Wenn die EU-Kommission eine kontroverse Entscheidung an einem Freitagabend verkündet, ist der Zeitpunkt in der Regel keineswegs zufällig gewählt. Vielmehr hofft die Brüsseler Behörde dann offenbar, nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen, da sich der Apparat bereits ins Wochenende verabschiedet hat. So interpretierten es Beobachter, dass die Kommission am Freitag kurz nach 17.30 Uhr bekanntgab, gegen Alphabet eine Kartellstrafe in Höhe von 2,95 Milliarden Euro zu verhängen.
Keine Pressekonferenz, kein großer Aufschlag – weder von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch von Teresa Ribera, der zuständigen Exekutivvizepräsidentin für einen sauberen, fairen und wettbewerbsfähigen Wandel, wie ihr Titel lautet. Stattdessen gab es lediglich ein schriftliches Statement. Die Stille war auffällig. Nichts erinnert mehr an jene Tage, als Riberas Vorgängerin, die Dänin Margrethe Vestager, die politische Bühne beherrschte und die konsequente Durchsetzung des Kartellrechts zu einem Schaufenster für die Macht und Prinzipien Europas machte.
Kritik an Nahostpolitik
Während Vestager damals öffentlichkeitswirksam den Machtmissbrauch internationaler Großkonzerne bekämpfte, wurden die Medien in diesem Fall gegen die Muttergesellschaft der Suchmaschine Google mit einer kurzen Presseerklärung per E-Mail abgespeist. Nahm von der Leyen die Spanierin Ribera aus dem Scheinwerferlicht, weil diese kurz zuvor bei einer Veranstaltung sagte, „der Genozid in Gaza“ entlarve „Europas Versagen“? Statt als Hüterin des freien Wettbewerbs aufzufallen, sorgte sie europaweit für Schlagzeilen mit ihrer Kritik an der Nahostpolitik der Gemeinschaft.
Der Völkermord im Gazastreifen zeige, „dass Europa nicht mit einer Stimme spreche und handele“, sagte die Sozialistin bei einer Rede in Paris. Es war das erste Mal, dass ein Mitglied der EU-Kommission öffentlich den Begriff Völkermord im Zusammenhang mit Israels Militäreinsatz verwendete. Die EU-Kommission distanzierte sich von der Aussage, Ribera habe nicht im Namen der Institution gesprochen, hieß es. Der Ärger über den Vorstoß von einer der geschäftsführenden stellvertretenden Vorsitzenden war hinter den Kulissen jedoch groß. Immerhin gilt Ribera als Nummer zwei der EU-Kommission nach von der Leyen.
Oder liegt es weniger an den internen Differenzen und die Kommission versuchte mit der Freitagabend-Bekanntgabe vielmehr, bewusst die kartellrechtliche Bedeutung herunterzuspielen, um US-Präsident Donald Trump nicht zu provozieren? Der Republikaner schimpft regelmäßig über Europas Kartellgesetze und kritisiert sie als Beweis, dass die EU es auf die Vereinigten Staaten abgesehen hat. Sollte die EU den Plan verfolgt haben, die Entscheidung ohne Tamtam zu verkünden, damit die Aufregung im Weißen Haus kleiner ausfällt, ging die Strategie nicht auf. Im Gegenteil.
Es dauerte keine zwei Stunden, bis ein schäumender US-Präsident am Freitagabend auf seiner Online-Plattform Truth Social gegen die Entscheidung wetterte – und indirekt mit weiteren Zöllen gegen die Union drohte. Die Maßnahme sei „sehr unfair“ und riskiere US-Investitionen und Jobs, so Trump. „Wir können nicht zulassen, dass dem herausragenden und einzigartigen amerikanischen Erfindergeist so etwas angetan wird.“ Sollte die Strafe aus Brüssel bestehen bleiben – Google hat 60 Tage Zeit, Maßnahmen zu ergreifen, „um Interessenkonflikte entlang der Lieferkette bei Werbetechnologie zu beenden“ –, sehe er sich gezwungen, ein Verfahren nach Paragraf 301 des US-Handelsgesetzes einzuleiten, was Strafzölle oder andere restriktive Sanktionen als Reaktion auf unfaire Handelspraktiken ermöglicht.
Die EU beschuldigt den Tech-Konzern Alphabet, seit 2014 dessen Marktmacht missbraucht und eigene Dienste zum Nachteil von Konkurrenten und Online-Verlagen bevorzugt zu haben. Konkret lautet der Vorwurf, Google habe Werbetreibenden und Anbietern von Werbeplätzen den eigenen Marktplatz Adx bevorzugt vorgeschlagen. Dies habe zu höheren Kosten geführt, die am Ende auch an Verbraucher weitergereicht worden seien.
Obwohl der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab kritisierte, dass die Höhe nicht „zum Schweregrad der Verstöße“ passe, sprach er von einem „überfälligen Signal“: Europa lasse sich von Digitalkonzernen nicht die Regeln diktieren. Seit Wochen fordern Parlamentarier, die „Politik der Unterwerfung“, so der Vorwurf vieler Volksvertreter, zu beenden, insbesondere weil Trump bei den Abkommen noch nicht das liefert, was er versprochen hat.
Brüssel machte in diesem Jahr bereits enorme Zugeständnisse in den Bereichen Handel und Verteidigung, um Washington in der Sicherheitspolitik bei der Stange zu halten. So ist die Sorge etwa groß, dass Trump amerikanische Truppen aus der Gemeinschaft abziehen, finanzielle Unterstützung stoppen oder die NATO in Frage stellen könnte.