Zum 75. Geburtstag nutzen wir die Gelegenheit, die Seiten zu tauschen: Diejenigen, die wir normalerweise interviewen, dürfen nun uns die Fragen stellen.
Marco Fuchs: 75 Jahre WESER-KURIER, das zeigt, dass es sich um ein Traditionshaus handelt. Wie kam es zur Gründung?
David Koopmann : Den westlichen Besatzungsmächten war es ungeheuer wichtig, dass es politisch unabhängige Zeitungen gibt. Die Briten und Franzosen haben erst 1946 begonnen, Zeitungslizenzen zu vergeben, aber die Amerikaner taten es schon 1945. Das war das Glück in Bremen: Weil Bremen und Wesermünde eine amerikanische Enklave war. So hat man bereits 1945 Menschen aus unterschiedlichen politischen Richtungen gesucht, die zusammen eine Zeitung produzieren.

Fuchs: Aber eigentlich sind die Bremer Nachrichten die viel ältere Zeitung ...
Koopmann : Richtig. Die Bremer Nachrichten sind die siebt älteste Zeitung der Welt. Sie erscheint seit 1743. Sie durfte zwischen 1945 und 1949 nicht herausgegeben werden, da sie auch während der Nazi-Zeit erschienen ist.
Fuchs: Die Realität im Jahr 2020 ist: Rückgang der Auflage, kein eigenes Druckhaus mehr, Konsolidierung. Wie lange wird es eine gedruckte Zeitung noch geben?
Koopmann : Noch einige Jahrzehnte. Sie wird nicht mehr das Massenprodukt sein, das sie heute ist. Aber die Verlage merken bei Jüngeren, dass die gedruckte Zeitung in manchen Milieus zum Statussymbol wird: Man setzt sich am Wochenende mit der Zeitung ins Café und liest in Ruhe.
Fuchs: Im Internet muss man wissen, was man sucht. Auf dem Papier liest man auch häufig Texte, die man nur zufällig aufblättert.
Koopmann: Das ist die Stärke der Tageszeitung: Etwas zu finden, nachdem man nicht gesucht hat. So erweitert man seinen Horizont. Wer meint, er könne sich allein auf Facebook oder Instagram verlassen, vergisst: Was er dort bekommt, wird von Algorithmen vorgegeben, die sich aus dem speisen, was man sich vorher angeguckt hat. Das bedeutet: Man wird sich nicht weiterentwickeln, weil man sich in seiner Informationsblase bewegt.
Fuchs: Der Journalismus hat Konkurrenz durch Nachrichtenportale im Internet bekommen. Zeitungen verlieren über solche digitalen Angebote den exklusiven Zugang zu Lesern. Wie reagieren Sie darauf?
Koopmann : Unser Schwerpunkt ist die Regionalität und die Hintergrundberichterstattung. Es geht nicht um die reine Nachricht, sondern wir fragen, warum ist etwas so, wie es ist. An dieser Stelle breit aufgestellt zu sein, zu wissen, was in den 26 Gemeinden um Bremen und in den 23 Stadtteilen Bremens passiert, ist unsere Stärke. Das kann kein anderer in dieser Form leisten. Für uns arbeiten rund 150 Redakteurinnen und Redakteure und etwa 800 freie Mitarbeiter. Keiner schöpft so viele Informationen aus diesem Verbreitungsgebiet wie wir. Wir haben mehr als 340 000 Leserinnen und Leser in der Printausgabe und 124 000 Nutzer auf unserer Webseite. Davon zahlen derzeit etwa 20 000 Nutzer etwas für dieses Angebot. Das war ein Webfehler der Verlage in Deutschland, sie haben anfangs auf Werbung als einzige Einnahmequelle gesetzt. Das ist das Prinzip eines Anzeigenblattes. Aber Anzeigenblätter können sich keine großen Redaktionen wie Tageszeitungen leisten.

Fuchs: Funktioniert Ihre Ansprache auch bei jungen Leuten? Ich merke bei meinen Kindern, die in den Zwanzigern sind, dass sie sich für Neuigkeiten interessieren, aber sie haben keine ausgeprägte Markenloyalität. Sie wollen eher die Welt verstehen als die Region.
Koopmann : Das ist nicht ungewöhnlich. Das Interesse für die Region kommt, wenn man anfängt zu arbeiten, eine Familie gründet, wenn man beispielsweise wissen möchte, wie man einen Kita-Platz bekommt und auf welche Schule man sein Kind schicken soll. Aber auch die politischen Umstände spielen eine Rolle: Um eine Auflage von 1000 Exemplaren zu erreichen, haben die Bremer Nachrichten 100 Jahre gebraucht. 1848, während der deutschen Revolution, wuchs die Auflage, ebenfalls 1870/71, wegen des Deutsch-Französischen Kriegs. Die Wiederbewaffnung, die 68er-Bewegung – das hat Einfluss auf das Interesse für Zeitungen gehabt. In den USA ist es die Präsidentschaft von Donald Trump, die der „New York Times“ zu einer neuen Blüte verholfen hat.
Fuchs: Und wie wirkt die Zeitung auf das Geschehen, auf die Politik?
Koopmann : Sicherlich beeinflussen wir durch unsere Berichterstattung die öffentliche Diskussion und damit auch das politische Geschehen. Gar nicht so sehr, weil wir ständig Skandale aufdecken. Es funktioniert, weil wir da sind, weil Politik und Verwaltung wissen, dass sie sich nicht nur gegenseitig kontrollieren, sondern dass sie auch von der Öffentlichkeit kontrolliert werden – und wir geben der Öffentlichkeit eine Stimme.
Fuchs: Wir haben anfangs über die Ursprünge vor 75 Jahren und über die Eigentümerstruktur gesprochen: Wirkt sich das aus, hat man im Haus das Gefühl, ein Familienunternehmen zu sein?
Koopmann : Ich bin mir sicher, dass es Auswirkungen hat, wenn man in einem regionalen Medienunternehmen beschäftigt ist, in dem die Entscheidungen vor Ort gefällt werden. Es gibt in Deutschland mittlerweile einige große Zeitungskonzerne, bei denen alles stark zentralisiert und zusammengefasst wird. Wir versuchen, das im Nordwesten durch Kooperationen zu lösen.
Das Gespräch zeichnete Andreas D. Becker auf.
Marco Fuchs
stieg 1995 in das elterliche Unternehmen OHB als Prokurist ein, seit dem Jahr 2000 ist der studierte Jurist Vorstandsvorsitzender der OHB SE, seit 2011 auch der OHB System AG.
David Koopmann
ist im Dezember 2018 zum Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG berufen worden, zunächst an der Seite des damaligen Chefredakteurs Moritz Döbler, seit September 2019 ist er allein verantwortlich. Zuvor war Koopmann Marketingchef des Medienhauses.
Weitere Informationen
Dieser Artikel ist Teil der Sonderveröffentlichung zum 75. Geburtstag des WESER-KURIER. Am 19. September 1945 erschien die erste Ausgabe unserer Zeitung. Anlässlich des Jubiläums blicken wir zurück auf die vergangenen Jahrzehnte: Erinnern uns an die Anfänge unserer Zeitung und auch an die ein oder andere Panne. Und wir schauen nach vorn: Wie werden Künstliche Intelligenz und der Einsatz von Algorithmen den Journalismus verändern? Natürlich denken wir auch an Sie, unsere Leser und Nutzer. Wer folgt unseren Social-Media-Kanälen, wer liest unsere Zeitung? Was ist aus den Menschen geworden, über die wir in den vergangenen Jahren berichtet haben? Und wie läuft er eigentlich ab, so ein Tag beim WESER-KURIER?