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Autokäufer in Deutschland Weniger Interesse an Neuwagen

Wenn Privatkunden ein Auto kaufen, dann ist es seltener ein Neuwagen. Gleichzeitig werden die Autos in Deutschland immer älter. Fremdeln die Menschen in Deutschland mit dem einstigen „liebsten Kind“?
18.07.2017, 20:47 Uhr
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Von Stefan Lakeband und Thomas Strünkelnberg

Die Deutschen und ihr Auto – das war lange eine innige Beziehung. Das Automobil versprach Freiheit, viele waren stolz, wenn der Lack in der Sonne glänzte und der Innenraum neu roch. Doch mittlerweile sieht es so aus, als würden sich die zwei Partner entfremden.

Denn immer weniger Neuwagen in Deutschland werden auf Privatkunden zugelassen. Das geht aus einer Studie des CAR-Forschungszentrums der Universität Duisburg-Essen hervor. Gleichzeitig werden die Autos der Privatnutzer immer älter – und das seit vielen Jahren. Derzeit ist das Durchschnittsauto der Deutschen 9,3 Jahre alt, im Jahr 2000 waren es dagegen noch durchschnittlich 6,9 Jahre.

Der Gebrauchte tut es auch

„Die Begeisterung für neue Autos ist abgeflacht, der Gebrauchte tut es auch ganz gut“, sagt Studienleiter Ferdinand Dudenhöffer. Er kritisiert, dass den Autobauern die Ideen ausgingen. Kontinuierliche Verbesserung „wird irgendwann langweilig“.

Der Studie zufolge fahren auf Deutschlands Straßen 45,07 Millionen Autos – 41,2 Millionen davon sind demnach auf Privatpersonen zugelassen. Allerdings sinke der Anteil der Privatkäufer an den Neuzulassungen: Im ersten Halbjahr 2017 seien es gerade einmal 34,6 Prozent gewesen – ein Negativrekord, so Dudenhöffer. 2006 habe der Anteil noch bei 47,4 Prozent gelegen. „Die Konsequenz: Die Autos der Deutschen werden immer älter“, sagt der Experte.

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Dudenhöffer urteilt, das Auto werde für die Menschen in Deutschland immer mehr zum Gebrauchsgegenstand. Die emotionale Bindung, der Stolz, ein neues Auto zu besitzen, hätten dagegen über die Jahre deutlich abgenommen: „Das Auto verliert deutlich an Anziehungskraft.“ Ein paar PS, ein paar Zentimeter Länge oder Breite mehr beim Nachfolgemodell reichten nicht aus, um Emotionen auszulösen.

Er gehe nicht davon aus, dass Autos den Privatkunden schlicht zu teuer würden – angesichts der vielen verkauften Premiumautos. So verkaufte Mercedes-Benz 2016 mehr als 290.000 Autos, was einer Steigerung von 7,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.

Verändertes Kaufverhalten

Auch Bremer Händler spüren das veränderte Verhalten der Käufer. „Früher waren unsere Kunden tauschfreudiger“, sagt Melanie Bork, Verkäuferin beim Autohaus Wortmann in der Föhrenstraße. Sie stellt fest, dass Kunden, die ihr Auto über einige Jahre finanzieren, häufiger eine Schlussrate zahlen, um ihr Auto zu behalten, anstatt es zurückzugeben und sich ein neues auszusuchen.

Andreas Grisar vom Autohaus Jonny Hilker sieht ebenfalls den Trend zu Gebrauchtwagen. „Bei 85 Prozent unserer Kunden ist das eine Preisfrage“, sagt er. Wenn man einen neuen Golf für 35.000 Euro kaufen könne oder einen, der ein halbes Jahr alt ist, aber nur 23.000 Euro koste, sei die Entscheidung leicht. Auch er spürt, dass die Kunden ihre Autos im Schnitt länger fahren als zuvor. Melanie Bork glaubt, dass das auch mit den veränderten Lebensumständen zu tun hat.

„Viele junge Leute bauen derzeit oder kaufen sich eine Immobilie. Da denken nur wenige an ein neues Auto“, sagt sie. Viele ältere Menschen würden hingegen komplett auf ihr Auto verzichten. „Manche trauen sich nicht mehr zu, selbst zu fahren“, sagt sie. Sie gäben ihr Auto ab und nähmen stattdessen den öffentlichen Nahverkehr. „Es gibt aber auch noch den klassischen Neuwagen-Fan, der alle drei bis vier Jahre das Auto wechselt“, sagt Bork. Dieser Anteil schrumpfe aber.

Angst vor drohenden Fahrverboten

Für Verunsicherung hätten auch der Abgas-Skandal um manipulierte VW-Dieselmotoren und drohende Fahrverbote in einigen Städten gesorgt. Unter den Privatkunden haben sich laut Studie im ersten Halbjahr noch 24,2 Prozent für einen Selbstzünder entschieden. Nur 2009, im Jahr der Abwrackprämie, lag der Anteil mit 16,7 Prozent noch tiefer. 2006 dagegen wollte noch ein Drittel der Privatkäufer einen Diesel. „Viele Kunden haben Angst, dass sie irgendwann nicht mehr mit ihrem Auto fahren dürfen, wenn sie jetzt einen Diesel kaufen“, sagt Bork. Diese Verunsicherung sei extrem spürbar. So sehr sogar, dass die Ford-Händlerin ihre Kunden manchmal vertrösten muss, da sich die Lieferzeiten für Benzinmodelle im Vergleich zu früher verlängert hätten.

Insgesamt ist die Zahl der Neuzulassungen im ersten Halbjahr aber um rund drei Prozent auf gut 1,7 Millionen Autos gestiegen, wie der Verband der Automobilindustrie und das Kraftfahrtbundesamt (KBA) bekannt geben. Bei den Neuzulassungen schlägt sich auch die Diesel-Debatte nieder: Nach KBA-Angaben lag der Diesel-Anteil an den Neuzulassungen bei 41,3 Prozent – im ersten Halbjahr 2016 waren es noch 46,9 Prozent.

Die besten Kunden der Autobauer und -händler seien diese selbst, sagt Dudenhöffer. Im ersten Halbjahr seien 30,6 Prozent aller Neuzulassungen auf das Konto der Händler und Hersteller gegangen – 2006 seien es 24,6 Prozent gewesen. Weitere 23 Prozent gingen an Unternehmen. Allerdings blieben die Autos nicht lange auf Händler und Hersteller zugelassen, sondern gingen oft nach ein paar Tagen – als Tageszulassungen und mit einem Rabatt von 20 bis 35 Prozent – an die Privatkunden. Die Kunden hätten gelernt, mit hohen Rabatten zu kaufen, sagt Dudenhöffer.

Für Grisar hat dieses Vorgehen Vor- und Nachteile. Einerseits könnten Autohändler ihren Kunden so moderne Autos zu attraktiven Preisen bieten. Andererseits erschwere es das Geschäft mit Neuwagen natürlich. Händler müssten aber häufig Vorgaben der Autobauer erfüllen, was den Absatz an Neuwagen betrifft.

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