Mancher wird die Bilder vom Januar 2019 noch in Erinnerung haben. Damals brach im brasilianischen Brumadinho bei einer Eisenerzmine der Damm eines Rückhaltebeckens. Der Schlamm ergoss sich ins Tal, 260 Menschen kamen ums Leben. Nun steht die Frage im Raum, ob der Tüv Süd an die Hinterbliebenen Schmerzensgeld und Schadenersatz zahlen muss. Laut Münchener Landgericht hatte die brasilianische TÜV-Süd-Tochter TSB im Juni 2018, also ein halbes Jahr vor der Katastrophe, eine positive Stabilitätserklärung für den Damm abgegeben. Der Bruder einer getöteten Ingenieurin forderte beim ersten Verhandlungstag am Dienstag Gerechtigkeit.

Rettungskräfte bergen eines der Opfer aus dem Schlamm nach dem Dammbruch bei einer Eisenerzmine im brasilianischen Brumadinho.
Die Richterin will kommenden Februar eine Entscheidung verkünden. Grundsätzlich steht dabei die Frage im Raum: Wer kontrolliert eigentlich den Tüv? Das Beispiel aus Brasilien zeigt, dass die Zeiten lange vorbei sind, in denen es sich beim Tüv um den „Technischen Überwachungsverein“ handelt, der alle zwei Jahre seine Plakette auf die Autos klebt, wenn sie weiterhin fahrtüchtig sind.
Längst handelt es sich um Wirtschaftsunternehmen, die mit ihren Prüfexpertisen weltweit unterwegs sind. Da ist zum Beispiel der Tüv Nord mit seinen 14.000 Mitarbeitern, der ursprünglich der norddeutschen Region entstammt und seinen Hauptsitz in Hannover hat. Die Tüv-Nord-Gruppe machte im vergangenen Jahr einen Umsatz in Höhe von gut 1,27 Milliarden Euro. Knapp 35 Prozent davon stammen aus dem Geschäft, zu dem die Auto-Überprüfungen und die Führerscheinprüfungen gehören. Den größten Anteil am Umsatz macht der Bereich Industrieservices mit knapp 46 Prozent aus. Hier erwirtschaftete der Tüv Nord fast 372 Millionen Euro in Deutschland. Die restlichen 210 Millionen Euro stammen aus dem Ausland. Dort steht der Tüv Nord in vielen Bereichen in Konkurrenz zum Tüv Rheinland und dem Tüv Süd sowie anderen Prüfunternehmen.
Der Sprecher der Tüv-Nord-Gruppe, Sven Ulbrich, gibt die weltweite Zahl an Reklamation mit 0,1 Prozent an: "Alle Tätigkeiten werden regelmäßig durch die zuständigen Zulassungs- und Aufsichtsbehörden überwacht. Tüv Nord wird von der weltweit tätigen Schweizerischen Vereinigung für Qualitäts- und Management-Systeme (SQS) nach Iso 9001:2015, Iso 14001:2015 und Iso 45001 zertifiziert." Bei diesen Iso-Normen geht es um das Qualitätsmanagement, das Umweltmanagement und den Arbeitsschutz innerhalb des Unternehmens. Die SQS ist ein börsennotiertes Schweizer Unternehmen, das auch in Deutschland aktiv ist und am Tüv Saar beteiligt ist.
Tüv-Anwälte machen Minenbetreiber für Unglück verantwortlich
Damit der Tüv Nord prüfen darf, braucht er eine Akkreditierung. Die erhält er von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) mit Sitz in Berlin. Sie fungiert als nationale Akkreditierungsbehörde und hat 210 Mitarbeiter. So entzog 2015 die DAkkS laut "Spiegel" vorübergehend dem Tüv und allen anderen Prüforganisationen die Akkreditierung für die Hauptuntersuchung bei Autos. Die DAkkS-Gutachter stellten damals fest, dass die eingesetzten Messgeräte nicht nach dem "Stand der Technik kalibriert seien".
Im Geschäftsbericht warnte der Tüv Nord vor Regelverstößen einzelner Mitarbeiter und dem Risiko die Akkreditierung zu verlieren. Aus diesem Grund wurde bei der Tüv Nord Cert GmbH für die DAkkS-Akkreditierung ein Qualitätsmanagement installiert, das Risiken minimieren soll. Grundsätzlich ist es laut DAkkS-Sprecher Oliver Dieser so: "Liegt eine Akkreditierung vor, bewertet und überwacht die DAkkS die fachliche Kompetenz." Liege für einen konkreten Geltungsbereich keine Akkreditierung vor, sei die DAkkS für die Kontrolle nicht zuständig. In vielen Bereichen sei aber eine Akkreditierung erforderlich, damit die Firmen tätig sein können. Fragen zur Höhe der Haftungssummen bei der Haftpflichtversicherung konnte der Tüv Nord am Dienstag in der Kürze der Zeit nicht beantworten.
Zurück zum Prozess in München: Nach Ansicht der Tüv-Süd-Anwälte ist für den Dammbruch in Brasilien der Minenbetreiber Vale verantwortlich. Der habe am Tag des Bruchs Sprengungen im Bergwerk und Bohrungen auf dem Damm durchgeführt. Die Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) kommt zu einem anderen Ergebnis. Claudia Müller-Hoff hat für den ECCHR sowie Misereor und Brot für die Welt den Dammbruch analysiert und schreibt über den Tüv Süd: "Die Beweise deuten darauf hin, dass er in voller Kenntnis der Instabilität des Staudamms die Standsicherheitserklärung ausstellte. Er hat dafür mutmaßlich Normwerte manipuliert, um zu niedrige Messwerte zu verschleiern."