Die Bremer Firma Rytle mit ihren Elektro-Lastenrädern sagt inzwischen "Moin, London". Hier an der Weser gehören die Räder mit ihrer Fahrerkabine und der Lastenkabine mit Platz für eine Europalette längst zum Stadtbild. An der Themse soll das jetzt auch so werden. Denn in London setzt nicht nur ein Paketdienstleister auf die Räder. Das machen nun auch Unternehmen in Bristol, in Glasgow und in Barcelona. Die sind auf der Straße unterwegs für die letzte Meile. Doch Rytle denkt die letzte Meile nun weiter, um Pakete per Lastenrad zu Unternehmen oder Privathaushalten zu befördern.
Deshalb haben der ehemalige Geschäftsführer des Bremer Mineralölhandels, Ronald Rose, und der Rytle-Gründer Arne Kruse ein neues Unternehmen namens "Mercadius" gegründet. Der Name ist ein Mix aus dem lateinischen Mercatus für "Märkte" sowie Radius – also als Marktplatz um einen herum gedacht. Rytle ist jetzt Teil davon und wurde nach einem ersten Verkauf wieder zurückgekauft.
Mercadius hat eine Software entwickelt, die helfen soll, die letzte Meile der Paketlogistik optimal auf E-Lastenräder umzustellen. "Ein Paketdienstleister kann das, was er mit einem 3,5-Tonner anliefert nicht durch ein Lastenrad abbilden", sagt Ronald Rose. "Das muss man neu denken", und da komme eben die neue Software ins Spiel, die auch auf künstlicher Intelligenz basiert. In London kommt das Programm zum Einsatz. "Die Software sorgt dafür, dass ein Fahrer mit seinem Lastenrad unterwegs etwas mitnehmen und unterwegs auch wieder abladen kann." Der Grund laut Rose: Hier gibt es eine Vielzahl von Paketdienstleistern – und für sie alle organisiert die Software firmenübergreifend die Logistik.
Londons hohes Paketaufkommen in den Griff kriegen
Gerade in den stark verdichteten Innenstädten will Mercadius damit Liefertouren minimieren, um so auch die Zahl der Fahrzeuge und den Lieferverkehr zu minimieren. "Ein solches System ist nicht nur innovativ, sondern es ist auch notwendig", sagt Rose. In London sei das Paketaufkommen derartig hoch, dass es gerade dort lohne, nach optimierten Lösungen zu suchen. Das erste Paketzentrum sei dafür eingerichtet zusammen mit dem jungen Bremer Unternehmen Cellumation. "Die können mit ihrem System in einer irrsinnigen Geschwindigkeit Pakete sortieren und verteilen", sagt Rose.

Die Mercardius-Geschäftsführer Ronald Rose (v.l.n.r.) und Arne Kruse sowie der Citipost-Geschäftsführer Henning Lüschen. Das Unternehmen setzt bei seiner Auslieferung auch auf Lastenräder von Rytle X (Transparenzhinweis: Die Bremer Tageszeitungen AG, zu der der WESER-KURIER gehört, ist am Unternehmen Citipost beteiligt).
Mit dem Lastenrad habe das Unternehmen gerade in Glasgow seine Erfahrungen gesammelt. Das Rad selbst wiegt 20 bis 30 Kilo, dann kommt der Fahrer hinzu und die Pakete in der Ladebox dahinter. "Da reden wir über andere Gewichte, weshalb so ein Lastenrad fast schon ein verkapptes Motorrad ist", erläutert Rose. Entsprechend werden auch Motorradteile für das Rad verwendet. "Im Gegensatz zu Bremen ist Glasgow sehr hügelig. Da hat man große Probleme, mit Gewicht den Berg hochzukommen", sagt Rose.
E-Lastenrad bald mit Wasserstoff?
Deshalb habe die Firma das Lastenrad überarbeitet und den Akku durch Wechsel auf eine Technik mit 48 Volt leistungsfähiger gemacht. Auch werde gerade an einem Wasserstoffantrieb getüftelt. Dazu müsse aber auch die entsprechende Tanktechnik entwickelt werden, die kleinräumig und bezahlbar sein müsse. Mit Tankstellen kennt sich Rose als ehemaliger Geschäftsführer des Bremer Mineralölhandels (BMÖ) gut aus, wo er in den letzten Jahren immer wieder alternative Kraftstoffe mit ausrollte.
Wenn es momentan vor allem um die Innenstädte geht, kommen im nächsten Schritt ja auch die Vororte hinzu. Dafür braucht es ebenso mehr Leistung angesichts längerer Distanzen. Zusätzlich hat das Unternehmen nun ein Rad mit vier Rädern entwickelt und in Las Vegas zusammen mit dem deutschen Paketdienstleister DHL auf der weltgrößten Technologiemesse CES ausgestellt. Es kann auf der Stelle drehen, sei derzeit aber noch ein Prototyp. Momentan werden die Räder in Zerbst bei Magdeburg hergestellt. Dort sitzt die Produktion mit gut 30 Beschäftigten, weitere fünf sollen noch hinzukommen.
Verwaltung in der Bremer Überseestadt
Ob das ausreicht, wenn das Unternehmen weiter wächst, müsse man sehen, um schnell lieferfähig zu sein. In den kommenden Jahren sollen je nach Wachstum weitere Beschäftigte hinzukommen. Dabei gehe es auch darum, in der ganzen Welt liefern zu können. "Wichtig ist: Wir gehen da mittelständisch ans Werk und wollen da nicht gleich eine große Fabrik bauen", stellt Rose abschließend fest. Die Verwaltung mit gut zehn Beschäftigten sitzt in Bremen in der Überseestadt.
Für das neue Mercadius haben Rose und Kruse eine Start-up-Förderung durch die Stadt und Sparkasse Bremen erhalten. Mit dem gesunden Wachstum soll es weitergehen. Rytle-Gründer Arne Kruse war gerade zu Gesprächen in den USA, um dort in den großen Städten das System ähnlich auszurollen. In Miami hat Mercadius schon jetzt einen ersten Fuß in der Tür. Auf diese Weise wird vielleicht auch bremische Bodenständigkeit zum Exportschlager in die ganze Welt – und vielleicht heißt es in der Zukunft per Lastenrad bald "Moin, New York".