Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Forschung zu intelligenten Textilien Smarter Tapetenwechsel

Im Smart Home der Zukunft gibt es womöglich keine Lichtschalter mehr, dafür dann intelligente Tapeten. Wie das funktionieren kann, wird derzeit am Bremer DFKI erforscht.
04.12.2019, 18:14 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Smarter Tapetenwechsel
Von Imke Wrage
Herr Autexier, am DFKI beschäftigen Sie sich fast täglich mit künstlicher Intelligenz und Smart-Home-Technologien. Wie sieht es bei Ihnen privat aus? Haben Sie ein intelligentes Zuhause?

Um ehrlich zu sein, nicht, nein. Ich habe zwar ein, zwei einfache Sachen, kann beispielsweise das Licht steuern. Eine Alexa oder Ähnliches möchte ich persönlich aber nicht haben. Das, was ich zu Hause mit meiner Familie berede, möchte ich später nirgendwo im Internet finden.

Was verstehen Sie unter einem Smart Home?

Ein Zuhause, das mitdenkt. Intelligent vernetzte Geräte, die den Alltag einfacher machen, indem Abläufe automatisch steuerbar sind.

Wie verbreitet ist das „schlaue Zuhause“ in Deutschland schon?

Ich habe jetzt keine Marktzahlen im Kopf. Aber ich habe das Gefühl, dass das Thema ziemlich im Kommen ist. Die Branchen steigen immer mehr ein, reagieren auf den Trend. Mittlerweile gibt es eine breite Palette an Smart-Home-Angeboten: Es gibt smarte Fenster, Rollläden und Heizkörper. Es gibt smarte Türschlösser und Möglichkeiten, das Licht zu steuern oder mit Regen- oder Temperatursensoren zu arbeiten. Immer mehr Menschen lassen sich solche Technologien in ihre eigenen vier Wände bauen.

In der Realität beschränkt sich das Smart Home bisher noch auf einzelne, über Funk vernetzte Geräte. Mit Ihrem Forschungsprojekt „Context“ wollen Sie das intelligente Zuhause auf ein neues Level heben. Wie genau?

Um die eigenen vier Wände smart zu gestalten und Geräte zentral steuern zu können, werden flächendeckend Niederspannungs- und Kommunikationsanschlüsse benötigt. Die fehlen in privaten Haushalten aber häufig. Heißt anders: Genau an der Stelle, an der man ein Gerät installieren will oder einen Schalter braucht, gibt es keine Steckdose – also keinen Stromanschluss. Die Lösungen, die es dafür bisher am Markt gibt, sind meist batteriebetrieben, vor allem aber funkbasiert. Das macht sie anfällig für Störungen und Ausfälle. Wir wollen dieses Problem anders lösen.

Und zwar?

Mit smarten Textiloberflächen. Unser Forschungsobjekt ist jetzt erst mal die Tapete, aber auch Teppiche oder andere Textilien sind langfristig denkbar.

Das müssen Sie erklären. Wie wird meine Tapete intelligent?

Die Grundidee ist, dass wir die Stromversorgung flächendeckend in die Textiloberfläche integrieren. Im Prinzip so, wie man sonst zu Hause Stromleitungen verlegt. Bei der Produktion der Tapete werden stromleitende Elemente und eventuell auch kleine Sensoren direkt mit eingewebt oder eingedruckt – je nach Verfahren. Wenn ich eine Tapete an der Wand habe, die durchgehend mit Strom versorgt ist, kann ich dort an beliebiger Stelle etwas anbringen. Bisher denken wir da an etwas, das so funktioniert wie ein Klettverschluss.

Ich klebe also eine Lampe oder einen Bildschirm einfach per Klettverschluss an die Wand?

Genau, so sollte das idealerweise funktionieren. Die Geräte werden dann automatisch mit Strom versorgt und können leitungsbasiert über die Wand, also die Tapete, mit der Smart-Home-Zentrale kommunizieren.

Gibt es schon smarte Tapeten auf dem Markt?

Es gab schon Überlegungen in die Richtung. Die bewegen sich bisher aber eher im künstlerischen Bereich. Als Basisinfrastruktur für eine flächendeckende Stromversorgung gibt es das bisher nicht auf dem Markt.

Welche Schritte müssen Sie auf dem Weg von der Idee bis hin zur intelligenten Oberfläche bedenken?

Aktuell befinden wir uns in der ersten Projektphase, in der wir die Anforderungen erarbeiten. Vereinfacht gesagt überlegen wir, was die Tapete alles leisten oder abkönnen muss und welche Nutzungsszenarien denkbar sind.

Und? Was muss die Tapete alles aushalten?

Die Tapete muss robust gegen Beschädigungen sein. Ich muss zum Beispiel noch einen Nagel in die Wand schlagen können. Außerdem sollte sie Feuchtigkeit abkönnen. Und, auch nicht unwichtig: Menschen dürfen natürlich keinen Stromschlag bekommen, wenn sie die Wand berühren. Wir sprechen hier aber auch nicht von 220-Volt-Stromversorgung, sondern Kleinspannungen, was für typische Sensoren und Geräte im Smart Home meist ausreicht. Die Anforderungen fließen dann in die nächste Projektphase ein: die technische Entwicklung.

Um was geht es da konkret?

Da geht es um Fragen wie: Wie können wir so eine Tapete bauen? Wie kriegen wir da Strom rein? Wie werden die Datenkommunikation und die Interaktion zwischen Mensch und Tapete gestaltet? Aber auch diese Frage ist sehr spannend: Wie können wir Sensoren auf oder in den Materialien verbauen, die auf Berührungen reagieren?

Heißt, ich kann zukünftig mit dem Finger über meine Tapete streichen und irgendwo geht das Licht oder die Musikanlage an?

Zum Beispiel. Beim Smart Home und bei der Mensch-Technik-Interaktion geht es ja vor allem darum, den Menschen den Alltag zu vereinfachen. Idealerweise können sich Anwender die Geste selber definieren, also schauen, wo und wie sie drücken oder streichen wollen und was daraufhin alles passiert – ob etwa das Licht angeht oder der Rollladen hochfährt. Aber auch komplexere Szenarien sind denkbar.

Zum Beispiel?

Ich denke da an so etwas wie „Abendstimmung“.

Kann die Tapete auch sprechen?

Da sind wir relativ offen. Möglich ist, kleine Mikrofone auf die Wand zu setzen und darüber Signale zu empfangen. Dann muss man nur schauen, wo das Signal dann hinführt und wie es verarbeitet wird – etwa über Apple- oder Microsoftgeräte? Da ist man dann wieder schnell bei der Frage: Will man das? Das muss jeder für sich selbst entscheiden, die smarten Tapeten sind in diesem Fall erst einmal „nur“ das Trägermedium zwischen Mikrofon und verarbeitender Stelle.

Tatsächlich gibt es im Hinblick auf das Smart Home viele technische Bedenken. Wie sicher ist die intelligente Tapete etwa vor Hackerangriffen?

Das ist ein zentrales Thema im Forschungsprojekt und einer der Gründe, warum wir die Tapete überhaupt machen: Bei „Context" geht es darum, nicht mehr auf funkbasierte Kommunikation angewiesen zu sein. Leitungsbasierte Kommunikation erhöht die Sicherheit. Die Daten, die über die Tapete geschickt werden, werden zusätzlich verschlüsselt.

Sie sind zurzeit täglich von intelligenten Tapeten umgeben. Würden Sie sich so etwas später selber zu Hause anbringen?

Das kann ich mir gut vorstellen, ja. Das würde einiges vereinfachen – und ist sicher nicht nur komfortabel, sondern auch schick und cool.

Die Fragen stellte Imke Wrage.

Zur Person

Zur Person

Serge Autexier (48)

arbeitet seit 2008 am Deutschen Forschungsinstitut für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen. Dort leitet er „Context“, ein Forschungsprojekt, mit dem Tapeten künftig smart werden sollen.

Info

Zur Sache

Was ist „Context“?

Unter der Leitung des DFKI in Bremen und Berlin werden sogenannte Connecting Textiles entwickelt. Diese sollen eine sichere, robuste und elektromagnetisch umweltverträgliche Infrastruktur für smarte Tapeten und Textiloberflächen bilden. Beteiligt sind das Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung, das Deutsche Institut für Textil- und Faserforschung sowie drei Firmen. Das Projekt läuft bis Juli 2022.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)