Logistikexperten sorgen sich vor künftigen Versorgungsengpässen, weil zunehmend Fachkräfte fehlen, um Waren zu transportieren. Der Mangel an Lastwagenfahrern ist zwar ein bekanntes Problem, doch aus Sicht der Branche verschärft es sich. In Großbritannien zeigt sich derzeit, welche Auswirkungen das Fehlen der Fahrer haben kann – besonders sichtbar durch die teils leeren Regale in Supermärkten.
Vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf der Insel warnt der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung, dass auch Westeuropa "sehenden Auges in einen Versorgungskollaps" laufe. Das sagte der Vorstandssprecher des Verbands, Dirk Engelhardt, unlängst. „Was in Großbritannien passiert, ist durch den Brexit beschleunigt. Ich gehe aber fest davon aus, dass wir in Westeuropa die gleiche Situation haben werden, nur etwas zeitversetzt.“ Schon heute fehlten in Deutschland 60.000 bis 80.000 Fahrer. Weil nicht genügend Nachwuchs nachkomme, verschärfe sich der Mangel jedes Jahr weiter. Und er zeige sich auch in anderen Ländern der EU.
Rainer Wenneker, Geschäftsführer des Bremer Logistikspezialisten Terratrans, erwartet ebenfalls Konsequenzen des Fahrermangels. "Das wird so kommen. In England sehen wir die Probleme heute schon." In seinem eigenen Unternehmen gingen einige Mitarbeiter bald in Rente. "Nachwuchs ist schwer zu kriegen", sagt Wenneker. Eine Ausbildung biete der Betrieb nicht mehr an, weil zu viele nach dem Erwerb des Führerscheins für den Lkw die Lehre abgebrochen hätten.
Bassen Logistic spürt den Mangel an Fahrern ebenfalls. Im Moment seien sechs Mitarbeiter im Urlaub und damit sechs Lkw nicht im Einsatz. "Weil der Puffer nicht da ist", sagt Peter Bassen, geschäftsführender Gesellschafter des Bremer Unternehmens. Weil es Anfang der Woche einen Krankheitsfall gegeben hat, sprang Bassen dann selbst ein und setzte sich hinters Steuer. Ebenso wie andere Unternehmen könne er zehn bis fünfzehn Fahrer mehr einstellen. Genug Aufträge gäbe es - Bassen muss teils bereits an Partnerunternehmen im Netzwerk verweisen, wenn er Anfragen bekommt. Dabei sei der Preisdruck in der Branche weiter hoch, sagt er. "Die Frachtpreise sind immer noch nicht auskömmlich." Die Kosten für den eigenen Fuhrpark aber seien gestiegen. Insgesamt hat das Unternehmen 35 Lkw. Auf die harte Konkurrenz weist auch der Chef von Terratrans hin. Die Auftraggeber bezahlten nicht den eigentlichen Ansprüchen entsprechend, sagt Wenneker: "Das ist unser Problem."
Den Wettbewerb in der Branche hält Olaf Mittelmann ebenfalls für problematisch. Dem Druck hielten nur Betriebe mit einer bestimmten Größe stand, sagt der Geschäftsführer des Landesverbands Verkehrsgewerbe Bremen. "Es sterben immer mehr kleinere Unternehmen aus." Firmen aus Osteuropa könnten viel niedrigere Preise aufrufen. Früher seien Lkw-Fahrer im Verhältnis sehr gut bezahlt worden. Das habe sich verändert.
Zugleich sind laut Mittelmann die Hürden höher, um überhaupt ins Fahrerhaus zu kommen. Neben dem Führerschein seien weitere Qualifikationen notwendig. Und so entstünden für die Betriebe, wenn es keine Förderung gebe, Kosten von mehreren Tausend Euro. "Für Unternehmen ist das viel Geld. Es ist ein hohes Risiko", sagt Mittelmann. Schließlich sei zunächst nicht klar, wie lange ein Fahrer bleibe.
Die Branche leidet laut dem Verbandssprecher auch darunter, dass sich zu wenig Bewerber für eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer interessieren. Einer der größten Ausbilder ist laut "Handelsblatt" mit rund 10.000 Azubis pro Jahr die Bundeswehr. Als es die Wehrpflicht noch gab, sollen dort fast doppelt so viele Fahrer ihren Führerschein gemacht haben.
Der Geschäftsführer des Vereins Bremer Spediteure, Robert Völkl, sieht diesen Zusammenhang ebenfalls. Außerdem fehlt es ihm auch an Wertschätzung für die Fahrer in der Gesellschaft – und das trotz der Bedeutung des Berufs. Das Wirtschaftsleben sowie die Versorgung in Deutschland seien ohne die Logistik und die Fahrer nicht möglich. Völkl kritisiert: "Wie Fahrer sich bei Kunden in der Industrie und besonders dem Handel teilweise behandeln lassen müssen, gerade während Corona, das ist nicht bedenklich, das ist unmöglich." So sei ihnen mancherorts der Zugang zu einer Toilette verwehrt worden.
"Es kommt gar nicht so selten vor, dass die Fahrer behandelt werden wie Aussätzige", sagt der Sprecher der Spediteure. "Das macht den Fahrerberuf nicht attraktiver." Die Wartezeiten beim Entladen seien obendrauf teils sehr lang. Zudem sei die Verkehrslage deutlich angespannter, was zu Verzögerungen führe. Es fehle erheblich an Parkplätzen für die Fahrer, um Ruhezeiten einhalten zu können. "Das ist genau das Gegenteil von Wertschätzung. Die Fahrer wissen einfach nicht mehr, wo sie parken sollen."
Robert Völkl sieht hierzulande akut nicht die Gefahr von Engpässen. "Ich habe im Moment den Eindruck, dass alles, was bewegt werden muss, noch gefahren werden kann." Das müsse aber auf Dauer nicht so bleiben. Der Fahrermangel könne in Deutschland in den nächsten Jahren sukzessive spürbar werden, wenn es so weitergehe.