Commerzbank-Chef Martin Blessing spricht im Interview über das Hilfspaket für Griechenland und warum er Filialen erhalten will.
Herr Blessing, wie richtig oder falsch ist das dritte Hilfspaket für Griechenland?
Martin Blessing: Das hängt davon ab, ob Griechenland langfristig in der Lage sein wird, seine Schulden zurückzuzahlen. Viele Experten bezweifeln das. Man wird wohl eher darüber reden müssen, die Zinsen und Tilgungen weiter zu strecken. Die Rückzahlungen dürften sich dann über einen deutlich längeren Zeitraum hinziehen.
Wie viel Verständnis hätten Sie dafür?
Es ist immer eine Frage der Alternativen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wenn Sie Schulden strecken und Zinsen senken, ist das de facto ein Schuldenschnitt – und den hatten wir schon zweimal. Beim ersten haben die Banken auf einen signifikanten Teil des Geldes verzichtet. Allein die Commerzbank hat den griechischen Schuldnern mehr als drei Milliarden Euro erlassen. Beim zweiten sind Zins- und Tilgungszahlungen verschoben worden. Wahrscheinlich wird Griechenland jetzt eine dritte Umschuldung brauchen.
Wenn ein Unternehmer zu Ihnen in die Bank kommt und einen Kredit für eine Fertigung in Griechenland erbittet: Kriegt der das Geld oder nicht?
Wenn es ein großes deutsches Unternehmen wäre, würden wir eine Garantie auf die deutsche Gesellschaft verlangen. Er würde das also nur bekommen, wenn entsprechende Sicherheiten vorliegen.
Lassen Sie uns in die USA schauen: Die Chefin der US-Notenbank Fed, Janet Yellen, hat bekräftigt, dass sie den historisch niedrigen Leitzins bald anheben will. Was erwarten Sie?
Klar ist: Die Zinswende wird kommen, aber die Zinsen werden unserer Meinung nach nur sehr langsam und in wohldosierten Schritten angehoben. Sie werden vermutlich nur in homöopathischen Dosen von zum Beispiel plus 0,25 Prozent steigen. Ob das im September, Dezember oder Januar passiert, ist langfristig gesehen eher unwichtig.
Wann dürfen wir für Europa mit solchen homöopathischen Dosen für den hiesigen Leitzins rechnen?
Darüber sollten wir uns frühestens in einem Jahr unterhalten. Vor Ende 2016 wird da wohl nichts passieren. Für Deutschland ist das nicht unbedingt schlecht. Durch die niedrigen Zinsen wurde der Euro gegenüber dem Dollar abgeschwächt und davon haben deutsche Exporteure und letztlich der Staat insgesamt – als größter Aufnehmer von Krediten – profitiert.
In Deutschland sterben die Bankfilialen, doch die Commerzbank hat gerade drei Millionen Euro in die Filiale am Bremer Schüsselkorb investiert. Was erwarten Sie, was Ihre Rivalen nicht sehen?
Wir haben bereits während der Integration der Dresdner Bank gut 400 Filialen zusammengelegt. Zudem sagen gut 70 Prozent unserer Kunden, dass sie Filialen für wichtig halten. Als Dienstleister interessiert uns das. Die meisten Kunden wollen heute beides: Filial-Besuche und Online-Banking.
Die Commerzbank betreibt 1100 Filialen in Deutschland. Noch. Wie viele werden es in fünf Jahren sein?
Das hängt vom Kundenverhalten ab. Tendenziell werden es aber eher weniger als mehr werden. Um flexibel zu sein, prüfen wir gerade die Mietverträge. Die meisten Standorte sind gemietet, und wir versuchen, die Laufzeiten zu verkürzen. Damit können wir kurzfristiger reagieren.
Wie hat sich das Verhalten der Kunden zuletzt verändert?
Kunden erledigen zunehmend die alltäglichen Geschäfte rund um ihr Konto im Internet. Auch Konsumentenkredite werden häufiger online vergeben. Aber bei der Baufinanzierung, bei der Altersvorsorge oder bei der Vermögensberatung wollen die meisten Kunden mit einem Berater sprechen. Deshalb haben Filialen auch nicht ausgedient. Es gibt nur wenige Kunden, die wirklich alles online machen.
In Berlin und Stuttgart betreiben Sie zwei Konzeptfilialen. Dort sollen neben Praktischem wie der Kreditkarte für sofort auch schräge Ideen wie Duftkonzepte ausprobiert werden.
Das Duftkonzept haben wir wirklich getestet, aber bis jetzt haben wir keine Geschmacksrichtung gefunden, die mehr Ertrag bringt. Im Ernst: Die Idee haben wir wieder verworfen.
Haben Sie schon irgendetwas Nützliches entdeckt?
Natürlich. Wir haben den Aufbau der Filialen verändert. Früher war die Selbstbedienungszone samt Automaten am Eingang, dahinter kamen die Schalter und die Kasse. Das hatte den Effekt, dass Kunden nur bis zu Kasse kamen und die eigentliche Filiale gar nicht nutzten. Diese Kunden waren wieder weg, bevor ein Mitarbeiter sie fragen konnte, ob sie weitere Wünsche haben. In den Pilotfilialen ist die Kasse im hinteren Teil der Filiale. Deshalb müssen sich Kunden ganz anders bewegen, und wir haben die Möglichkeit, sie anzusprechen.
Das klingt doch sehr nach einem Spießrutenlauf.
Nein. Wir wollen die Kunden besser verstehen und das bedeutet, wir müssen mit ihnen, über ihre konkrete Lebenssituation reden: Sind sie verheiratet? Haben sie Kinder? Sparen sie auf etwas? Wofür brauchen sie Geld? Wir wollen das machen wie ein Arzt bei der Visite.
Die Commerzbank hat seit 2012 netto mehr als 600.000 Privatkunden gewonnen. Gelockt werden viele durch Prämien. Wenn der Kunde über eine Filiale gewonnen wird, was kostet er die Bank im Schnitt? Mehr als 100 Euro?
Ich werde Ihnen keine konkrete Zahl nennen, aber bei den meisten Kunden haben wir die Anfangskosten in weniger als zwei Jahren wieder verdient.
Die Deutsche Bank will demnächst etliche Filialen schließen – wie wollen Sie denen die Kunden abluchsen?
Ganz einfach: Mit guten Angeboten, guter Beratung, gutem Service und einer cleveren Werbung. Und wenn Wettbewerber ankündigen, massiv Filialen zu schließen, erschwert das die Akquisition neuer Kunden nicht unbedingt.
Apropos Deutsche Bank: Die will ihre Tochter Postbank loswerden. Führen Sie eigentlich Gespräche für den Erwerb?
Nein. Das ist für uns kein Thema. Zudem steht die Postbank auch noch nicht zum Verkauf.
Aber die Institute würden doch blendend zusammenpassen. Die Commerzbank gehört zu 15,6 Prozent dem Bund und der fände das auch ganz schick.
Was der Bund ganz schick findet, weiß ich nicht. Das müssen Sie ihn schon selber fragen.
Apropos Bund: Bei der jüngsten Hauptversammlung im April hat das Bundesfinanzministerium die Pläne der Commerzbank blockiert, die Obergrenze für Boni von höheren Führungskräften auf das Doppelte des Fixgehalts anzuheben. Mehr öffentliche Brüskierung geht nicht, oder?
Das sehe ich nicht so. Uns ging es auch nicht darum, insgesamt mehr Geld zu zahlen. Wir wollten mehr Flexibilität innerhalb des bestehenden rechtlichen Rahmens.
Wenn das so ist, haben Sie das vorher aber schlecht an den größten Eigner – den Bund – kommuniziert, oder?
Aber nein. Die Tagesordnung wird mehrere Wochen vor einer Hauptversammlung veröffentlicht. Jeder Aktionär kann in dieser Phase seine eigenen Entscheidungen treffen. Das ist sein gutes Recht. Und natürlich kann er auch gegen einen Vorschlag vortieren.
Die gut 200 Top-Führungskräfte und Händler laufen Ihnen jetzt nicht weg?
Nein. Natürlich wurde die Entscheidung diskutiert. Aber wir stehen hier nicht vor einer Kündigungswelle.
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Zur Person: Martin Blessing (53) leitet seit acht Jahren die Commerzbank in Frankfurt. Er wurde in Bremen geboren und kommt aus einer Bankiersfamilie. Der Großvater war
Präsident der Bundesbank, der Vater war im Vorstand der Deutschen Bank. Nach einer Lehre als Bankkaufmann studierte Blessing Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt und St. Gallen. Nach dem Studium arbeitete er bei der Beratung McKinsey, zum Schluss als Partner. Seit Mai 2009 ist er Vorstandsvorsitzender von Deutschlands zweitgrößter Bank.