Frau Müller, inwieweit sind die US-Einfuhrzölle von der deutschen Branche nun mehr oder weniger widerwillig geschluckt?
Hildegard Müller: Für die deutsche Automobilindustrie sind gerade jetzt Planungs- und Rechtssicherheit entscheidend. Die Zölle haben bereits zu erheblichen finanziellen Einbußen geführt, auch aus diesem Grund sollte hier schnellstmöglich Klarheit herrschen. Die Zollproblematik ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs, wenn es um die Herausforderungen der Automobilindustrie geht: Hohe Energiepreise, überbordende Bürokratie sowie hohe Steuern und Abgaben beeinträchtigen die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen massiv. Hinzu kommen fehlende Handels- und Rohstoffabkommen seitens der EU mit anderen Regionen. Berlin und Brüssel müssen jetzt alles in den Mittelpunkt stellen, was Wachstum und damit Arbeitsplätze schafft. Sie müssen Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität zum Leitmotiv ihrer Politik machen.
Die Autos werden also in den USA teurer.
Am Ende des Tages zahlen die Verbraucherinnen und Verbraucher auf beiden Seiten des Atlantiks den Preis für diese Eskalation. Wichtig ist die Erkenntnis aus diesen Verhandlungen. Der Zollstreit muss ein Weckruf für die EU sein: Nur wer wirtschaftlich stark ist, ist relevant und hat starke Verhandlungsoptionen. Der Handlungsbedarf hier ist enorm.
Wenn Sie die Gelegenheit hätten, was würden Sie Donald Trump gern persönlich mit auf den Weg geben?
Die Vorteile des Freihandels, die klassische Win-win-Situation, wenn jeder das in der Wertschöpfung übernimmt, was er am besten kann. Zahlen, Daten und Fakten mit Blick auf die deutsche Automobilindustrie in den USA wären ebenso eine wichtige Botschaft: Unsere Autobauer und Zulieferer beschäftigen etwa 140.000 Menschen in den USA, mehr als 840.000 Autos wurden 2024 in den US-Automobilwerken der deutschen Hersteller produziert, etwa die Hälfte davon geht in den Export. Das heißt: Wir sind auch in Amerika ein Garant für Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze.
Es gibt nie einen guten Zeitpunkt für Zölle, die man zahlen muss.
Nochmals: Die Zölle sind eine Belastung - doch die Herausforderungen, die unsere Industrie aktuell meistern muss, gehen weit darüber hinaus. Und was Standortattraktivität und Wettbewerbsfähigkeit angeht, müssen Berlin und Brüssel jetzt maximal Tempo machen und konkrete Maßnahmen umsetzen.
Nun sind Sie hier in Bremen als Gastrednerin. Solche Einladungen haben Sie ja viele pro Jahr. Wie haben sich da vor Ort die Fragen an Sie geändert? Was war 2024 meist das Thema bei den Fragen vor Ort, welches Thema ist jetzt vorherrschend?
Die Sorge vor der Zukunft und dem Arbeitsplatzverlust spielt leider oft eine große Rolle. Gerade deshalb ist es so wichtig, auf die Probleme hinzuweisen und sie anzugehen, damit wir wieder Zuversicht schaffen können. Politik muss die Ursachen von Problemen angehen und nicht nur die Symptome. Ein schöneres Thema ist das zunehmende Interesse und die Offenheit für die Elektromobilität. Deswegen freuen wir uns besonders darauf, auf der IAA Mobility in München den Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit zu geben, hier alles zu testen und auszuprobieren. Denn wer einmal elektrisch unterwegs war, ist begeistert.
Und was ist besonders bei der IAA Mobility 2025?
Auf der IAA Mobility in München trifft sich die globale Mobilitäts-Community. Wir betrachten Mobilität ganzheitlich - und gemeinschaftlich. Wir sind überzeugt vom Miteinander der Verkehrsmittel. Wir zeigen natürlich das Neueste mit Blick auf die klimaneutrale und digitale Mobilität der Zukunft, ein besonderer Fokus wird das Autonome Fahren sein. Es geht auf der IAA Mobility natürlich im Schwerpunkt um das Auto, aber nicht nur - sondern auch um den ÖPNV, um Fahrräder, um die Bahn und vieles mehr. Mobilität ist ein zentraler Faktor für Wachstum – egal, wo auf der Welt. Mobilität – und die damit verbundenen Optionen – sind nicht nur für jeden Einzelnen mit mehr Freiheiten und Teilhabe verbunden. Wie wichtig dabei das Auto ist, hat unsere jüngste Umfrage mit Allensbach gerade erst wieder gezeigt.
Was ist das Ergebnis?
Die individuelle Mobilität mit dem Auto bleibt für den weit überwiegenden Teil der Bevölkerung in Deutschland unverzichtbar. Das gilt für drei von vier Bundesbürgern (75 Prozent), in ländlichen Gebieten sind es sogar 91 Prozent. Und: Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung ist sich der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung der Automobilindustrie für die deutsche Wirtschaft bewusst: 87 Prozent rechnen die Autoindustrie zu den Branchen, die für die deutsche Wirtschaft besonders wichtig sind. Umso mehr bereiten die aktuellen Entwicklungen mit Blick auf die Arbeitslosenzahlen vielen Menschen Sorgen.
Aber gerade ihre Verbandsmitglieder haben in den letzten Monat weiteren kräftigen Stellenabbau angekündigt.
Zwei Dinge: Die Transformation zur Elektromobilität kostet Arbeitsplätze, das ist kein Geheimnis und das haben wir immer offen kommuniziert. Es sind schlichtweg viel weniger Teile, die hier zusammengebaut werden, als bei einem Verbrenner. Entscheidend ist: Wo werden jetzt die Investitionen getätigt, die neue Arbeitsplätze, neue Wertschöpfung und Wohlstand sichern? Darüber entscheiden die Standortbedingungen – und hier hängt Deutschland international leider zunehmend hinterher.
Inwiefern?
Energiepreise, die hier drei bis fünf Mal höher sind als in den USA oder China, Bürokratie und Regulierung, die den Mittelstand an die Grenzen der Belastbarkeit bringt und darüber hinaus. Steuern, Abgaben - die Listen und Rankings, in denen Europa zuletzt durchgereicht wurde, ist lang. Es braucht jetzt endlich die immer wieder angekündigten Reformen.
Wo ist der Punkt in der Zukunft, auf den die deutsche Automobilbranche hoffnungsvoll schaut?
Oh, mit Blick auf die Zukunft unserer Branche bin ich sehr zuversichtlich. Wir bauen die besten Autos der Welt. Das werden wir auch weiterhin tun. Und wenn sich der Standort hier richtig entwickelt, dann auch weiterhin in Deutschland, deshalb mahne ich dieses Thema auch immer wieder an. Es geht nicht nur um die Autoindustrie, sondern damit auch um eine gute Zukunft für unser Land. Und ich bin stolz auf das, was unsere Branche leistet, wie wir mit Leistung und Leidenschaft vorangehen. Unsere Unternehmen belegen die Plätze eins bis zehn im Patentranking. Wir stehen weltweit für höchste Ingenieurskunst, unsere Marken haben globale Strahlkraft. Ja, die Transformation fordert uns – gleichzeitig nehmen wir jede Herausforderung gerne an.
Schauen wir von der Weser auf die Konkurrenz: Das Foto vom ersten Autotransportschiff von BYD, das in Bremerhaven E-Autos anlandete, ging um die Welt. Was haben Sie gedacht, als Sie das Foto gesehen haben?
Grundsätzlich freuen wir uns über Wettbewerb und nehmen ihn ja auch selber international gerne an. Die neuen Wettbewerber führen bei uns zu noch größeren Investitionen und noch mehr Kreativität. Und auch hier hilft ein Blick auf die Zahlen: Sieben von zehn E-Autos, die in Deutschland neu zugelassen werden, stammen von einem deutschen Automobilhersteller. In Europa stammt rund jedes zweite neu zugelassene E-Auto von einem deutschen Hersteller. Die zehn von Januar bis Juli dieses Jahres am häufigsten in Deutschland zugelassenen E-Pkw-Modelle stammen alle von deutschen Herstellern und Konzernmarken. Darauf lässt sich bauen.
Könnte BYD eigentlich einfach so die Mitgliedschaft bei Ihnen im Verband beantragen – oder braucht es da mindestens zwei Bürgen wie in so einigen Vereinen?
Wenn BYD hier in Deutschland produziert, kann das Unternehmen eine Mitgliedschaft beantragen.