Können Sie Ihren Kunden inzwischen wieder feste Liefertermine zusagen?
Lothar Thoma: Das können wir nur bedingt. Seit dem Corona-Ausbruch gab es zahlreiche Lockdowns in China und in den USA mit teilweise kompletten Schließungen gefolgt von abrupten Öffnungen der Häfen. Der Stau durch die "Ever Given" im Suezkanal hat das Ganze noch verschärft. Die Folgen sind immer noch spürbar. Wobei sich das Problem inzwischen auf die Hinterlandverkehre verschoben hat. Deren Umschlagsgeschwindigkeit limitieren die zur Verfügung stehenden Container.
Das bezieht sich vor allem auf die USA.
Genau. Die Westhäfen wie Los Angeles bereiten hier ziemliche Schwierigkeiten. Es sind die einzigen großen Häfen, in denen nach wie vor nur im Zwei-Schicht-Betrieb gearbeitet wird. Hinzu kommt der Mangel an Fahrern. Deshalb stockt es dort weiterhin. Wenn der Umlauf eines Containers vorher vielleicht sechs Tage gedauert hat, dauert es inzwischen zehn bis 14 Tage, bis er wieder zurück im Hafen ist. Und das sorgt mitunter dafür, dass global immer noch zu wenig Container zur Verfügung stehen. Als Konsequenz hatte Hapag-Lloyd vor Kurzem erklärt, dass sie wegen der Wartezeiten auf diesen Strecken nur circa 80 Prozent der Kapazität bereitstellen können.
Gibt es einen Lichtblick?
Es ist eine leichte Entspannung zu spüren. Vor Weihnachten lagen dort über 100 Schiffe auf Reede und haben aufs Löschen gewartet, inzwischen sind es etwa 70 Schiffe.
Solche Wartezeiten gibt es in Bremerhaven nicht.
Das stimmt. Das ist sicherlich ein Vorteil.
Hat sich dieser Vorteil schon rumgesprochen?
Tendenziell wird sich das positiv auswirken. Ich glaube, das, was wir so an nachhaltigen Verwerfungen in der Containerlogistik und im Seehafenverkehr sehen, wird sich nachhaltig auf die Lieferketten auswirken. Als Logistiker will man seinen Kunden eine verlässliche Auskunft geben. Wir wollen Waren nicht irgendwann und irgendwie von A nach B bringen, sondern zur richtigen Zeit, mit der richtigen Menge und zum richtigen Ort. Wenn man das in Verbindung mit den Großcontainerschiffen setzt, wird das sicherlich im Laufe der Zeit zum Nachteil für Hamburg werden und Bremerhaven sowie dem Jade-Weser-Port mittelfristig in die Karten spielen. Beide Häfen sind nautisch einfach besser zu erreichen.
Wären Bremerhaven und der Jade-Weser-Port ausreichend auf eine größere Anzahl von Großcontainerschiffen vorbereitet?
Entscheidend sind dafür die Hinterlandanbindungen. Es geht darum, ob die Container per Bahn, Binnenschiff oder auf der Straße schnell genug rein- beziehungsweise rauskommen. Und es geht darum, wie produktiv die Abläufe in den Häfen sind.
Sehen Sie Defizite in beiden Häfen?
Das ist derzeit nicht so dramatisch. Das liegt sicherlich auch am Volumen. Aber würden da ein paar Mega-Carrier mit 23.000 Standardcontainern an Bord ankommen, dann wird sich der Flaschenhals zeigen. Da darf man sich auf keinen Fall auf der jetzt noch funktionierenden Infrastruktur ausruhen. Das ist ja ein Grund, weshalb relativ viel über Hamburg geht, da die administrativen Abläufe einfach gut eingespielt sind. Trotz schon vorhandener Engpässe im Bahnverkehr oder auf der Straße fahren wir als Spedition also auch über Hamburg.
Die Konkurrenz nimmt zu.
Das auf jeden Fall, gerade auch die Südhäfen am Mittelmeer werden immer interessanter. Und der Westhafen Rotterdam schläft ohnehin nicht. Gerade dort wurde sehr viel in Automatisierung und Digitalisierung investiert. Da hinkt Deutschland hinterher. In diesem Zusammenhang muss Hamburg aufpassen, nicht weiter an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den beiden anderen deutschen Seehäfen zu verlieren. Das gilt aber auch gegenüber den Südhäfen und den anderen europäischen Nordhäfen.
Wo sehen Sie den großen Unterschied zwischen den deutschen und den anderen Seehäfen?
Im Bereich Automatisierung: In deutschen Häfen wird oft noch von Hand gesteuert – das ist aufwendig und teuer. Andere Häfen setzen auf selbst fahrende Systeme.
Also kann es nur sinnvoll sein, wenn die beiden dominierenden deutschen Terminalbetreiber sich zusammenschließen, ein neues Unternehmen gründen und gemeinsam in die Automatisierung investieren?
So ein Modell bedeutet nicht per se, dass es Erfolg bringt. Sicherlich können dadurch größere Summen in einen Automatisierungsprozess fließen. Doch die Geschichte hat gezeigt, dass sich Monopole - und das wäre faktisch ein solches Modell – noch nie durch Flexibilität, Innovation und Motivation ausgezeichnet haben.
Sie sprachen die Südhäfen als zunehmende Konkurrenten für die traditionellen Nordhäfen an. Haben sich bereits Warenströme dorthin verlagert?
Bislang hat das auf niedrigem Niveau stattgefunden. Für Österreich und die umliegenden Länder ist es naheliegend, auf Asienrouten auch südliche Häfen stärker in die Lieferketten einzubinden. Gegenüber den Nordhäfen punkten diese mit einem Laufzeitvorteil von fünf bis acht Tagen. Voraussetzung ist dafür natürlich, dass auch die Hinterlandanbindungen funktionieren. Da gibt es noch einen leichten Vorteil für die Nordhäfen. Da tut sich aber in Sachen Infrastrukturmaßnahmen eine ganze Menge – etwa der Koralmtunnel oder der Semmeringtunnel. Wenn die mal live sind und sich die Systeme eingespielt haben, dann können die Südhäfen ihre geografischen Vorteile noch mehr ausspielen.
Also sind die Nordhäfen in ein paar Jahren abgehängt?
Es wird auf jeden Fall stärkere Warenverschiebungen zugunsten der Südhäfen geben. Was wir von den Nordhäfen sehr gut nutzen können, ist die Bahn. Die Zugverbindungen laufen zuverlässig und haben auch im Hinterland eine hohe Fahrplandichte – auch in der Krise. Das ist ein Grund, weshalb viele Reedereien diese Häfen anlaufen und wir noch relativ viel über die Nordhäfen machen.
Noch machen Sie relativ viel über die Nordhäfen?
Wir prüfen die Optionen und wägen im Sinne unserer Kunden ab. Stand heute sind die Nordhäfen für uns noch besser und bieten das bessere Gesamt-Package an. Wenn sich die Südhäfen von den Anbindungen und von der Servicequalität her weiter so entwickeln, kann das aber umschlagen.