Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Spanien reformiert sich in die Krise

Mit Spanien wird nun der nächste Euro-Staat als gefährlich nah am Abgrund eingestuft. Die Zinsen für spanische Staatsanleihen klettern beständig, die Bankenkrise weitet sich aus, der Ruf nach den EU-Rettern wird lauter. Doch ob die Medizin aus Brüssel wirklich heilsam ist, ist umstritten.
11.06.2012, 13:27 Uhr
Zur Merkliste
Von Günther Hörbst

Mit Spanien wird nun der nächste Euro-Staat als gefährlich nah am Abgrund eingestuft. Die Zinsen für spanische Staatsanleihen klettern beständig, die Bankenkrise weitet sich aus, der Ruf nach den EU-Rettern wird lauter. Doch ob die Medizin aus Brüssel wirklich heilsam ist, ist umstritten.

Bremen. Um Spanien steht es nicht gut. 24Prozent der Spanier haben keinen Job, unter den Jugendlichen sind es erschreckende 50 Prozent. Das Land steckt in der Rezession, die Wirtschaft dürfte 2012 um 1,8 Prozent schrumpfen. Die Zinsen, die Spanien Anlegern zahlen muss, um Kredite zu erhalten, betragen inzwischen 6,3 Prozent. Die Ratingagentur Fitch stufte die Kreditwürdigkeit des Krisenlandes gestern herab. Die Bonität wurde um drei Stufen von „A“ auf „BBB“ gesenkt – zwei Stufen über Ramsch-Niveau. Das alles ist Folge einer geplatzten Immobilienblase, die Millionen Menschen in Not gebracht hat.

„Deshalb“, sagt Emilio Ontiveros, „ist es völlig falsch, Spaniens Probleme mit denen etwa Griechenlands in einen Topf zu werfen.“ Sein Heimatland leide keineswegs unter einem Problem der öffentlichen Verschuldung, sondern vielmehr unter enormer Verschuldung der Privathaushalte, sagt der renommierte Ökonomie-Professor aus Madrid und Präsident des Instituts Internationaler Finanz-Analysten (IFA).

Ontiveros ist gerade auf Besuch in der Hansestadt. Im Instituto de Cervantes, dem spanischen Kultur- und Spracheninstitut in Bremen, hat er in einer Podiumsdiskussion mit dem Chefanalysten der Bremer Landesbank, Folker Hellmeyer, über Gründe und Auswege aus der Euro-Krise diskutiert. Und Spanien, das bekräftigte der schnauzbärtige Universitätsprofessor eindringlich, sei nur deshalb in einer solch fatalen Verfassung, weil es gehorsam die Rezepte angewandt habe, die ihm aus Brüssel und Berlin empfohlen worden seien.

„Die Regierung hat eine radikale Arbeitsmarktreform umgesetzt, hat als einziges Land neben Deutschland eine Schuldenbremse in die Verfassung aufgenommen und hat zwei Finanzreformen umgesetzt, die den Banken vor allem mehr Eigenkapitalreserven vorschreiben“, zählt Ontiveros auf. „Die Folge ist: Die Wirtschaft ist eingebrochen. Die Maßnahmen sind mittelfristig sinnvoll, kurzfristig aber verheerend.“ Spanien, sagt der Professor milde lächelnd, sei ein gehorsamer Patient, der nun bis auf die Knochen abgemagert sei.

Reformen nicht respektiert

„Das ist die Systematik, die wir in der Euro-Krise seit zwei Jahren beobachten“, schimpft Landesbank-Chefanalyst Hellmeyer. „Die von den Finanzplätzen New York und London aus gesteuerten Ratingagenturen fordern Reformen. Sie werden umgesetzt. Kurzfristig bedeutet das immer geringeres Wachstum und höheres Defizit. Das wird dann mit schlechteren Ratings bestraft, die wiederum die Zinsen auf den Kapitalmärkten in die Höhe schrauben. Reformen werden nicht respektiert.“

Der Bremer Finanzexperte nennt einige Zahlen zu Spanien. Die öffentliche Verschuldung in dem Land ist mit rund 70 Prozent relativ gering. Deutschland liegt bei über 80 Prozent. Das Defizit liegt bei 13,6 Milliarden Euro und wurde innerhalb von vier Jahren um 80 Prozent gesenkt.

Und um zu demonstrieren, dass die Ursache der spanischen Tragödie in der geplatzten Immobilienblase steckt, nennt Ontiveros folgende Zahlen: Ende 2007, kurz vor Ausbruch der Krise, blickte Spanien auf zwölf Jahre andauerndes Wachstum von im Schnitt 3,6 Prozent zurück. Die Arbeitslosenquote betrug acht Prozent, die Staatsverschuldung 36 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Der Staatsetat wies einen Überschuss von zwei Prozent des BIP auf.

„In den Jahren davor wurden in Spanien aber zigtausende Wohnungen gebaut“, sagt der Ökonom aus Madrid. „Mehr, als in Italien, Frankreich und Deutschland zusammen. Finanziert haben das insgesamt 45000 Banken im ganzen Land. Die Menschen haben sich das Geld dafür über billige Kredite besorgt. Viel davon wurde über Investments im Ausland eingesammelt, auch in Deutschland.“

Dann brach mit der Finanz- und Wirtschaftskrise, die vor ziemlich genau fünf Jahren in den USA begonnen hatte, Ende 2007 der spanische Wohnungsmarkt zusammen. „Innerhalb von Wochen“, sagt Ontiveros. Die Folgen: Millionen Arbeitslose, taumelnde Banken, radikale Spar- und Strukturprogramme – erst auf Druck der Ratingagenturen, dann auf Druck der EU-Kommission. „Hauptsächlich deshalb haben wir die Wachstums- und Arbeitsmarktprobleme“, sagt der spanische Ökonomie-Professor.

Deutschland profitiert am meisten

Folker Hellmeyer geht noch einen Schritt weiter. Er wirft der Politik der Euro-Länder vor, diese Differenzierungen gar nicht mehr vorzunehmen und damit eine allgemein verbreitete Euro-Abneigung zu schüren sowie Anleger und Investoren an den Finanzmärkten nachhaltig zu verunsichern. Vor allem die deutsche Regierung habe sich dabei negativ hervorgetan. „Deutschland ist aber das Euro-Land, das bislang am meisten vom Euro profitiert hat“, sagt Hellmeyer. „70 Prozent der Exporte des deutschen Mittelstands gehen in die Euro-Zone. Jede Verunsicherung der Märkte bedeutet also einen potenziell großen Schaden für Deutschland. Ein Zusammenbrechen der Euro-Zone erst recht.“

Beide Experten sind aber optimistisch, dass die Krise überwunden werden wird. Jedoch nur dann, wenn Europa mehr Gemeinschaft wage. „Wir befinden uns in der größten Krise seit 1945“, sagt Hellmeyer. „Aus der Not heraus werden die Staaten ihre nationalen Egoismen zurückstellen.“ Und Ontiveros sagt: „Es gibt zu mehr Gemeinsamkeit gar keine Alternative.“

Kanzlerin Merkel: EU wird mehr Gemeinsamkeiten beschließen

n Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat für den nächsten EU-Gipfel Ende des Monats die Vorlage eines Arbeitsplanes zum Ausbau einer politischen Union angekündigt. Europa brauche nicht nur eine Währungsunion, sondern auch eine Fiskalunion, also mehr gemeinsame Haushaltspolitik, sagte Merkel. Notwendig sei vor allem eine politische Union, „das heißt, wir müssen Schritt für Schritt auch Kompetenzen an Europa abgeben, Europa auch Kontrollmöglichkeiten einräumen.“ Gleichzeitig räumte Merkel ein, sie glaube nicht, dass es einen einzigen EU-Gipfel geben werde, „auf dem der große Wurf entstehen wird“. In der Euro-Krise war zuletzt Spanien wieder verstärkt unter Druck geraten, dessen Bankensektor wegen der geplatzten Immobilien- und Kreditblase mit weiteren Milliardensummen gestützt werden muss.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!