Herr Sutter, Sie kommen zu dem Ergebnis, dass Unternehmen mit geduldigeren Chefs erfolgreicher sind. Woran macht sich das fest?
Matthias Sutter: Dahinter steckt die Eigenschaft, dass man für langfristige Ziele bereit ist, mal einen längeren Weg einzuschlagen. Wenn ein Vorstand oder eine Geschäftsführung bereit ist, eine Investition zu tätigen, obwohl sich das negativ auf die Quartalszahlen niederschlägt, dann nehmen sie schlechtere Quartale in Kauf, weil danach vielleicht eine neue Produktlinie besser läuft. Denke ich also bei einer Aktiengesellschaft kurzfristig an Kursmaximierung, oder denke ich da etwas langfristiger.
Auch Beschäftigten raten Sie, dass sie geduldig und zukunftsorientiert sein sollen. Warum fahren sie besser damit?
Es gibt viele Berufe, die sehr mühsam sind. Und oft geht ein Beruf auch mit Frustrationstoleranz einher. Selbst in Studium und Ausbildung möchte man gern schnell seinen Abschluss haben. Doch vorher sind da einige unangenehme Hürden in Form von Prüfungen zu nehmen. Da sieht man aber: Geduldigere Menschen schaffen bei gleicher Intelligenz und sonstigen gleichen Voraussetzungen mit höherer Wahrscheinlichkeit ihren Abschluss, weil sie länger dranbleiben. Aber so ein Sitzfleisch hilft wirklich – auch im Beruf. Denn es gibt auch mal längere Wege, um das Ziel zu erreichen. So geht es ja auch beim Wiedereinstieg in den Beruf.
Inwiefern?
Wenn man auf der Arbeitssuche ist, erhält man ja bei 99 von 100 Bewerbungen Absagen, und da muss man Rückschläge verkraften können.
Gleichzeitig zeigen Sie auf, dass mehr Bezahlung nicht unbedingt zu mehr Produktivität führt. Wo sind die Grenzen über die Bezahlung gesetzt?
Wir Ökonomen haben ja die Grundannahme, dass die Beschäftigten mehr leisten, wenn man ihnen mehr zahlt. Das fördert bestimmt auch die Motivation. Bei Bonuszahlungen ist das aber so eine Sache. Man stellt fest, dass die kurzfristig einen Effekt haben, und die Menschen dann mehr tun. Dann kommt aber die menschliche Verhaltensweise hinzu: Die Menschen gewöhnen sich wahnsinnig schnell an diese Bonuszahlungen. Irgendwann erwarten sie diese Zahlungen. Viele Firmenchefs schildern mir, dass die Mitarbeiter nach zwei Jahren Bonuszahlungen wieder auf der Arbeitsleistung von zuvor seien. Wenn man diesen Bonus aber wieder abschafft, werden die Menschen erst recht misstrauisch. Man müsste die Belohnung also immer weiter erhöhen, und das kann man auch nicht machen.
Da sind wir beim Faktor Mensch: Was haben Unternehmen und ihre Führungskräfte in der Vergangenheit da falsch gemacht?
Ich kenne ein Unternehmen, in dem die Vorstände alle Techniker sind. Die tun sich schwer mit der Vorstellung, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur die beste Technik haben wollen, sondern gern in die Firma kommen wollen und es vom Arbeitsklima her angenehm finden, dass Chefs auch sympathisch sein und zuhören können und auch mal ein Feedback geben. Die Menschen wollen verstanden werden. Bei einer Studie in der Türkei haben wir festgestellt, dass bei denjenigen, die sich am Arbeitsplatz nicht verstanden fühlen, die Bereitschaft zur Kündigung sehr viel größer ist. Beide Seiten sehen nicht, in welcher Situation sie sich befinden.
Wie stark orientieren sich denn auch Chefs bei ihrer Unternehmensführung an dem, was sie kennen?
Das Verständnis für modernere Führungsstile nimmt zu, was nicht überrascht. Dabei sind die Arbeitsansprüche von jungen Menschen heutzutage andere als vor 30 Jahren. Sie müssen als Arbeitgeber viel mehr um die Leute werben, die manchmal sogar von sich aus nach einem Vertrag mit weniger Arbeitsstunden pro Woche fragen. Das fällt auch mir nicht leicht, das zu verstehen.
Ein aktuelles Konzept ist „New Work“ – mit flachen Hierarchien. Beschäftigte erhalten dabei mehr Entscheidungsbefugnisse. Nach den Erkenntnissen aus Ihrem Buch: Wann hat dieses Konzept Erfolg, und wann scheitert es?
Ich weiß nicht, ob es da Studien gibt, aber dazu meine persönliche Meinung: Ob ich jetzt eine oder zwei Hierarchien über mir habe, ist nicht von Bedeutung, denn es ist die eine über mir, die entscheidet. Mit der Person muss ich zurechtkommen, und von der erwarte ich ein gewisses Feedback und Entscheidungen, und sie erwartet von mir Entscheidungen und Arbeitsleistung. Daher halte ich das für ein sehr künstliches „Entweder-oder“. Vielmehr geht es darum, wie man die Entscheidungsspielräume der Leute organisiert.
Welchen Effekt haben denn Unternehmensberatungen?
Eine Unternehmensberatung ins Haus zu holen, um eine gute Beratung zu haben, halte ich für sinnvoll. Denn eine Perspektive von außen kann einem auch blinde Flecken bewusst machen. Was ich nicht gut finde, ist, eine Unternehmensberatung ins Haus zu holen, damit der Chef hinterher sagen kann: „Ich will die 500 Menschen ja gar nicht entlassen, aber die haben mir das jetzt empfohlen, und nun mache ich das.“ Da kommt der menschliche Faktor ins Spiel: Wir delegieren vor allem dann gern, wenn es um unangenehme Entscheidungen geht. Die Verhaltensökonomik zeigt, dass das auch noch funktioniert, was ich bedenklich finde.
Auf der anderen Seite: Wenn der Chef einen Beschäftigten ungerecht behandelt, kann das Auswirkungen auf die Produktivität aller Beschäftigten haben?
Das ist ja eigentlich nicht verwunderlich. Wir haben das in einem Callcenter getestet. Da komme ich wieder zurück auf Vorstände, die eher technikorientiert sind. Denen ist nicht klar, dass wenn die sich mir gegenüber unfair verhalten würden, dass mein Nebenkollege auch darauf reagieren würde. Unsere Studie zeigte, dass das einen starken Einfluss hat. Bei einer Gruppe haben wir Mitarbeiter unfair behandelt und entlassen. Es sah zumindest den anderen gegenüber so aus. Bei einer zweiten Gruppe haben wir versucht, die Kündigungen gut zu erklären. Bei der dritten Gruppe gab es keine Kündigungen. Bei der ersten Gruppe ging die Arbeitsproduktivität als Folge der ungerechten Entlassungen um zehn Prozent zurück. Bei der zweiten Gruppe, wo wir die Entlassungen gut begründen konnten, war das aber nicht so. Die Kündigung an sich ist also nicht das Problem, sondern unfaires Verhalten.
Und bei der unterschiedlich hohen Bezahlung von Männern und Frauen machen Sie weniger die Unternehmen dafür verantwortlich. Wieso?
Das ist eines der Puzzleteile und nicht die ganze Erklärung. Man sollte am besten schauen, dass es bei den Einstiegsgehältern einigermaßen gleich zugeht. Denn die werden den Referenzpunkt für den nächsten Schritt setzen. Bei den Verhandlungen für dieses Einstiegsgehalt zeigt die Empirie allerdings: Frauen fragen weniger danach, ob es beim Gehalt auch etwas mehr sein kann. Wenn nur die Hälfte der Männer danach fragt, und nur einige haben Erfolg, dann werden sie allein statistisch im Schnitt über dem Gehalt der Frauen landen. Wenn nun in Stellenanzeigen stand, dass das Gehalt in Grenzen verhandelbar sei, haben Männer und Frauen gleich verhandelt. Darum sollte das so kommuniziert werden, weil eigentlich das Gehalt ja bei den allermeisten Jobs ohnehin verhandelbar ist.
Wie viele Arbeitseinsätze von Unternehmensberatungen macht Ihr Buch nun überflüssig?
Vielleicht wäre es für das eine oder andere Unternehmen nicht schlecht, mein Buch zu lesen. Aber ich weiß natürlich nicht, inwiefern die Investition in mein Buch eine Rechnung von 10.000 Euro ersparen kann. Da habe ich dann vielleicht einen Fehler gemacht: Ich hätte ein solches Unternehmen dann für 5000 Euro beraten sollen. Ich bin aber lieber in der Wissenschaft unterwegs.

Der Verhaltensökonom Matthias Sutter warnt, dass die Produktivität sinken kann, wenn der Chef auch nur einen Mitarbeiter tadelt. Diese und 49 weitere Erkenntnisse aus dem Firmen-Kosmos hat der Wirtschaftswissenschaftler in seinem neuen Buch "Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt" aufgeschrieben.
Das Gespräch führte Florian Schwiegershausen.