Es gibt weder mehr Privatinsolvenzen im Vergleich zu den Vormonaten noch ist der Bedarf bei der Schuldnerberatung durch die Corona-Krise übermäßig angestiegen. Doch das wird sich ändern. Davon gehen die Wirtschaftsauskunftei Creditreform, das Amtsgericht Bremen und auch der Verein Schuldnerhilfe Bremen aus. Was die wirtschaftlichen und damit die finanziellen Folgen im Zusammenhang mit Corona angeht – hervorgerufen durch Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit – befinden sich die betroffenen Haushalte erst am Anfang der Welle.
"Im Moment merken wir die Corona-Krise noch nicht, wir gehen aber davon aus, dass wir in den nächsten Monaten einen höheren Beratungsbedarf haben werden“, sagt Corina Lechner, Vorsitzende des Vereins Schuldnerhilfe Bremen. „Die Leute, die weniger Geld zur Verfügung haben als vor der Krise und dann auch rein rechnerisch nicht mehr alle Ausgaben begleichen können, sind vielfach auch zurzeit mit anderen Dingen beschäftigt, als sich um die eigene finanzielle Situation zu kümmern.“ Da gehe es darum, wie man den Alltag organisiere: beispielsweise in Kombination mit Homeoffice und Kinderbetreuung.
Von den Zahlen her gebe es noch keine Auffälligkeiten im Zusammenhang mit Corona, so Cosima Freter, Sprecherin am Amtsgericht Bremen: Im April habe es 35 Anträge gegeben, ein Jahr zuvor seien es im Vergleichsmonat 52 gewesen. „Wir erwarten aber, dass es in den nächsten Monaten im Vergleich mehr werden.“ Dass sich die Zahlen noch im normalen Bereich bewegten, liege sicherlich auch daran, dass Gläubiger beispielsweise bei ausstehenden Miet- oder Stromzahlungen aufgrund der Corona-Situation vom Gesetzgeber her im Moment keine Fremdanträge auf Privatinsolvenz stellen dürfen.
Gläubiger beschwichtigen
„Viele sehen den Gang zur Schuldnerberatung momentan auch nicht als notwendig an, weil sie trotz Zahlungsunfähigkeit etwa von Stromrechnungen oder der Miete Gläubiger mit dem Hinweis ,Aus aktuellem Anlass‘ beschwichtigen können“, so Corina Lechner. Das sei während der Corona-Krise möglich und vom Gesetzgeber ja auch so gewollt, verschiebe aber nur die Probleme. „Der Gläubiger will natürlich sein Geld irgendwann bekommen.“
„Aktuell lassen sich in unseren Datenbanken noch keine validen Zahlen über eine Zunahme der Schuldenentwicklung von Privatpersonen ableiten“, sagt Rechtsanwalt Peter Dahlke von der Geschäftsleitung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Dennoch werde in den nächsten Monaten ein Anstieg der Überschuldung zu verzeichnen sein, da es sich hierbei immer um eine zeitverzögerte Entwicklung handle. Im jüngsten Creditreform-Schuldneratlas im Oktober 2019 wurde bundesweit eine Überschuldungsquote von zehn Prozent errechnet. Damit waren nahezu 6,9 Millionen Erwachsene überschuldet.
Allein in der Stadt Bremen wiesen knapp 60 000 Personen nachhaltige Zahlungsstörungen auf. In Bremerhaven waren es ungefähr 20 000 Einwohner, die ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnten. „In Anbetracht der Entwicklungen in der Corona-Krise ist daher für den diesjährigen Schuldneratlas mit einer signifikanten Zunahme zu rechnen.“ Wie stark dieser Anstieg ausfallen werde, dürfte maßgeblich davon abhängen, ob die aktuellen Lockerungen von Dauer seien oder es in einer zweiten Corona-Welle erneut zu einem Lockdown kommen werde.
Der durch die Gesetzgebung mögliche Zahlungsaufschub sei mit dem Gang zum Zahnarzt vergleichbar, so Corina Lechner: „Es gibt viele, die erst hingehen, wenn es wehtut.“ Frühzeitig wäre es aber besser, um Schlimmeres zu verhindern. „Genauso ist das bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit. Je eher ich versuche, Dinge zu regeln, umso besser stehen die Aussichten, dass ich Lösungen mit dem Gläubiger finden kann.“ Das habe nicht speziell etwas mit der Corona-Krise zu tun, sondern gelte grundsätzlich so. Dass die Krise aber auch schon jetzt ihre Wirkung zeige, sei zum Teil bei „Bestandskunden“ festzustellen. „Da versuchen wir, mit den Gläubigern angepasste Vereinbarungen zu treffen, weil sich beispielsweise die finanzielle Situation durch Kurzarbeit verschlechtert hat.“
Nach Ansicht von Creditreform droht Überschuldung derzeit vor allem Personen, bei denen das Kurzarbeitergeld zur Deckung ihrer laufenden Kosten nicht mehr ausreicht. „Dabei muss es sich nicht zwingend um Geringverdiener handeln, sondern es kann auch Menschen treffen, die ihre bisherigen Einkünfte beispielsweise durch eine laufende Baufinanzierung fest verplant haben und nun durch Kurzarbeitergeld ihre laufenden monatlichen Ausgaben nicht mehr decken können“, sagt Dahlke.
Hier gelte es, mit den betroffenen Akteuren das Gespräch zu suchen. So hätten viele Banken ja bereits schon signalisiert, Anträge auf Ratenstundungen großzügig zu behandeln. „Auch wir als Inkassounternehmen berücksichtigen bei Ratenzahlungsvereinbarungen die aktuelle finanzielle Situation der betroffenen Schuldner.“ Deswegen sei für sie eine offene Finanzkommunikation mit den Gläubigern derzeit sehr wichtig, um gemeinsam Lösungen zu finden.
„Einer der Hauptüberschuldungsgründe, die Arbeitslosigkeit, wird nach unserer Einschätzung im laufenden Jahr weiter ansteigen und insoweit auch als Überschuldungsgrund an Gewicht zunehmen.“ Zu differenzieren sei in der Corona-Krise auch stark zwischen Angestellten und Selbstständigen, so Dahlke. „Während Arbeitnehmer weiterhin ihren vollen Lohn erhalten oder zumindest Kurzarbeitergeld, liegen bei einigen Solo-Selbstständigen und Freiberuflern die Umsätze bei null.“