Ökonomen rund um den Wirtschaftsforscher und Euro-Skeptiker Hans-Werner Sinn haben die Deutschen zum Protest gegen den Euro-Rettungskurs der Bundesregierung aufgerufen. Sie protestieren gegen den Kurs der Bundesregierung, den sie für falsch halten. Doch es gibt bereits Widerstand aus den eigenen Reihen.
Bremen. "Liebe Mitbürger", beginnt der Aufruf der Ökonomen, der dieser Zeitung vorliegt, "die Entscheidungen, zu denen die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen wurde, waren falsch". Die Ökonomen werfen Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, dass sie sich auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder zu falschen Entscheidungen hat zwingen lassen. "Wir, Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftswissenschaftlerinnen der deutschsprachigen Länder, sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge", heißt es.
Die Bankschulden seien fast drei Mal so groß wie die Staatsschulden und lägen in den Krisenländern im Bereich von neun Billionen Euro. Steuerzahler dafür in Haftung zu nehmen, sei "schlechterdings unmöglich", heißt es weiter. "Noch unsere Kinder und Enkel" würden unter den falschen Entscheidungen der Politik zu kollektiver Haftung der Bankenschulden leiden." Streit und Zwietracht mit den Nachbarn seien programmiert. "Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet." Ihrer Einschätzung nach wird nicht der Euro gerettet, sondern die Gläubiger der maroden Banken.
Keine Bremer unter Unterstützern
Verfasst haben den Aufruf Sinn und sein Kollege, der Statistiker Walter Krämer von der TU Dortmund. Zu den Unterzeichnern gehören neben Sinn und Krämer der Vorsitzende des Wissenschaftlerbeirats von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), Kai Konrad, außerdem der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, der frühere DIW-Präsident Klaus Zimmermann und der ehemalige sächsische Ministerpräsident und Finanzprofessor Georg Milbradt. Insgesamt strebt die Gruppe 150 Unterstützer an, das zumindest schreibt Krämer in einer dieser Zeitung vorliegenden E-Mail an die Kollegen.
Unter den Unterstützern sind keine Bremer. Überhaupt ist es interessant, wer den Brief trotz Anfrage nicht unterschrieben hat: der ehemalige Wirtschaftsweise Bert Rürup, der Bonner Wirtschaftsforscher Manfred Schneider, der Chef des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung Gustav Horn, der Linzer Ökonom Friedrich Schneider. "Ich habe den Aufruf nicht unterschrieben, weil er zu unpräzise und allgemein formuliert ist", sagte Schneider. "Mir fehlt bei all dem die Alternative."
Auch der Bremer Wirtschaftsforscher Rudolf Hickel gehört nicht zu den Unterzeichnern. Im Gegenteil: Er verurteilt die Aktion. "Es ist erschütternd, mit welcher intellektuellen und sprachlichen Armut hier vorgegangen wurde." "Es werden keine Argumente transportiert, sondern lediglich Stammtischparolen bedient und verstärkt. Diese Aktion dient nicht der Aufklärung der Probleme bei der Euro-Rettung. Ich bin deshalb sicher, dass die Bewegung bald in sich zusammenbrechen wird."
Polemische Argumentation
Einen Gegenaufruf zu starten, würde nichts bringen. Darin sei Hickel sich mit seinen Kollegen einig gewesen. "Das wertet die Aktion Sinns und seiner Mitläufer nur auf", sagte der frühere Leiter des Instituts für Finanzwissenschaften an der Universität Bremen. Am schlimmsten sei die polemische und unwissenschaftliche Argumentation des Aufrufs. "Da wird der Bundeskanzlerin unterstellt, sie sei zu etwas gezwungen worden auf dem EU-Gipfel", sagte er. "Einen Beleg liefern die Autoren nicht. Zudem liefern sie keine belastbaren Argumente gegen die Bankenunion. An der Universität Bremen würde so ein Papier in keinem einzigen Seminar standhalten können." Es würden gravierende Behauptungen aufgestellt, für die keine Nachweise geliefert würden.
Auch Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) distanziert sich von dem Aufruf. "Ich halte davon nicht allzu viel", sagte er. "Wissenschaft kann man nicht danach beurteilen, wie viele Professoren einen Aufruf unterschrieben haben." In der Sache habe er durchaus Verständnis für das Papier. "Der Schritt hin zu einer Bankenunion hat die Risiken für die Euro-Mitgliedsländer noch einmal vergrößert. Und dass der Rettungsfonds ESM nun Banken direkt helfen soll, sehe ich skeptisch."
Anders als Hickel will Straubhaar jedoch eine Gegenposition zu dem Aufruf formulieren. Denn die Sprache des Papiers sei so gewählt, dass klar würde, es gehe nicht mehr um die Zukunft Europas, sondern nur noch um Deutschland. "Mit einem Aufruf, der bewusst emotional formuliert ist, werden solche Absichten natürlich verstärkt", sagte Straubhaar. Die Initiatoren des Aufrufs halten dagegen. Mit den jüngsten Beschlüssen werde nicht der Euro gerettet. Sie würden nur den Gläubigern der Krisenbanken helfen. Das sei der falsche Weg: "Banken müssen scheitern dürfen." Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen könnten, müssten die Gläubiger die Lasten tragen.