Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Serie Genossenschaften, Teil 5: Bei den Bremer Wohnungsgenossenschaften sind die Mieter auch Anteilseigner "Wir sind nicht auf Rendite aus"

Eine alte Idee kommt zu neuen Ehren. Die Vereinten Nationen haben 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Sie wollen damit auf die Bedeutung von genossenschaftlich organisierten Unternehmen aufmerksam machen. In einer Serie stellen wir Bremer Genossenschaften aus verschiedenen Branchen vor.
06.07.2012, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Krischan Förster

Eine alte Idee kommt zu neuen Ehren. Die Vereinten Nationen haben 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Sie wollen damit auf die Bedeutung von genossenschaftlich organisierten Unternehmen aufmerksam machen. In einer Serie stellen wir Bremer Genossenschaften aus verschiedenen Branchen vor.

Bremen. Ausgerechnet ein Elch. Das mächtige Tier steht in Bronze gegossen auf einer sommergrünen Wiese im Bremer Ortsteil Kattenesch, vor einem Wohngebäude in der Münsterstraße. Fernab von den Revieren in Nord- und Osteuropa, durch die der zwei Meter hohe Geweihträger streift. Doch von dort stammten auch jene Bremer, die durch den Zweiten Weltkrieg ihr Zuhause verloren hatten, an der Weser gestrandet waren und vor knapp 64 Jahren eine Wohnungsgenossenschaft gründeten. Der Elch wurde zu ihrem Wappentier – und ist es bis heute geblieben.

Aus den 23 Gründungsmitgliedern sind bis heute knapp 1600 Genossen geworden, den ersten 54 Wohnungen, errichtet ab 1951 in Hemelingen, folgten mehr als 1000 weitere. Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen, zwischen 50 und 100 Quadratmetern groß, verstreut über die ganze Stadt, in Schwachhausen ebenso wie im Viertel, dazu in Kattenesch, in Blumenthal oder in Huchting. Vor allem in den 70er-Jahren, als viel Fördergeld in den sozialen Wohnungsbau floss, war der Bestand rasant gewachsen. "Heute sind wir die drittgrößte Wohnungsgenossenschaft in Bremen", sagt WGS-Chef Dieter Sauer. Hinter der Nordbremer Gewosie und der Espabau. Neun Genossenschaften gibt es insgesamt in der Stadt. Von groß bis klein.

Sauer, 59 Jahre alt, ist bekennender Genosse, durch und durch. "Ohne uns gäbe es noch viel weniger bezahlbare Wohnungen", sagt er. Durchschnittlich 4,71 Euro pro Quadratmeter zahlt ein Mieter bei der WGS, das ist weitaus weniger als in Bremen üblich. Und es ist relativ einfach erklärt: "Wir sind nicht auf Rendite aus wie alle anderen Wohnungsunternehmen", sagt Sauer.

Kommunale Gesellschaften seien zwar gewissen sozialen Kriterien unterworfen, dennoch würden Städte und Landkreise als Gesellschafter eine Rendite für die kommunalen Kassen erwarten. Private Investoren ohnehin und spekulativ agierende Immobilienfonds erst recht. Als schlechtes Beispiel wird in Bremen seit Jahren die Essener Gagfah gehandelt. Das Tochter-Unternehmen der Fortress Investment Group mit Sitz in New York hat einen der größten Immobilien-Bestände in Deutschland. Vor fünf Jahren übernahm es 500 Wohnungen in Bremen-Nord von der Brebau – und erhöhte prompt die Mieten um mehr als zehn Prozent. In Dresden gab es im vergangenen Jahr einen Milliardenstreit um eine Verletzung von Mieterrechten zwischen der Stadt und der Gagfah. "Dieses Streben nach einer höchstmöglichen Objektrendite würde es bei uns niemals geben", sagt Sauer.

Der WGS-Chef verweist auf das gänzlich andere Geschäftsprinzip eines genossenschaftlichen Wohnungsunternehmens. "Alles, was zählt, sind die Interessen und Bedürfnisse unserer Mieter", sagt er. Denn sie seien die Anteilseigner. Deswegen gebe es keinen Mietwucher, keine Kündigungen, keine Vergraulung durch ausbleibende Sanierungen. Es sei überhaupt nicht so, dass Genossenschaften keinen Gewinn machen dürften. "Das Geld, das wir verdienen, wird aber in den Wohnungsbestand reinvestiert oder als Dividende an die Genossen ausgeschüttet." Vier Prozent sind es pro Pflichtanteil, diese für heutige Verhältnisse fast schon üppige Verzinsung weckt sogar ungewollte Begehrlichkeiten. Es gebe Leute, die gern mehr als die ihnen zustehenden Anteile als Sparanlage kaufen wollten. "Auch das machen wir nicht."

Wer Mitglied der Genossenschaft wird, erwirbt mindestens einen Pflichtanteil in Höhe von 155 Euro. Der tatsächliche Betrag richtet sich nach der Wohnungsgröße. Liegt die Monatsmiete (kalt) zum Beispiel bei 250 Euro, sind es rechnerisch 1,6, aufgerundet also zwei Anteile. So bleibt es auf Lebenszeit. "Wir dürfen nicht verkaufen, sondern müssen unseren Bestand halten und in Schuss halten", sagt Sauer.

Die WGS hat allerdings lange nicht mehr gebaut. Der Aufbauphase der Nachkriegszeit folgte ein großer Schub in den 70er-Jahren, die vorerst letzten Gebäude der WGS entstanden in den 90er-Jahren. Seither wird vor allem saniert und modernisiert, um vor allem die Energiekosten für die Mieter zu drücken. Sauer sieht zwar keine Wohnungsnot in Bremen, abgesehen vielleicht von Toplagen. "Wer sucht, der findet auch irgendwo eine Wohnung", sagt er. Er würde zwar gern wieder bauen, doch dafür fehle die nötige staatliche Hilfe, wie es sie in Niedersachsen gebe, in Bremen aber nicht. "Ohne eine vernünftige Förderung lassen sich Neubauten für normale Einkommen nicht finanzieren", sagt Sauer. Darauf müssten die Kommunen reagieren, es sei ja auch in ihrem Interesse. Denn die Genossenschaften hätten eine Aufgabe: "Wir wollen und müssen weiter bezahlbare Wohnungen anbieten." Deshalb habe sich das Konzept keineswegs überlebt, es sei sogar aktueller denn je.

Morgen berichten wir zum Abschluss unserer Serie über Handels- und Konsumgenossenschaften.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)