Jürgen Fuchs ist sich sicher: Ein besseres Wirtschaftssystem ist möglich. Die Finanzkrise habe ihm klargemacht, dass sich etwas ändern muss. „Wir haben uns gefragt, geht‘s denn anders als immer nur Wachstum?“ Als Mitglied der Bremer Ortsgruppe des Vereins Gemeinwohl-Ökonomie will er dazu beitragen, dass sich die Dinge in seiner Stadt schneller verändern.
Im Kern gehe es darum, dass sich die Wirtschaftsordnung nicht mehr allein am Profit orientiert, sondern daran, was der Verein unter dem Begriff Gemeinwohl zusammenfasst, sagt Rena Fehre. Die Soziologin engagiert sich ebenfalls in der Bremer Gruppe.
Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Transparenz und Mitbestimmung – die Unternehmen sollen sich an diesen Werten messen lassen. In einer Matrix ist das genau festgehalten: Unterm Strich der Bilanz ist ein Wert von bis zu 1000 möglich.
Minuspunkte für den, der Steuern umgeht
Für die gerechte Verteilung des Einkommens gibt es 60, für innerbetriebliche Demokratie und Transparenz 90 Punkte. Minuspunkte gibt es dagegen für den, der Steuern umgeht. Am Ende soll es für gutes Verhalten konkrete Anreize geben. Steuer- und Zollvorteile oder eine Bevorzugung bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen.
„Es geht nicht nur um ein theoretisches Konzept, sondern um die Zusammenarbeit mit den Unternehmen, damit sie sich am Gemeinwohl orientieren.“ Unternehmen stellen sich unter der Überschrift Corporate Social Responsibility (CSR) schon lange ihrer gesellschaftlichen Verantwortung.
Im März beschloss der Bundestag, dass sie ab einer bestimmten Größe dazu verpflichtet sind, Bericht über soziale und umwelttechnische Belange abzugeben. Die Bilanzierung der Gemeinwohl-Ökonomie gehe jedoch darüber hinaus. „Wir wollen noch ein Stück weiter gehen“, so Fehre, „Es geht nicht nur darum, schöne Punkte imagebildend in einem Bericht hervorzuheben, sondern alle Unternehmensprozesse ehrlich anzuschauen.“
"Es ist bereits sehr viel geregelt."
Martin Schulze, Koordinator der Partnerschaft „Umwelt Unternehmen“ des Bremer Umweltressorts, hält nichts von neuen Gesetzen: „Es ist bereits sehr viel geregelt. Nachhaltigkeit ist erfolgreich, wenn sie auf Basis von Freiwilligkeit funktioniert.“
Die Unternehmen, die ihm durch seine Beratung bekannt seien, meinten es sehr ernst mit dem Thema. In der Gruppe „CSR-Hanse“ diskutiert ein kleiner Kreis von Unternehmen zum Beispiel über Zielkonflikte. Nachhaltigkeit fuße darauf, drei Säulen kontinuierlich in Einklang zu bringen: Ökologie, Ökonomie und Soziales.
Schulze, der auch Mitarbeiter der RKW ist – einer Beratungsstelle für kleine und mittelständische Unternehmen – sieht eine Bilanzierung kritisch: „Ich halte es für bedenklich, ethische Fragen zu regulieren. Ich kenne kaum ein Unternehmen, das nicht tagtäglich einen Aspekt von Nachhaltigkeit behandelt.“
Hanseatische Zurückhaltung
Nicht immer sei das jedoch dokumentiert und damit nach außen sichtbar. Die Zurückhaltung sei nachvollziehbar: „In dem Moment mache ich mich angreifbar. Wer das tut, bei dem wird nach dem Fehler geschaut.“ Und in Bremen spiele vielleicht zudem noch die hanseatische Zurückhaltung eine Rolle.
Nachhaltigkeit habe immer mit der Sicherung des Unternehmens zu tun. Wer nicht nur das Tagesgeschäft im Blick habe, sei langfristig erfolgreicher. Doch nur wenige Unternehmen haben dabei alle Punkte im Blick. Der Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie sei sehr hoch.
Klaus Fichter, Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Universität Oldenburg, plädiert für klare Regeln. Die Verpflichtung zu CSR-Berichten komme nicht von ungefähr. „Die Anforderungen sind heute vielfältiger. Unternehmen wird die Frage gestellt, was sie leisten für die Umwelt und die Gesellschaft.“ Diesen Trend gebe es seit den vergangenen zwei Jahrzehnten. Fichter spricht von Unternehmen deshalb als „multifunktionale Wertschöpfungseinheiten“.
Der Nachhaltigkeit verpflichtet
Außerdem gebe es einen zweiten Trend: Die Produkte und Dienstleistungen selbst seien immer öfter der Nachhaltigkeit verpflichtet, nicht nur ihre Entstehung. „Es geht nicht nur um die Energiesparlampe oder die Mülltrennung. Am Ende steht die Frage: Was trägt das Produkt zur nachhaltigen Nutzung bei?“
Fichter vermutet, dass die Unternehmenslandschaft sich in Zukunft weiter in diese Richtung differenzieren wird. Die Green Economy sei eine Chance für neue Geschäftsmodelle. 17 Prozent der Gründungen seien heute bereits nachhaltig. Jedoch seien es zunächst nur wenige Pioniere, die sich auf nachhaltige Grundsätze umstellten, sagt der Experte.
Schließlich könnten sie auch nicht alle Unternehmen realisieren. Fichter ist kritisch: „Der Glaube, daraus ein objektives System zu entwickeln, ist irrig.“ Die Gemeinwohl-Ökonomie sei noch in der Experimentierphase. Ins Leben gerufen hat die Bewegung der Österreicher Christian Felber 2011 in Wien.
Beratung für Unternehmen
„Er hat sich gefragt, wie man ethische Werte messen kann“, sagt Allgemeinmediziner Fuchs. Das bestehende Wirtschaftssystem sei nur vordergründig für das Wohl aller da. In seine Praxis in Hulsberg kämen viele Menschen, die entweder überlastet seien, weil sie zu viel arbeiteten oder nicht von ihrem Job leben könnten.
Soziologin Fehre berät Unternehmen zum Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Gesundheit und Personalentwicklung. In einigen Firmen sei die Arbeit gut verteilt, bei anderen fielen Menschen wegen großer Belastung immer wieder lange aus. „Das Personal wird knapp gehalten. Das wirkt sich auf den Rest der Mitarbeiter aus.“
Die Veränderung der Wirtschaftsordnung könne schließlich auch zu einem anderen Denken insgesamt führen, wenn nicht mehr belohnt werde, wer an der Börse das meiste Geld mache, sagt Fuchs. „Ich sehe das als Lernprozess für die ganze Gesellschaft. Die Menschen stellen sich die Frage: Wie gemeinwohlorientiert lebe ich? Wir wollen Leitplanken geben.“
Erste Gruppe soll im Sommer bilanziert werden
Zur Gruppe in Bremen, die Fehre und Fuchs 2014 mitgründeten, gehören zehn aktive Mitglieder und ein größerer Kreis Interessierter. Noch stehe man am Anfang. Im Sommer aber soll eine erste Gruppe von kleinen und mittelständischen Unternehmen bilanziert werden.
Den Parteien in Bremen habe man die Gemeinwohl-Ökonomie bereits vorgestellt. Mittlerweile kämen erste Gemeinden und Beiräte von allein auf die Gruppe zu. Um den Prozess richtig voranzubringen, will sie sich um eine Anschubfinanzierung bemühen. Denn die Bilanz koste die Unternehmen etwas.
Weltweit haben sich bereits mehr als 7000 Personen und 2400 Unternehmen der Initiative angeschlossen. Der Bremer Carsharing-Anbieter Cambio ist ebenfalls interessiert. „Wir wollen wissen, wo wir stehen“, sagt Geschäftsführerin Bettina Dannheim. Im nächsten Jahr soll es eine Bilanzierung geben. „Das ist ein aufwendiges Verfahren und lässt sich nicht nebenbei erledigen.“
Ein Bioladen oder ein Solartechniker
Bei 7000 Euro liegen die Kosten für das Beratungshonorar und die Überprüfung in ihrem Fall. Außerdem will Dannheim alle Mitarbeiter und Führungskräfte der Bremer Muttergesellschaft mitnehmen. „Schließlich muss eine vielleicht sinnvolle Veränderung auf allen Ebenen gelebt werden.“ Dannheim sieht Cambio bereits gut aufgestellt: „Wir orientieren unsere Unternehmensentscheidungen an dem, was dem Kunden, der Lebensqualität in den Städten und schließlich dem Mitarbeiter nutzt.“
Zu Anfang bilanzierten Unternehmen, die ohnehin eine Affinität in einem der Bereiche haben, vermutet Fuchs: ein Bioladen oder ein Solartechniker. „Sicher wird nicht zuerst VW oder die Deutsche Bank mitmachen.“ Das Ziel sei aber, dass auch sie sich nach Werten des Gemeinwohls orientieren.
Ob sich für den Wandel einer Wirtschaftsordnung nicht gleich weltweit etwas ändern müsse? Fuchs hält gegen. „Man muss einfach mal anfangen. Ich vergleiche das gerne mit der Energiewende. Früher hielt man diejenigen, die Solarzellen angebracht haben für Spinner. Jetzt ist die Technik ein Exportschlager. Ich denke, dass Bremen, dass Deutschland da vorangehen können.“