gerade am Anfang einer Selbstständigkeit.“
Bei aller positiven Gründerdynamik sei nicht von der Hand zu weisen, dass einige Migranten ihre Chance deshalb in der Selbstständigkeit suchen, weil sie es aufgrund von Sprachbarrieren schwerer auf dem ersten Arbeitsmarkt haben, sagt Stuckenberg. „Es gibt im Land Bremen sicherlich entsprechende Sprachangebote, aber die werden nicht immer wahrgenommen.“
Als ein weiteres Problem könne sich erweisen, dass sich Migranten selbstständig machten, ohne beispielsweise Institutionen wie das Starthaus vorher zu Rate zu ziehen. Beim Starthaus handelt es sich um eine Anlaufstelle für Gründungsinteressierte und junge Unternehmen in Bremen. „Sie informieren sich lieber innerhalb ihrer Community.“ Das sei grundsätzlich nicht verkehrt, aber da „werden auch falsche Informationen gegeben, was dazu führen kann, dass die Selbstständigkeit schnell beendet ist“, sagt Stuckenberg. Deshalb sei das Starthaus dabei, zusammen mit seinen Netzwerkpartnern einen Leitfaden zu entwickeln, der dazu beitrage, Fehler von Anfang zu vermeiden. „Ziel ist, ein bisschen mehr Systematik in den Weg in die Selbstständigkeit zu bringen, ohne dabei die Dynamik zu bremsen.“