„Bei der Wirtschaftsentwicklung spielt Bremen in der Champions League“, sagt Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer. Auf dem Weg zum Arbeitsmarkt verliere das Wirtschaftswachstum allerdings an Schwung.
Im vergangenen Jahr ist Bremens Wirtschaft überdurchschnittlich gewachsen. Das zeigt der statistische Jahresbericht, den die Arbeitnehmerkammer am Freitag vorstellt hat. Das Bruttoinlandsprodukt ist 2015 um 2,5 Prozent gestiegen. Im Bundesvergleich landet Bremen auf Platz drei hinter Baden-Württemberg und Berlin. Damit liegt das Land deutlich über dem Bundesschnitt von 1,5 Prozent. Niedersachsens Wirtschaft legte im gleichen Zeitraum um 1,9 Prozent zu.
Auf den ersten Blick sind das gute Zahlen. „Bei der Wirtschaftsentwicklung spielt Bremen in der Champions League“, sagt auch Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer. Auf dem Weg zum Arbeitsmarkt verliere das Wirtschaftswachstum allerdings an Schwung. Bei der Beschäftigung spiele Bremen nicht in der Königsklasse, sondern lediglich im grauen Mittelfeld. Die Sozialversicherungspflichtige Beschäftigten ist 2015 nur um 1,5 Prozent oder 4729 Stellen gewachsen. „Bei der Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze hinkt Bremen hinterher“, sagt Schierenbeck. Nach Angaben der Kammer ist Bremen inzwischen Hochburg für Leiharbeit. Sie ist im Stadtstaat doppelt so weit verbreitet wie im Rest der Republik.
Besonders deutlich wird die Diskrepanz zwischen Wirtschaftswachstum und Beschäftigung beim verarbeitenden Gewerbe: Mit 54 000 Beschäftigten bleibt die Industrie Bremens stärkster Wirtschaftszweig. Die Produktion legte weiter zu – allerdings wurden 333 Arbeitsplätze abgebaut. Zur Begründung sagte Schierenbeck, in der Industrie schreite die Automatisierung und Digitalisierung voran. In der Produktion kommen immer mehr Maschinen und Computer zum Einsatz, dafür werden weniger Arbeitskräfte benötigt. Dennoch: Bremen bleibt Industriestandort. Beim Export liegt das Land mittlerweile an zweiter Stelle hinter Baden-Württemberg. Hamburg liegt als Dienstleistungsmetropole im Ländervergleich abgeschlagen auf dem vorletzten Platz.
Höchste Armutsgefahr in Bremen
Die Arbeitslosenquote lag 2015 im Land Bremen bei 10,9 Prozent und damit auf Platz eins im Ländervergleich. Die Zahlen seien alarmierend, sagte Schierenbeck. Die Stadt Bremen belegt mit 10,1 Prozent Platz drei. Nur in Dortmund und Essen gibt es mehr Menschen ohne Jobs. „Der Aufbau an Beschäftigung geht an der Gruppe der Arbeitslosen völlig vorbei“, so Schierenbeck. In Niedersachsen lag die Quote bei 6,1 Prozent und damit nah am Bundesdurchschnitt von 6,4 Prozent.
Der Strukturwandel von der Industrie- hin zur Dienstleistungsgesellschaft macht auch vor Bremen nicht halt: Der Dienstleistungssektor ist zweitgrößter Wirtschaftszweig des Landes. Hier gebe es, anders als in der Industrie, aber noch kein politisches Konzept, um Firmen anzusiedeln und nachhaltig Arbeitsplätze zu schaffen, beklagt Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer.
Bislang betrachte Bremen die Dienstleistungen nicht als eigenständigen Wirtschaftsbereich, den es zu fördern gelte. Das müsse sich dringend ändern. An dritter Stelle folgt das Gesundheits- und Sozialwesen. In der Branche arbeiten inzwischen etwa 42000 Menschen. Allerdings sind Teilzeitstellen weit verbreitet.
Bremen und seine Einwohner bleiben arm: Nirgendwo ist die Gefahr, am Existenzminimum zu leben, derart hoch. Im Jahresbericht der Arbeitnehmerkammer lag die Gefährdungsquote Ende 2014 für das Land Bremen bei 24,1 Prozent. Aktuellere Zahlen liegen der Kammer nicht vor. Als armutsgefährdet gelten Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen. Bei einem Single-Haushalt sind das 822 Euro, bei einer vierköpfigen Familie liegt die Grenze bei 1727 Euro.
Unter der Armut der Bremer leiden besonders die Kinder: 30,9 Prozent lebten im vergangenen Jahr in prekären Verhältnissen. In Bremerhaven sind es sogar 42,1 Prozent – der mit Abstand höchste Wert aller verglichenen Großstädte. Damit ist die Kinderarmut im Land Bremen doppelt so hoch wie im bundesweiten Durchschnitt. Statistisch sind drei von zehn Kindern unter 15 Jahren auf Sozialleistungen angewiesen. Viele Bremer leben nicht nur in Armut, sondern haben auch noch Schulden. Im Durchschnitt sind es 14,1 Prozent. Damit hat das Land Bremen die bundesweit höchste Schuldnerquote. Zum Vergleich: In Niedersachsen liegt die Quote bei 10,4 Prozent. Bremerhaven belegt im Vergleich ähnlich großer Städte Platz eins: 20,8 Prozent der Einwohner haben Schulden. Auf Platz zwei folgen Offenbach (18 Prozent) und Pforzheim (13,6 Prozent).