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Windindustrie in Bremerhaven Offshore-Standort der ersten Stunde

Die Zukunft von Bremerhaven als Zentrum für die Windindustrie hängt vor allem von der Marktentwicklung zweier Unternehmen ab: Senvion und Adwen.
08.02.2017, 16:45 Uhr
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Offshore-Standort der ersten Stunde
Von Peter Hanuschke

Die Zukunft von Bremerhaven als Zentrum für die Windindustrie hängt vor allem von der Marktentwicklung zweier Unternehmen ab: Senvion und Adwen.

Schon lange bevor sich die ersten Offshore-Windräder vor der deutschen Nordseeküste im Testfeld Alpha Ventus im August 2009 drehten, gab es Überlegungen, Bremerhaven zu einem Zentrum der Offshore-Windindustrie zu entwickeln: Bereits seit der Jahrtausendwende entwickelte sich immer mehr die Idee, die Seestadt vom politischen und gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr erneuerbaren Energien profitieren zu lassen: „Zukunftsmarkt Offshore-Wind-Energie“ lautete der Titel eines Kongresses, den die Wirtschaftsförderer des Landes Bremen in Bremerhaven veranstalteten. Das Ziel damals: Mit einem Bündel von Förderangeboten will sich das Land Bremen zum herausragenden Partner der Windenergie-Wirtschaft machen.

Es war damals schon klar: Die Entwicklung, der Bau und der Betrieb von Off-
shore-Anlagen sind mit enormen technischen und logistischen Anforderungen verknüpft. Ein Standort, der es schafft, diese Kompetenzen zu bündeln, wirkt wie ein Magnet auf andere Planer, Hersteller, Zulieferer sowie Logistikunternehmen. Er profitiert von einer Wertschöpfungskette, die gerade einer durch die Werftenkrise gebeutelten strukturschwachen Stadt wie Bremerhaven und einer ganzen Region eine Zukunftsperspektive bietet.

Bremerhaven war nicht die einzige kriselnde Hafenstadt, die auf eine Offshore-
Industrie setzte, die es noch gar nicht gab: Auch in Emden, Nordenham oder Cuxhaven gab es diese Goldgräberstimmung. Doch die Anfangseuphorie bekam allgemein so ihre Dämpfer, etliche Vorhaben verzögerten sich um Jahre. Erst mit dem Testfeld Alpha Ventus gab es für die Branche wahrscheinlich nicht nur einen sichtbaren Erfolg, sondern auch einen psychologischen Motivationsschub, weiterzumachen. Die Seestadt entwickelte sich unter anderem mit Ansiedlungen von Anlagen-Herstellern wie Repower (jetzt Senvion), Multibrid (erst Areva, jetzt Adwen) und Powerblades (Tochterunternehmen von Senvion) zum Schwergewicht als Offshore-Standort in Deutschland.

Aber nicht mit jedem Unternehmen war auch ein dauerhafter Erfolg verknüpft: So musste etwa Weserwind, der Bremerhavener Stahlbaubetrieb, der auch Fundamente für Offshore-Windkraftanlagen fertigte, im Januar 2015 Insolvenz anmelden. Auch andere Standorte blieben nicht verschont: Der Offshore-Zulieferer Nordseewerke in Emden rutschte im Mai 2015 in die Pleite. Die Cuxhaven Steel Construction GmbH (CSC), die noch 2009 in Cuxhaven mit 360 Mitarbeitern die Serienproduktion der von der Bard-Gruppe eigenentwickelten Gründungsstruktur aus Stahl für Offshore-Windkraftanlagen fertigte, stellte im April 2013 seinen Geschäftsbetrieb ein.

1600 Arbeitsplätze im Offshore-Windgeschäft

Ohne Zulieferer, Dienstleister und kleinere Betriebe gibt es laut der Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung (BIS) bei den großen Herstellern wie Adwen, Senvion, Power-
blades, Fraunhofer IWES und der Rönner-Gruppe aktuell 1600 Arbeitsplätze, die in der Seestadt direkt der Offshore-Windindustrie zuzuordnen sind.

Selbst inklusive der Beschäftigten, die indirekt vom Offshore-Windgeschäft profitieren, besteht noch eine große Lücke zwischen dem aktuellen Stand und dem, was Bremens Wirtschaftssenator für Bremerhaven durch die junge Industrie in Aussicht stellt: Martin Günthner (SPD) geht davon aus, dass mittelfristig 8000 Arbeitsplätze entstehen, die auf Offshore-Aktivitäten zurückzuführen sind. Grundlage seiner Argumentation ist die Schaffung entsprechender Infrastruktur. Und da steht der Bau des Offshore-Terminals Bremerhaven (OTB) an erster Stelle. Auch die Tatsache, dass sich Offshore-Weltmarktführer Siemens mit seinem neuen Werk, das bald die ersten Turbinen produzieren soll, für Cuxhaven entschieden hat, ändert nichts an dieser Sichtweise.

Am OTB hält der Bremer Senat geschlossen fest − unabhängig von Siemens mache das Großprojekt Sinn. Allein schon die beiden in Bremerhaven ansässigen Turbinen-Hersteller Senvion und Adwen rechtfertigten schon den Bau des OTB. Allerdings müssten beide Unternehmen laut Planco-Gutachten ihre Marktanteile in der deutschen Nordsee von 26 auf 40 Prozent erhöhen und im übrigen Europa von sechs auf 20 Prozent ausbauen.

Deutlicher Marktführer ist in Europa mit mehr als 80 Prozent Marktanteil Siemens, gefolgt vom dänischen Unternehmen Vestas. Die Unternehmen in Bremerhaven sind Nummer vier und fünf. Senvion und Adwen haben einen Marktanteil von europaweit sechs Prozent. Bei den Marktanteilen für die deutschen Windparks schneiden beide Hersteller besser ab. Sie halten zusammen 26 Prozent. Mit 67 Prozent dominiert aber auch Siemens den inländischen Markt.

Und gerade was die Zukunft von Adwen mit seinen 700 Beschäftigten angeht, steht ein großes Fragezeichen, das direkt mit Siemens zu tun hat. Grund: Der französische Energiekonzern Areva ist vor einigen Monaten komplett aus dem Windkraft-Geschäft ausgestiegen. Er hat seinen 50-prozentigen
Adwen-Anteil an den spanischen Windkraft-Partner Gamesa verkauft – und damit indirekt an den Elektrokonzern Siemens. Siemens hatte sich daraufhin mit Gamesa zusammengeschlossen, an dem kombinierten Unternehmen halten die Münchner 59 Prozent der Anteile.

Ungewiss ist weiterhin bei Adwen, ob die in der Entwicklung befindliche neue Acht-Megawatt(MW)-Turbine auch künftig in Bremerhaven produziert wird. Auf dem ehemaligen Flughafengelände Luneort soll spätestens ab April der neue Prototyp getestet werden. Abnehmer für die neue 8-MW-Anlage gibt es bereits: Drei Windparks vor der französischen Küste sollen damit ausgestattet werden. Als Standort für die spätere Serienproduktion ist das französische Le Havre geplant – dort soll eine Adwen-Produktionsstätte entstehen.

Konkurrenz für Adwen

Einen langfristigen Erfolg der neuen Adwen-Turbine, die zu den modernsten und größten weltweit gehören wird, könnte letztlich die Konkurrenz quasi aus demselben Haus gefährden. Denn Siemens ist mit seinen Anlagen nicht von ungefähr Marktführer mit einer entsprechenden Projektpipeline. Der Konzern baut in Cuxhaven gerade eine neue, optimierte Fertigung auf. Außerdem hat auch Siemens weitere, größere Anlagen in der konkreten Entwicklung.

Noch etwas spielt den OTB-Befürwortern nicht in die Karten und ist auch entsprechend unberücksichtigt in den Gutachten für dieses Hafeninfrastrukturprojekt: Der Offshore-Markt geht aufgrund des in diesem Jahr wieder novellierten Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) weiter zurück. In der nächsten Runde sollen erst einmal nur Parks in der Ostsee gebaut werden.

Worauf die Offshore-Branche insgesamt und speziell in Bremerhaven auf das Projekt OTB bezogen setzt, ist, dass die Deckelung beim Ausbau von Offshore-Windenergie wieder zurückgenommen, also nach der Bundestagswahl im kommenden Jahr das EEG dahingehend novelliert wird. Ihre Begründung: Ohne ein größeres Ausbauvolumen ist die gewollte Energiewende in Deutschland nicht zu schaffen – Strom aus Offshore-Winden spielt dabei eine entscheidende Rolle, weil der Wind auf hoher See konstant die Mühlen dreht und somit gleichbleibend Energie erzeugt wird. Und: Mit einem OTB könnte Offshore günstiger werden – durch geringere Transportkosten.

Was gegen eine Aufhebung der Deckelung in den nächsten Jahren spricht, sind gar nicht mal politische Überzeugungen, sondern vielmehr die fehlenden technischen Voraussetzungen: Denn der Offshore-produzierte Strom muss auch dorthin transportiert werden, wo er benötigt wird, sprich von Nord nach Süd. Und damit gibt es bereits jetzt schon Probleme: Immer wieder müssen die Netze wegen Überlastung durch Strom aus nicht regulierbaren erneuerbaren Energiequellen stabilisiert werden. Abhilfe soll der sogenannte Nord-Süd-Link bringen. Doch diese Stromtrassenverbindung soll erst im Jahr 2024 fertiggestellt sein.

Vielleicht sprechen aber auch gerade diese Rahmenbedingungen für den OTB und bringen die Seestadt perspektivisch doch noch in eine gute Position: Bis solch ein Terminal fertig ist, vergehen ein paar Jahre. Und bis dahin könnte auch der Deckel des EEG wieder abgenommen worden sein. Ein Argument der OTB-Befürworter: So ein Hafen wird nicht für einen kurzen Zeitraum gebaut, sondern für 50 Jahre und mehr. Wie sich das EEG in dieser Zeit verändert, ist nicht kalkulierbar. Außerdem könnte der Terminal alternativ als zusätzlicher Schwerlasthafen genutzt werden – ein Argument, das von offizieller Seite allerdings nur hinter vorgehaltener Hand zu hören ist.

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